Das Denken an das Geld
»Das Geld« von Christophe Tarkos ist schrecklich stimmig
»Ich bin 1963 geboren. Ich existiere nicht. Ich stelle Gedichte her.« Dem ungeachtet und demgemäß betritt Christophe Tarkos, der diese Selbstbeschreibung verfasst hat, 1993 einen mit Bildender Kunst behängten Raum im internationalen Marseiller Dichterzentrum cipM. Dreimal hintereinander ertönt genau getimtes Schreien ins selbstverständlich schweigsame Publikum hinein. Im Anschluss folgt die Buchstabensprache mit einer Setzung nach der anderen: »Der Text ist expressiv. Die Expressivität des Texts ist gut. Der expressive Text ist ein guter Text«. Modernes Publikum steckt solche Auftritte längst weg und hat danach ordentlich was zu diskursivieren. Mittlerweile ist Tarkos 16 Jahre tot, »regelmäßige Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken« (ebenfalls Selbstauskunft) gingen dem voraus. Das im Sommer dieses Jahres bei Matthes & Seitz erschienene Büchlein »Das Geld« ist, abgesehen von Übersetzungen in Zeitschriften, seine erste Publikation im deutschsprachigen Raum.
»Das Geld« ist eine knapp 80 Seiten lange Beschwörung, Wiederholung und Verwerfung von Definitionen, Qualitäten, Möglichkeiten des Geldes und daraus abgeleiteter Handlungsanweisen. Der Text ist ein klares Beispiel für den komischen Subgattungsversuch »Konzeptuelle Poesie«, denn er geht einem Begriff nach und mehr oder weniger freiwillig auf den Leim. Wer von authentisch Erlebtem und Erfühltem lesen will, wenn dem Gemüt nach Lyrik ist, wird sich hier schrecklich langweilen. Wer es vorzieht, mit ordentlich entwickelten Begriffen streng zu denken, für den taugt »Das Geld« kaum als hübsche Illustrationen von längst Verstandenem.
Christophe Tarkos:
Das Geld
Aus dem Französischen von Tim Trzaskalik
Matthes & Seitz Berlin
86 S., geb., 16 €
Lyrikbeilage vom 21. November herunterladen>>
Einerseits bleibt das Gedicht damit hinter der Kritik zurück, denn es bestimmt nicht scharf genug, was es mit dem Geld auf sich hat. Aber es kann in seiner Bewegung darstellen, was das Denken an das Geld, in den Dimensionen von und letztlich in Komplizenschaft mit dem Geld, bedeutet und mit der Sprache macht, wenn man versucht, ihm in diesem Medium habhaft zu werden. Indem das Gedicht »Das Geld« durchgängig nur ans Geld denkt, entledigt es sich greifbarer Strukturen und Themen. »Das Geld« schafft keine Form außer Prosablöcken und einzelnen Sätzen. Das Geld in »Das Geld« kann alles sein, außer ein Du. Daran darf man im Celan-Jahr erinnern. Wenn moderne Lyrik lange Zeit damit gerungen hat, noch einen Ansprechpartner nach Gott zu finden, ist im konzeptuellen Gedicht kein Außerhalb des Kopfs mehr drin, aber damit kassiert der Text auch jeden Appell an eine Befreiung von all dem Leid, das zum Gedichteschreiben treibt. »Alle die nicht das Geld bearbeiten sind schon tot« steht in dieser Suada ganz selbstverständlich verselbstständigt.
Immer wieder wirbt »Das Geld« dafür, seine ausweglosen Gedankengänge anzuerkennen. Empfohlen wird die »Einnahme einer numerisch beneidenswerten Haltung«. Gelegentlich spricht der Text die Leserschaft für ein paar Zeilen an, aber nur, um zu überzeugen oder zu akquirieren: »Liebe Freunde, liebe Anwesende, ihr habt alle Vermögen, um Geld zu machen.« Immer wieder fallen neue Definitionen übereinander her, die nach Argumentationsstützen klingen, aber doch nur sagen, dass es ist, wie es ist, und man sich daran zu halten hat: »Der Wert des einzigen Beweggrundes wird zum Betragensertrag«. Alle Worte, mit denen man es machen kann, werden in ihrem Verhältnis zum Geld verwandelt. Was geschrieben steht, verharrt in einer vom Leben desinfizierten Abstraktheit.
In der Übersetzung von Tim Trzaskalik bleibt der Text dabei schrecklich stimmig. Hin und wieder leistet sich das Gedicht eine kleine Gewaltfantasie in Listenform, doch »Alles Äußere taugt zur Stimulation und zum Alibi«, stellt »Das Geld« klar, und so kann man sich beschwichtigende Metaphorik gleich sparen. Der Eindruck kommt auf, dass in diesem strengen Nominalstil, die Sprache wie auf Stelzen über einen Abgrund hinweg plappert und dabei todernst klingt. Diese Beschwörung und Einschwörung, die eine große starre Verwertungsgleichung aufstellt, macht den Reiz von Tarkos‘ »Das Geld« aus, wenn man - etwas dämlich gesagt - das Konzept mal performt, es sich laut vorliest und sich dabei nicht wohlfühlt.
Manch einer wird einwerfen
dass ein sexueller Triebtäter das Gelddenken nicht braucht, das heißt vergessen,
dass ein sexueller Triebtäter für seinen Trieb leben muss, nur leben muss um mit seinem Trieb zu haushalten, mit Geld zum Haushalten, sonst ist er ein Penner der kein sexueller Triebtäter
mehr ist, der Trieb verbindet sich bequem direkt mit der Befruchtung des Geldes,
seinem vollkommenen Befruchtungsantrieb.
Es gibt kein zerebrales Funktionieren, das nicht dem Geldwert tributpflichtig wäre.
Das Denken der Welt ist das Denken dessen was möglich ist, der Mauer der Mauern,
gegeben von der liquiden Masse des Geldes.
Man kann nicht mehr im Betragen nicht mehr wissen wo die Welt ist. Wissend wo die Welt
des Überlebens ist, des Reichtums, des Glücks, der Macht, der Kraft, dessen was Kraft gibt, das Geld,
kann man wissen wo die unendlichen Fasern unserer Netzwerke sind, unserer Verwirklichungen, unserer List, unserer Lust.
Es genügt ein Band zwischen einer Handlung und ihrer Verwirklichung finden zu wollen.
Selbst wenn dieses Band die Suche eines Findlings ist, die Suche eines Findlings ist im Geist des Gelddenkens.
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