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»Sagasti ist ein demokratischer Ausweg«
Der Historiker Carlos Monge über Perus Krise und den neuen Präsidenten
In Peru geben sich die Präsidenten die Klinke in die Hand: Martín Vizcarra wurde über einen parlamentarischen Putsch aus dem Amt gefegt, sein Nachfolger Manuel Merino nach wenigen Tagen von den massiven Protesten auf der Straße. Seit dem 17. November hat das Land einen neuen Präsidenten: Francisco Sagasti folgt dem zurückgetretenen erzkonservativen Manuel Merino. Was hat Peru von Sagasti zu erwarten?
Ich denke, Francisco Sagasti ist unter den kursierenden Optionen die beste Wahl. Zum einen gab es die Möglichkeit, dass der Kongress das Misstrauensvotum gegen Martín Vizcarra annulliert, zum anderen hätte das Verfassungsgericht das Misstrauensvotum gegen Vizcarra kassieren können - aber in beiden Fällen wäre ein angeschlagener, angesichts der Korruptionsvorwürfe fragwürdiger Präsident zurückgekehrt. Deshalb halte ich die Wahl eines Übergangspräsidenten durch das Parlament für eine saubere Sache. Die Parlamentarier haben sich auf einen Kandidaten verständigt, der eben nicht wie Merino als paternalistisch und korrupt gilt, also auf jemanden, der gegen die Amtsenthebung gestimmt hat, als glaubwürdig und als liberal gilt. Es gab noch eine andere Kandidatin, Rocío Silva-Santisteban von der linken Frente Amplio. Die war für viele Abgeordnete aber als Linke nicht tragbar - die Schlagzeile »Eine Kommunistin als Präsidentin« sehe ich schon vor mir. Sagasti ist ein demokratischer Ausweg aus der Krise.
Der Historiker und Anthropologe ist Lateinamerika-Koordinator des Natural Resource Governance Institute in Lima, das sich für einen transparenten und effektiven Umgang mit Ressourcen engagiert. Monge analysiert im Kontext seiner Arbeit die politische Entwicklung Perus. Über die aktuelle Krise sprach mit ihm für »nd« Knut Henkel.
Die Proteste richteten sich auch gegen die Abgeordneten: 68 der 130 im Parlament Sitzenden sind mit laufenden Ermittlungen wegen Korruption belastet - doch auch viele andere stimmten gegen Vizcarra. Und ermöglichten so den Putsch der Legislative gegen die Exekutive?
Ja, etliche dieser Abgeordneten haben sich entschuldigt, ihren Fehler eingesehen und die Folgen für die ohnehin schwache peruanische Demokratie begriffen. Unstrittig ist jedoch, dass all diese Abgeordneten genau wussten, dass Umfragen zufolge rund 80 Prozent der Bevölkerung gegen das Misstrauensvotum waren. Sie haben gegen den Wählerwillen agiert - das erklärt auch die massiven Proteste und die Wut auf die eigennützig agierenden Volksvertreter. Klar ist, dass viele Eigeninteressen folgen, weil gegen sie ermittelt wird. Viele haben für das Parlament kandidiert, um die eigenen Pfründe zu verteidigen. Aber es gibt auch die anderen, die bewusst in Kauf genommen haben, das politische System zu beschädigen - darunter auch linke Abgeordnete wie Marco Arana, der gegen Vizcarra gestimmt hat, obwohl die Korruptionsvorwürfe gegen ihn nicht belegt sind - sie beruhen nur auf der Aussage von Kronzeugen, die ihren Kopf selbst aus der Schlinge ziehen wollen.
Nach der Auflösung des Parlaments im September 2019 befindet sich Peru erneut in einer politischen Krise - wie kommt das? In beiden Fällen revoltierte das Parlament gegen die Exekutive ...
Es soll Reformen geben. Eine ist bereits auf dem Weg, denn der Passus der moralischen Unfähigkeit, der dem Parlament die Entlassung des Präsidenten ermöglicht, soll durch das Verfassungsgericht überprüft werden. Ursprünglich für den Fall der geistigen Verwirrung des Präsidenten installiert, soll der Paragraf modifiziert werden.
Zudem gibt es noch die Reform-Agenda von Präsident Martín Vizcarra, der eine Kommission eingerichtet hat, die wiederum Vorschläge für eine Reform des Wahlrechts sowie für eine Verfassungsreform ausgearbeitet hat. Das ist positiv und könnte sich schon bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im April 2021 auswirken, bei der 24 Parteien antreten wollen, 23 davon auch für die Präsidentschaft.
Die Reformvorschläge könnten das ändern, denn die Parteien dürfen fortan nicht mehr Medien im Wahlkampf für Kampagnen verpflichten, müssen ihre Wahlkampfgelder deklarieren, dürfen keine Kandidaten aufstellen, gegen die ermittelt wird, und so fort. Das könnte dazu führen, dass statt 24 Parteien nur noch acht antreten, und das wäre gut.
Bekanntlich sind viele Parteien Interessensvertretungen einzelner Unternehmer, zum Beispiel privater Universitätsbesitzer - dafür sind Podemos oder Alianza por el Progreso Beispiele, richtig?
Ja, genau, und die Transparenz in den Wahlkampfkassen ist immens wichtig. Keiko Fujimori hat 2016 Geldkoffer von Banken und 2011 vom brasilianischen Baukonzern Odebrecht erhalten. Die Reformen in der Wahlgesetzgebung wären ein erster Fortschritt. Der zweite wäre die Verfassunggebende Versammlung, die ebenfalls geplant ist.
Wird Sagasti sie auf den Weg bringen?
In seiner ersten Rede ist er darauf nicht eingegangen, wir werden sehen. Geplant war, bei den Wahlen am 11. April 2021 eine separate Urne für die Durchführung einer Verfassunggebenden Versammlung aufzustellen. Das wäre eine Chance, um aus der politischen Krise herauszukommen, die uns spätestens seit dem Jahr 2000 begleitet. Damals hoffte alle Welt nach der Ära der Fujimori-Autokratie auf einen Übergang zur Demokratie - aber der scheiterte aus heutiger Perspektive.Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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