Ich komme mit Klassenkampf in deine Coronakrise

JEJA NERVT: Wann rufen wir den Corona-Streiktag aus?

  • Jeja Klein
  • Lesedauer: 3 Min.

Nachdem die Corona-Querfront vergangene Woche völlig konsequenzenlos durch Leipzig randaliert ist, hat die Berliner Polizei diesen Mittwoch auf unseren Zuruf den Volkszorn gegen rechts ausagiert. Doch die dahintersteckende Straflogik ist kein Heilmittel gegen den virulenten Rechtsradikalismus unserer Gesellschaft. Was heute noch als relativ milde Beregnung aus Wasserwerfern daherkommt, äußert sich schon morgen wieder im brutalen Niederknüppeln von Protesten gegen die skrupellose Durchkapitalisierung der Welt und den Kollaps unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Was es in der Coronakrise endlich braucht, ist eine Antwort auf den seit Monaten von oben geführten Klassenkampf.

Dieser Klassenkampf kostet gerade Menschenleben, täglich eine Zahl im dreistelligen Bereich - Opfer auf dem Altar des Kapitals. Wir Linken sind diesen Weg viel zu lange, mittlerweile bis ins Absurde, mitgelaufen - und damit meine ich auch mich selbst. Während die Leute wieder jeden Tag den Mundgeruch der anderen U-Bahn-Fahrgäste in der Rushhour schnuppern, während Klempner und Tischlerinnen die Aerosol-Container abklappern, in denen wir leben, während wir im angeblichen »Lockdown« schon mal unsere ersten Weihnachtseinkäufe in vollen Shoppingmalls erledigen, wird in Deutschland ernsthaft verlangt, dass sich Kinder für die Zeit nach der Schule einen einzigen festen Corona-Buddy aussuchen sollen. Familien, in denen sich Kinder um die Aufgaben ihrer derangierten Eltern kümmern, nennt man übrigens dysfunktional - doch im kapitalistischen Seuchenstaat wird auf einmal diskutabel, die Verantwortung, die Erwachsene nicht zu schultern bereit sind, auf Minderjährige abzuwälzen. Ich wollte jedenfalls nicht zu den Tausenden Kids gehören, die bei diesem von oben verordneten zynischen Spielchen alleine und entwertet übrig bleiben. Sie vielleicht?

Jeja nervt
Jeja Klein ist eine dieser Gender-Personen aus dem Internet und nörgelt einmal die Woche an Kultur und Politik herum. dasND.de/jejanervt

Selbst im unmittelbaren Angesicht unserer natürlichen Zerbrechlichkeit und des massenhaften Todes ist »Aber die Wirtschaft!« also immer noch gesellschaftlicher Leitgedanke. Während der Kulturbereich mit seinen vielen kleinen Existenzen nach und nach ausblutet, werden Flugkonzerne und Automobilbranche entgegen den Regeln des freien Marktes mit Milliardenpaketen aufgefangen - ohne echte Umweltauflagen, versteht sich. Den Leichenberg von morgen, zu dem diese Politik führt, kann man ja weiter per militärischem Grenzregime vor den Toren Europas auftürmen.

Was es bräuchte, wäre ein Krisenprotest, der seinen Namen verdient hat. Die unmenschliche Maschinerie der Kapitalakkumulation geht in diesen Zeiten zunehmend über Leichen, weil sie ja von sich aus keinerlei menschliche Maßstäbe kennt. Sie wurde schließlich serienmäßig ohne Bremse gefertigt. Es gibt eine breite Bereitschaft in der Bevölkerung, in der Pandemie das Vernünftige zu tun: Kontakte zu minimieren, zu Hause zu bleiben, Verantwortung füreinander zu tragen - wenigstens prinzipiell. Keine noch so schrille Corona-Querfront wird daran etwas ändern. Allein: Es ist der Imperativ der kapitalistischen Wirtschaftsweise, der die Menschen daran hindert, dieses Vernünftige auch wirklich zu tun.

Wo sind die Großdemonstrationen für einen echten Shutdown der Wirtschaft und ein Rettungspaket für die Gesellschaft, damit auch wirklich alle zu Hause bleiben können? Warum verlangen wir nicht das epidemiologisch einzig Richtige, nämlich die konsequente Austrocknung des Virus? Wann verabreden wir uns dazu, kollektiv der Lohnarbeit fernzubleiben? Wir wollen in Deutschland weder Erwachsene noch Kinder zwischen mechanische Webstühle schicken, weil wir gelernt haben, das unmenschlich zu finden. Aber der Tag im Büro trotz Coronavirus geht klar? Arbeiten ist im Moment schlicht viel zu gefährlich: Wann rufen wir den Corona-Streiktag aus?

Der Philosoph Walter Benjamin schrieb ein mal: »Marx sagt, die Revolutionen sind die Lokomotiven der Weltgeschichte. Aber vielleicht ist dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zug reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse.«

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