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Initiative von oben wie unten
Der Arbeitsforscher Steffen Lehndorff rät, die Dynamik des »New Deal« zu studieren
Im Zusammenhang mit heutigen Herausforderungen ist oft vom »Green New Deal« die Rede. Was kann man aus dem historischen Reformprogramm lernen?
Am New Deal fasziniert, dass er ein demokratischer Ausweg aus der großen ökonomischen und sozialen Krise, der Großen Depression von 1929 bis 1933 war. Es war eine Alternative zum Aufstieg des Faschismus in Europa auf der einen Seite und der stalinistischen Diktatur auf der anderen Seite. Und: Er gab den Anstoß für breite gesellschaftliche Reformbewegungen, deren Ausmaß wohl alle Beteiligten überrascht hat. Der New Deal hat eine ungeheure gesellschaftliche Aufbruchsstimmung ausgelöst und wurde dann von dieser Stimmung weitergetrieben. Wer sich damit beschäftigt, wird ein bisschen von dieser Stimmung angesteckt. Das macht Mut.
Steffen Lehndorff hat zu Fragen der Tarifpolitik promoviert. 1992 trat er in das Institut Arbeit und Technik im Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen ein und übernahm dort die Leitung des Bereichs Arbeitszeitforschung. Von 2007 bis zu seinem Ruhestand 2012 wirkte er als Abteilungsleiter für Arbeitszeit und Arbeitsorganisation am Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen.
Mit ihm sprach Johannes Schulten über ein für die Linke oft sperriges Thema: die Reformpolitik Franklin D. Roosevelts, der von 1933 bis zu seinem Tod 1945 Präsident der Vereinigten Staaten war. War der sprichwörtliche »New Deal« nur ein Notprogramm zur Rettung des Kapitalismus? Was könnte eine heutige Linke aus dieser Ära mitnehmen?
Der Widerstand war zunächst groß. Wer hat den Reformprozesses getragen?
Die Initiative ging von der Gruppe um Präsident Franklin Delano Roosevelt (Demokraten) aus, die bereit war, sich auf völlig unbekanntes Terrain zu begeben. Denn so war es tatsächlich. Was wir heute Keynesianismus nennen, wurde damals erstmals ansatzweise ausprobiert. Und die Regierung hatte Mut zum Konflikt mit wichtigen Interessengruppen. Das zweite Element für den Erfolg war, dass große Reformprojekte in Angriff genommen wurden, mit denen sich die Bevölkerung identifizieren konnte. Das dritte Element war die wechselseitige Verstärkung zwischen demokratischer Regierung und sozialen Bewegungen. Der Funke entschlossenen Handelns ist von der Regierung auf viele abhängig Beschäftigte und andere gesellschaftliche Gruppen übergesprungen. Die haben die Regierung dann teilweise über das hinausgetrieben, was diese ursprünglich vorhatte.
Inwieweit war das ein Projekt von oben?
Es passt vielleicht nicht ins Bild, das manche Linke haben. Aber die wichtigsten US-Gewerkschaften waren nicht zuletzt wegen des Bürokratismus und der politischen Unbeweglichkeit ihrer Führung im Zuge der Weltwirtschaftskrise vollkommen marginalisiert. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad lag 1932 bei sechs Prozent. Anders als in Europa gab es auch keine starke sozialistische oder kommunistische Bewegung, trotz verheerender Massenarmut. Es herrschte Resignation. Die ersten Gesetze des New Deal sollten die Gewerkschaftsrechte stärken. Das hat sehr viele Initiativen an der Basis ausgelöst und zu großen Streikbewegungen gegen die Blockadepolitik der Arbeitgeber ermutigt. Dies führte dann zum rasanten Aufschwung einer neuen Industriegewerkschaftsbewegung.
Der New Deal war auch ein Umverteilungsprogramm. Reicht das, um heute eine sozial-ökologische Wende einzuleiten?
