»Hab ich die falsche Hose an?«

Die Neuesten sind die Besten: Franz Dobler legt seine »Gedichte 1991-2020« vor

Die Atmosphäre ist vielleicht das Wichtigste in der Literatur. Damit man überhaupt weiterliest. Damit man weiterlesen will. Damit man weiterlesen kann. Bei Franz Dobler: immer. Seit 2014 schreibt er Krimis. Da merkt man es ganz besonders. Nicht nur die Idee, die Geschichte und die Typen müssen überzeugen, sondern vor allem die Atmosphäre. Sonst denkt man, es ist Quatsch und kein Krimi. Dobler erzählt vom unbehausten Exbullen Robert Fallner, der irgendwie versucht, klarzukommen. Der dritte und bislang letzte Fallner-Band »Ein Schuss ins Blaue« (2019) ist der beste, weil die Atmosphäre am stimmigsten ist. Und zwar derart stimmig, dass man meint, es sei eine Persiflage, aber dann … kommt wirklich ein Schuss und man ist schockiert. Puh, es ist doch ein Krimi! Wie aus dem Cornell-Woolrich-Lehrbuch.

Auch bei Doblers Gedichten sind die neuesten die besten. Er hat seine »Gedichte 1991-2020« veröffentlicht. »Ich will doch immer nur kriegen was ich haben will« heißt diese Sammlung, die mit Fotos von Juliane Liebert illustriert sind. Die schreibt ebenfalls Gedichte und hat kürzlich ein Buch »über die Schönheit und Notwendigkeit des Schimpfens« herausgegeben: »Hurensöhne!«

Das Buch

Franz Dobler:
Ich will doch immer nur kriegen was ich haben will.
Gedichte 1991 - 2020
Mit Fotografien von Juliane Liebert
Starfruit Publications
288 S., kt., 25 €.

Lyrikbeilage vom 21. November herunterladen>>

Bei Doblers Titel fehlt das Ausrufungszeichen. Benutzt er sowieso fast nie. Lieber scherzt er mehr so nebenbei: »Auch ich kenne / den berühmten Satz von Kafka: / Im Kino gewesen. Geweint. / Bei mir war es neulich / ein bisschen anders: / Im Theater gewesen. Eingeschlafen. / Es war nur ein Sekundenschlaf / und ich dachte: Zum Heulen / dass ich nirgendwo richtig schlafen kann.«

Sein Buchtitel zeigt an: Es gibt den Punk-Kanon und es gibt die Weiterentwicklung. Die Sex Pistols sangen »Don't know what I want / But I know how to get it«, die Fehlfarben (davon beeinflusst):»Was ich haben will, das krieg’ ich nicht / Und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht«. 40 Jahre später dreht Dobler den Spieß um, in Idee und Klang.

Im neuen Buch sind die alten Lyrikbände »Jesse James und andere Westerngedichte« (1991) und »Ich fühlte mich stark wie die Braut im Rosa Luxemburg-T-Shirt« (2009) enthalten. Sie haben längere Anmerkungen und Erklärungen. Die neuen brauchen das nicht mehr, die Gedichte sind selbst die Anmerkungen und zwar zum gesellschaftlichen Leben. Es sind Kurzreportagen, Kurzanalysen, Kurzprogramme über das Prosaische wie über das Politische. Da steht die »Problemzone Parkplatz« (es gibt keinen) neben der »Abrechnung« (die AfD hat in Oberbayern mehr Mitglieder als in Thüringen).

Wenn er im Supermarkt »The Passenger« von Iggy Pop hört, schreibt er, dass er vor 40 Jahren gedacht hätte: »Wir haben den Supermarkt eingenommen! / Jetzt haben sich die Rauchwolken verzogen / und die Sache sieht anders aus: / Sie sind überall. / Es gibt kein Entkommen.« Das ist eine Erkenntnis, »die mich nicht schockierte / nur ganz kurz berührte. / Ich hatte mir schon so was gedacht.« Ein Gedicht hat er auch vertont: »Falsche Hose«, zusammen mit der bayrischen Countryrockband Das Hobos. Er singt das Poem nicht, er spricht es rhythmisch, so er wie manchmal bei Auftritten den Vortrag seiner Gedichte mit einem Klopfen auf dem Tisch begleitet. Ungefähr so wie John Lee Hooker zu seiner Gitarre mit dem Fuß gestampft hat. Aus einem seiner bekannteren Songs hat sich Dobler auch den Refrain für »Falsche Hose« entliehen: »Ich denk an / ein’ Bourbon, ein’ Scotch und ein Bier«. Das will er trinken, wenn er endlich am Türsteher vorbei in die Bar kommt, doch er vermutet, das wird nichts mehr: »Hab ich die falsche Hose an?« fragt er den »lieben Doktor Türsteher«. Gib es leider nicht als Single, nur digital.

