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Handel als Waffe
Von TPP und TTIP zu RCEP.
Friedrich Merz schlägt wieder Alarm: »China hat die weltweit größte Freihandelszone der Welt auf die Beine gestellt«, mahnte der CDU-Politiker diese Woche, »und wir diskutieren hier ernsthaft über korrektes Gendern in Gesetzesentwürfen?« Damit war Merz der Spott sicher. »Herr Merz, Sie haben recht: Das Gendern bedroht letztlich unseren Wohlstand und kommt wahrscheinlich aus China«, schrieb der Satiriker Moritz Hürtgen auf Twitter, und ein anderer User fragte »In Asien wird das größte Freihandelsabkommen der Welt abgeschlossen - und ich soll heute Abend wieder Zähne putzen?«
Merz’ Entgegensetzung »Gendern oder Freihandel« ist zwar absurd. Seine Warnung fällt dennoch auf fruchtbaren Boden. Denn mit dem Abkommen RCEP entsteht in Asien eine Freihandelszone mit 15 Staaten, die 30 Prozent der Wirtschaftsleistung und ein Drittel der Weltbevölkerung stellen. Das Problem für die EU und die USA: Sie sind nicht mit dabei.
Wurden Freihandelsabkommen früher von westlichen Politikern und Ökonomen gelobt mit dem Argument, sie würden Handelsbarrieren abbauen und dadurch den Wohlstand mehren, so gilt Asiens RCEP derzeit als Gefahr. Weniger wegen der Ökonomie: »Die kurzfristige wirtschaftliche Bedeutung des Abkommens ist begrenzt«, erklärte Clemens Fuest, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo. Sondern weil RCEP »im Erfolgsfall China einen Hebel geben könnte, seinen Einfluss in der Welt auszuweiten«, warnt die US-Denkfabrik Brookings.
Seit die globale Dominanz des Westens erschüttert ist, werden Freihandelsabkommen als das besprochen, was sie immer schon waren: nicht bloß Instrumente des Wirtschaftswachstums, sondern Mittel zur Festigung politischer Macht. Niemand weiß das besser als die US-Regierung. »Seit dem Zweiten Weltkrieg waren Handelsverträge mit Geopolitik verbunden und fanden meist statt zwischen Staaten, die auch militärisch kooperierten«, so US-Ökonom Barry Eichengreen. »Nicht zuletzt sollte der Handel dazu dienen, die betreffenden Allianzen zu stärken.«
Wie Ende des Zweiten Weltkriegs: Im März 1947 verkündete US-Präsident Harry Truman seine Doktrin, nach der jede Nation in Zukunft wählen müsse zwischen westlicher Demokratie und Kommunismus. Gleichzeitig wurde allen »freien Völkern«, die vom Kommunismus bedroht seien, amerikanische Unterstützung zugesichert. Letztere Bestand unter anderem in den Wiederaufbauhilfen des Marshall-Plans, wobei Marshall-Plan und Truman-Doktrin »zwei Hälften der derselben Walnuss sind«, so Truman. Institutionell verfestigt wurde die Ost-West-Spaltung in den folgenden Jahrzehnten auch durch das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT), das bald nach seinem Abschluss 80 Prozent des Welthandels abdeckte. Die Staaten des Ostblocks gehörten - mit wenigen Ausnahmen - nicht dazu.
Mitte der 1990er Jahre wurde das GATT überführt in das System der Welthandelsorganisation WTO, die von den USA und der EU/EG dominiert wurde. Die WTO erwies sich in Sachen Handelsliberalisierung allerdings als wenig erfolgreich. Denn mit dem Machtzuwachs der Schwellen- und Entwicklungsländer ließen sich die gegensätzlichen Interessen nicht mehr auf einen Nenner bringen. »Der ›Club‹, der 50 Jahre lang Weltwirtschaft und -handel gelenkt hat, ist offensichtlich nicht länger in der Lage, seine Positionen den anderen Parteien aufzuzwingen«, erklärte Roberto Bendini, Berater des Europäischen Parlaments in Handelsfragen.
Auf dieser Basis wurden die USA offensiv. 2010 verkündete Präsident Barack Obama das Ziel, die Exporte des Landes binnen fünf Jahren zu verdoppeln. Zu diesem Zweck startete Washington Verhandlungen mit der EU zur Gründung der transatlantischen Partnerschaft TTIP und mit asiatischen und südamerikanischen Staaten zur Schaffung der Trans-Pacific Partnership (TPP). Statt auf globalen Regeln für alle zielte man auf eine »Ordnung, die sich um konkurrierende Wirtschaftsblöcke gruppierte«, so Ökonom Heribert Dieter.
