»Unvorstellbare Verbrechen der Wehrmacht«

Streit zwischen Berger Stadtrat und Gedenkstätte Bergen-Belsen beigelegt. CDU und FDP wollten nur »Teile der Wehrmacht« kritisieren

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.

Im niedersächsischen Bergen ist ein wochenlanger Streit um die Rolle der Wehrmacht in der NS-Zeit zwischen Teilen des Stadtrates und der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen beigelegt worden. Das Kommunalparlament stimmte am Donnerstagabend mit großer Mehrheit einer Erklärung zu, die von der parteilosen Bürgermeisterin Claudia Dettmar Müller und der Gedenkstätte zum Weltfriedenstag der UNO am 21. September verfasst wurde. Darin heißt es unter anderem: »Während des Zweiten Weltkrieges haben SS und Wehrmacht vor unserer Haustür unvorstellbare Verbrechen begangen.«

Im Kriegsgefangenenlager Bergen-Belsen starben 1940 bis 1945 rund 20 000 überwiegend sowjetische Gefangene, dafür war die Wehrmacht verantwortlich. Im KZ Bergen-Belsen, das von der SS betrieben wurde, kamen 1943 bis 1945 etwa 52 000 Häftlinge zu Tode.

Nachdem der Stadtrat am 24. September wegen Bedenken aus CDU und FDP einen Beschluss über die am Weltfriedenstag bereits öffentlich verlesene Erklärung zunächst vertagt hatte, beschloss der Verwaltungsausschuss auf Betreiben der beiden Parteien, die Nennung der Wehrmacht in dem zitierten Satz in »Teile der Wehrmacht« zu ändern. Dieser Beschluss sollte in der Ratssitzung am Donnerstag eigentlich bestätigt werden.

Nach der Verwaltungsausschusssitzung zeigte sich die Gedenkstätte in einer vom ehemaligen Leiter Jens-Christian Wagner und dem kommissarischen Leiter Jens Binner unterzeichneten Stellungnahme jedoch höchst »irritiert, dass die Stadträte von CDU und FDP planen, eine von zwei Seiten unterschriebene Erklärung zu ändern, ohne eine der beiden Seiten, nämlich die Gedenkstätte, überhaupt zu konsultieren«.

Inhaltlich sei der von CDU und FDP in die Erklärung hineinredigierte Zusatz »Teile der« unsinnig: »Es ist klar, dass nicht jeder einzelne Wehrmachtssoldat an den Verbrechen in Bergen-Belsen beteiligt war – wie im übrigen auch nicht alle SS-Angehörigen in Bergen-Belsen tätig waren«, schrieben Wagner und Binner. Gemeint seien die Institutionen Wehrmacht und SS.
Schwerwiegender sei aber die geschichtspolitische Bedeutung der geplanten Änderung: Damit leisteten die Stadträte dem Geschichtsrevisionismus Vorschub. Spätestens nach der zweiten Wehrmachtsausstellung von Anfang der 2000er Jahre sei allgemein anerkannt, dass sich Verbände der Wehrmacht wie auch die Institution selbst schwerwiegender Verbrechen schuldig gemacht hätten – etwa systematisches Verhungernlassen von Millionen Kriegsgefangenen und Zivilisten, die Überstellung jüdischer Kriegsgefangener an die Konzentrationslager oder die Beteiligung an Massenerschießungen.

»Der Mythos von der ›sauberen Wehrmacht‹ schien überwunden«, so Wagner und Binner. »Doch nun fallen die Stadträte in Bergen wieder dahinter zurück und offenbaren ein apologetisches Geschichtsbild, das an die 1950er Jahre erinnert.« Noch befremdlicher sei der Vorgang vor dem Hintergrund, dass die AfD-Fraktion im Stadtrat eine eigene Erklärung zum Weltfriedenstag veröffentlicht habe. Darin vergleicht sie die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung mit den NS-Verbrechen. »Statt diesem Angriff auf die offene und demokratische Kultur in der Bundesrepublik ... entgegenzutreten, gießen die CDU- und FDP-Stadträte nun Öl in das von der AfD entfachte Feuer«, hieß es in der Stellungnahme von Binner und Wagner.

Die Intervention der Gedenkstätte, über die lokale Medien und auch der NDR berichteten, hatte nun Erfolg. Die Erklärung wurde in der ursprünglichen Form verabschiedet, nur von AfD gab es eine Gegenstimme und eine Enthaltung. Die CDU-Fraktion, die 16 von 31 Abgeordneten stellt, hatte sich entschieden, dem Originalwortlaut doch zuzustimmen. »Wir sind für eine gute Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte in Bergen-Belsen«, sagte der Fraktionsvorsitzende Eckart Borges am Freitag.

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