Music is the key, klar, aber zu was? Für die Atmosphäre, auch klar, aber eben auch für die Wünsche und das Tolle, das man erleben will und kann, inmitten dem Schlechten, Gelogenen und Hässlichen. Zärtlich nannte Dobler in seinem zweiten Roman »Tollwut« (1991) Chuck Berry und Bo Diddley, die alten Rock-‘n‘-Roll-Könige, immer nur beim Vornamen, wenn er in dem Text Musik von »Chuck« und »Bo« anmachte. Als wären es Freunde. Sind sie ja auch. 2002 hat Dobler eine interessante Biografie über Johnny Cash geschrieben, denn »Country ist nicht das, was uns das Fernsehen erzählt hat«.

Ein neues Gedicht heißt »Reifeprüfung Mathematik«. Darin erwähnt Dobler, dass die Gesamtforderungen an Reparationszahlungen für in Griechenland begangene Verbrechen der Deutschen während des Zweiten Weltkriegs »sich weiterhin auf mindestens 269 Milliarden Euro« belaufen, und dass 2017 in Deutschland »durchschnittlich vier Straftaten pro Tag / gegen jüdische Personen oder Einrichtungen begangen« wurden. Der Faschismus ist immer da. Ein Gedicht ist gar nicht von Dobler, sondern eine Liste: »Gehorsamkeit / Fleiß / Ehrlichkeit / Ordnung / Sauberkeit / Nüchternheit / Wahrhaftigkeit / Opfersinn / und Liebe / zum Vaterlande« - mit diesen Begriffen begrüßten die Nazis neue Gefangene im KZ. Die Wörter werden weiterhin benutzt. Dobler hat diese Liste im Katalog zu einer Ausstellung im KZ Dachau gefunden und sie in seine »Westerngedichte« eingestreut.

Bei ihm liege »meistens alles ganz offen da und unverstellt«, erzählt er im Gespräch mit seinem Verleger Manfred Rothenberger, das im Anhang von »Ich will doch immer nur kriegen was ich haben will« zu finden ist. »Wenn bei mir steht: ›Es waren schwarze Wolken am Himmel‹, dann ist damit auch genau das gemeint, was da steht.«

Lob des Arbeiters

Um fünf nach fünf
musste ich das Bett verlassen
damit ich um sechs Uhr dreißig
am Treffpunkt war.

Das Auto wartet keine Minute
hatte der Chef gesagt
und wer es zweimal verpasst
der fliegt raus.

Ich war Mitte fünfzig
und musste die Vorstellung
ein geschätzter Schriftsteller zu sein
in den Wind schießen.

Ob für kurz oder für immer
das wussten nur die Götter
die nicht mehr mit mir sprachen.

Nach dem ersten Arbeitstag
schlief ich um kurz nach acht
mit einer Flasche Bier in der Hand
auf dem Sofa ein
und als mich um fünf nach fünf
der Wecker aus dem Schlaf holte
hatte ich die so gut wie volle Flasche
immer noch in der Hand.

Wenigstens hatte ich plötzlich
einen ruhigen Schlaf.

Nach einer Woche lobte mich
der Chef laut vor allen
denn ich war seit einem halben Jahr
der erste Hilfsarbeiter
der eine Woche durchgehalten hatte.

Endlich mal keine arbeitsscheue Pfeife
sondern einer, auf den man
sich verlassen konnte.

Ich war nicht besonders beeindruckt
(und fuhr weiter den Dreck
mit dem Schubkarren aus dem Dreckloch).

Ich hatte noch nicht vergessen
und war nicht stolz darauf
dass ich schon immer
viel Unsinn gemacht hatte.

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