Mit TTIP sollten zum einen Handelsbarrieren abgebaut und die transatlantische Bindung gestärkt werden, um die Regeln des globalen Wettbewerbs weiter zu bestimmen. In einer Bundestagsdebatte bewarb Hans-Peter Friedrich (CSU) TTIP mit den Worten: »Der eigentliche Kern dieses Freihandelsabkommens besteht in der Chance, dass Europa und Amerika künftig in der Lage sind, bei neuen Technologien gemeinsam die Normen zu setzen. Die technischen Normen sind die Reisepässe für Waren und Güter. Wir, die Europäer und die Amerikaner, können diejenigen sein, die die Reisepässe ausstellen.«
Es war kein Zufall, dass China sowohl von TTIP wie von TPP ausgeschlossen blieb. Der britische Historiker Timothy Garton Ash umschrieb die Abkommen schlicht mit »EBC«: Everyone But China - jeder außer China. TTIP sollte laut US-Außenministerin Hillary Clinton als »Wirtschafts-Nato« dienen.
Ziel von TPP war »neben der Schaffung eines großen Wirtschaftsraums die Minderung des chinesischen Einflusses im Pazifikraum«, erklärte Stefan Mair vom deutschen Industrieverband BDI.
Doch sowohl TTIP wie auch TPP scheiterten - weniger am breiten zivilgesellschaftlichen Widerstand in den betreffenden Ländern. Sondern an der US-Regierung unter Donald Trump. Er stieg aus den Projekten aus, um das ökonomische Gewicht der USA in bilateralen Verhandlungen mit einzelnen Staaten einzusetzen. TTIP starb an unüberbrückbaren Gegensätzen der Verhandlungsparteien. TPP lebt zwar weiter, aber ohne die USA.
Realität geworden ist nun dagegen das Gegenprojekt Pekings. Was aus RCEP folgen wird, ist zwar noch offen. Washington befürchtet aber, dass die asiatische Region durch das Abkommen abhängiger von China und unabhängiger von den USA wird, was Washingtons Möglichkeiten beschneiden würde, ökonomischen Druck auf Länder auszuüben. Die Nutzung der Wirtschaft als Waffe unter Präsident Donald Trump sei »kein neues Phänomen«, so David Lawrence von der Organisation Trade Justice Movement. Und wird nach Trump nicht verschwinden.
Mittelfristig spricht nun einiges dafür, dass die USA einem nachverhandelten TPP doch noch beitreten. Zusätzlich geworben wird für Verträge mit Chinas Nachbarn, um die Volksrepublik einzukreisen: »Jetzt ist die Zeit für ein Abkommen zwischen den USA und Taiwan«, rät die US-Denkfabrik Center for Strategic & International Studies.
In diesen Verhandlungen mit Chinas Anrainern kann die größte Militärmacht der Welt Garantien für den Kriegsfall bieten. »Dies gibt den USA einen wichtigen Trumpf in die Hand«, erklärt Bernd Weidensteiner von der Commerzbank. »Traditionelle Verbündete der Amerikaner wie Australien oder Japan haben ihre Sicherheitspartnerschaften mit den USA bereits gestärkt, und selbst Vietnam nähert sich an die USA an.« Demonstriert wird damit, dass Handels- und Militärpolitik einander ergänzende Instrumente sind, und dass der Welthandel keine friedliche internationale Arbeitsteilung ist, sondern eine Frage von Macht und Krieg.
Während sich die USA als Gegengewicht zu China eine gute Position in den asiatischen Märkten sichern dürften, so Weidensteiner, hätten die Europäer keine solche Trumpfkarte. Zum einen fehlen der EU die militärischen Ressourcen, um eine weltweite Ordnung zu garantieren. Zum anderen sind ihre Mitglieder selbst abhängig von militärischen Garantien Washingtons. Für die EU-Staaten »wird der wirtschaftliche Wind in Asien wohl rauer werden«.
Es ist daher kein Wunder, dass nun in der EU jene Stimmen lauter werden, die die Nähe zu den USA suchen. So fordert CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak einen Neuanlauf für TTIP. Und Ökonom Fuest rät, die EU »sollte Handelsabkommen mit asiatischen Staaten ausbauen und dem neuen US-Präsidenten Joe Biden anbieten, unverzüglich die Handelsgespräche wiederaufzunehmen.«
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