Eigentlich hat es damals schon nicht gereicht. In der Beschäftigungs- und Infrastrukturpolitik wurden damals zentrale Tabus des Dogmas »Der Markt regelt alles am besten« angekratzt, bis hin zur Eigentumsfrage beim Aufbau einer öffentlichen Stromversorgung. Aber es blieb beim Ankratzen. Die heutigen Herausforderungen, etwa für die Einleitung einer Verkehrswende, sind weitaus komplexer. Für die grünen Arbeitsplätze der Zukunft brauchen wir massive Investitionen in Infrastruktur, harte Preisregulierungen und auch Ge- und Verbote, die in den Alltag eingreifen. Umverteilung ist da ein notwendiges Instrument von mehreren.
Aber wenn das so ist, was kann man denn dann vom New Deal lernen?
Anregend ist nicht nur, was damals gemacht wurde, sondern vor allem, wie es gemacht wurde. Wie gelang es, innerhalb weniger Monate eine breite gesellschaftliche Reformdynamik in Gang zu bringen? Wie kam es zu dieser wechselseitigen Verstärkung von Regierung und sozialen Bewegungen? Das ist auch heute die Schlüsselfrage. Dass es nicht ohne reformorientierte Regierung gehen wird, sollte klar sein.
Sehen Sie in einem möglichen rot-rot-grünen Regierungsprojekt Personen mit der notwendigen Konfliktbereitschaft?
Demokratische Führungspersönlichkeiten kann man sich nicht schnitzen. Aber Menschen wachsen mit Herausforderungen.
Scholz oder Habeck als Kämpfer für Bankenregulierung und gegen Haushaltsdisziplin?
Mal im Ernst: Bei den Konservativen gibt es solche Verwandlungen ja. Wer hätte etwa Angela Merkel diese Führungsstärke zugetraut? Ich kann mir vorstellen, dass bei einer grün-rot-roten Regierung soziale Bewegungen Auftrieb bekämen, die dafür kämpfen, das Versprochene auch umzusetzen. Damit verbundene Konflikte können dann auch eine Stärkung demokratischer Führungspersönlichkeiten mit sich bringen.
Wie sah es damals bei der Linken aus, und was lässt sich heute daraus lernen?
Immer dann, wenn es kompliziert wird, neigen viele Linke zum Abheben, zur Flucht vor realen Herausforderungen. Die sozialistische und die kommunistische Partei in den USA haben seinerzeit den New Deal als Programm zur Rettung des Kapitalismus abgelehnt. Sie waren daher für den realen Reformprozess unwichtig.
Eine Warnung vor Selbstmarginalisierung?
Ja, zum Beispiel das Mantra, das Klima sei im Kapitalismus nicht zu retten, ist für mich eine solche Fluchtbewegung. Eigentlich ist es doch klar, dass der Kampf gegen den Klimawandel nur unter kapitalistischen Bedingungen begonnen werden kann. Wie weit die Kapitalmacht auf dem weiteren Weg eingeschränkt werden muss, wird sich zeigen, wenn eine neue Dynamik in der Klimapolitik in Gang gebracht worden ist. Deshalb finde ich es wichtig, sich auf große Reformprojekte, die als realisierbar zu vermitteln sind, zu verständigen.
Solche ausgearbeiteten Reformprojekte gibt es, etwa den »linken Green New Deal« von Bernd Riexinger. Was halten Sie davon?
Viel, auch weil es darin Schnittmengen mit Überlegungen in Teilen der Grünen, der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften zur sozial-ökologischen Transformation gibt. Wenn sich da einige zusammenraufen, kann ein Reformprojekt entstehen, das in die Gesellschaft ausstrahlt. Ein detailliertes Programm gab es bei den historischen New Dealern übrigens nicht. Aber ihre Tatkraft und Experimentierbereitschaft, ihre Bereitschaft zur Korrektur von Fehlern, ihr Mut zur demokratischen Führung und zum Konflikt mit mächtigen Interessengruppen - davon sollten wir uns anstecken lassen.
Steffen Lehndorff. New Deal heißt Mut zum Konflikt. Was wir von Roosevelts Reformpolitik der 1930er Jahre heute lernen können. Eine Flugschrift. VSA-Verlag, 96 S., brosch., 10 €.Das »nd« bleibt gefährdet
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