Weltweit reichster Gewerkschaftshasser

Amazon soll in Europa Aktivisten ausgespäht haben

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Jeff Bezos ist der reichste Mensch der Welt. Während viele Normalsterbliche in der Pandemie zusehen müssen, wo sie bleiben, macht die Coronakrise den Amazon-Gründer noch reicher. Hatte er Ende 2019 laut dem »Forbes«-Magazin 114 Milliarden US-Dollar (96 Milliarden Euro) auf dem Konto, so sind es jetzt 186 Milliarden. Diesen Freitag wird wohl noch der eine oder andere Taler hinzukommen. Denn der »Black Friday«, der letzte Freitag im November, an dem die Konsumenten mit Rabattschlachten von Amazon & Co. animiert werden, möglichst viele Weihnachtsgeschenke zu kaufen, ist traditionell einer der umsatzstärksten Tage im Jahr. Folglich wird da ordentlich Profit gemacht.

Doch liegt das Vermögen von Bezos weniger in seiner vermeintlich genialen Geschäftsidee begründet, sondern viel mehr in der Arbeit seiner derzeit weltweit rund 1,1 Millionen Angestellten. Die Schattenseiten seines Imperiums kann man in den Lagerhallen und Logistikzentren des Onlinehändlers finden. Immer wieder sorgen die dortigen Löhne und Arbeitsbedingungen für Schlagzeilen. Als die erste Corona-Welle Anfang des Jahres die Welt im Atem hielt, streikten Mitarbeiter in den USA, Frankreich und Italien wegen unzumutbaren Infektionsrisiken, weil der Konzern Maßnahmen gegen das Virus unterließ.

So wundert es nicht, dass der Konzern pünktlich zum »Black Friday« wieder für negative Schlagzeilen sorgt. Laut dem US-Magazin »Vice« soll Amazon die traditionsreiche Detektei Pinkerton angeheuert haben, um in Europa Gewerkschaften und Umweltorganisationen auszuspähen. Das Magazin beruft sich auf interne Berichte, die ihm zugespielt wurden. Gleichzeitig hat die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit dem Beginn der Nachtschicht von Mittwoch auf Donnerstag an sieben Versandzentren in Deutschland zu Streiks rund um den »Black Friday« aufgerufen. Mal wieder.

»Den Kolleginnen und Kollegen wird seit acht Jahren die geforderte tarifvertragliche und existenzsichernde Entlohnung vorenthalten«, sagt Orhan Akman, der bei Verdi für den Einzel- und Versandhandel zuständig ist. Seit 2013 ruft die Gewerkschaft immer wieder bei Amazon zu Arbeitsniederlegungen auf, um zu erreichen, dass die Beschäftigten nach dem Flächentarifvertrag für den Einzel- und Versandhandel bezahlt werden. Eine weitere Forderung ist ein Tarifvertrag für gute und gesunde Arbeit. Dieses Mal bestreikt die Gewerkschaft drei Tage lang Standorte in Leipzig, Bad Hersfeld, Rheinberg, Werne, Graben bei Augsburg und Koblenz.

»Ihr Arbeitskampf ist nicht nur gerechtfertigt, sondern unbedingt nötig. Er verdient unsere volle Unterstützung«, kommentierte die Sprecherin für Mitbestimmung und Arbeit der Linke-Bundestagsfraktion, Jutta Krellmann, den Streik gegenüber »nd«. Während Deutschland mit Corona kämpfe, scheffele Amazon Milliarden. »Nicht trotz, sondern wegen der Pandemie erzielt das Unternehmen Rekordgewinne. Diese Gewinne haben die Beschäftigten erarbeitet«, so Krellmann.

Die Gesundheit der Beschäftigten ist da offenbar Nebensache. Von den 1800 am Amazon-Standort Graben Beschäftigten 300 an Corona erkrankt, wie Verdi mitteilte. Fünf Gewerkschaftsmitglieder liegen demnach auf der Intensivstation. Auch in Koblenz wurden bei einem ersten Massentest bei 800 von 2800 Beschäftigten 170 positiv getestet, beim letzten Test vor einer Woche noch einmal 130. Die komplette Nachtschicht musste für zwei Wochen in Quarantäne geschickt werden. Hauptsache der Profit stimmt.

Von Juni bis September machte Amazon einen Umsatz von 96,1 Milliarden US-Dollar (82,3 Milliarden Euro). Das waren 37 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Der Gewinn verdreifachte sich sogar auf den bisherigen Rekordwert von 6,3 Milliarden US-Dollar. Das Unternehmen profitiert davon, dass die Menschen zunehmend online statt in der Innenstadt shoppen gehen. Es stellt deswegen in der Coronakrise auch massiv ein. Anfang des Jahres hatte Amazon laut jüngstem Geschäftsbericht weltweit noch 840 000 Beschäftigte, jetzt sind es 1,1 Millionen.

Dass der Konzern offenbar Gewerkschaften hat bespitzeln lassen, nennt Krellmann »sowas von schäbig«. Amazon müsse dafür zur Rechenschaft gezogen werden. »Die Möglichkeit, sich gewerkschaftlich zu organisieren, ist ein Grundrecht«, so Krellmann. Doch Amazon schere sich nicht darum. Der Konzern spioniere, um gewerkschaftliche Organisation im Keim zu ersticken.

Bei Amazon gibt man zwar zu, die Spionagefirma Pinkerton engagiert zu haben, bestreitet aber die Absichten. Man arbeite mit Pinkerton zusammen, »um hochwertige Sendungen auf dem Transportweg zu sichern«, erklärte Amazon-Sprecherin Lisa Levandowski gegenüber »Vice«. Doch die Dokumente, über die das Magazin berichtet, sprechen eine andere Sprache. Ein Bericht über die Lage warnt zum Beispiel vor der Basisgewerkschaft Si Cobas, für die Initiativen traditioneller Gewerkschaften bei Amazon eine »attraktive Gelegenheit« sein könnten, »daran teilzunehmen und Sichtbarkeit zu erlangen«.

Auch Standorte in Polen und Deutschland wurden in den Reporten erwähnt. So wurde dem Medienbericht zufolge im Februar ein Streik in Leipzig observiert. Laut dem Report haben daran 339 Amazon-Mitarbeiter teilgenommen, darunter kein Führungspersonal. Auch interessierte man sich hierzulande für die Aktivitäten von Umweltschützern wie Greenpeace gegen Amazon und spionierte dafür in den sozialen Medien.

Pinkerton hat übrigens eine lange Tradition im Kampf gegen Gewerkschaften. Bereits 1877 half die Firma mit, einen Eisenbahnerstreik in den USA niederzuschlagen. Rund 100 Menschen kamen dabei um.

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