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Entsetzen in Hildburghausen

Dass Coronaleugner an einem Thüringer Ort demonstrieren, wo das Virus grassiert, sorgt für Irritationen

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Protestierenden hätten sich keinen symbolischeren Ort und keine symbolischere Zeit aussuchen können, um ihre Botschaft zu platzieren. Dabei demonstrieren sie eine Leichtfertigkeit, nicht nur, weil einzelne von ihnen sogar ihre kleinen Kinder mitgebracht hatten. Sondern, weil sie sich am Mittwochabend ausgerechnet im Zentrum jenes Thüringer Landkreises versammelten, der derzeit so stark wie kein anderer in Deutschland von der Corona-Pandemie geplagt wird: in der Innenstadt von Hildburghausen, einer Kleinstadt ganz im Süden des Freistaats. Als sie dort marschieren, liegt der Sieben-Tage-Index der Corona-Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner im gleichnamigen Landkreis nach Angaben des Robert-Koch-Instituts bei weit über 500. Am Tag danach hat er die Marke von 600 übersprungen.

Nasen-Mund-Schutz tragen? Abstände einhalten? Überhaupt zu Hause bleiben, außer um zum Arzt oder zum Einkaufen zu gehen, so wie es die Corona-Regeln vorsehen, die für den Landkreis seit Mittwoch gelten? Mit diesen Vorgaben hält sich kaum einer der Protestierenden auf, die aus der Sicht vieler hier nur dazu gemacht werden, um sie zu knebeln und zu knechten. Einzelne halten Schilder mit der Aufschrift »Hände weg von unseren Kindern!!!« in den Händen. In dem Kreis sind seit Mittwoch auch Schulen und Kindergärten geschlossen. Alle zusammen skandieren sie unter anderem »Frieden, Freiheit, keine Diktatur«.

Symbolisch ist der Zeitpunkt dieser Demonstration zudem, weil gleichzeitig die Ministerpräsidenten der Länder gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) per Videoschalte über das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie beraten. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sieht also parallel zu dem Bund-Länder-Treffen die Bilder aus dem Landkreis - und reagiert unmittelbar nach den Beratungen entsetzt und wütend darauf.

Kaum war die Konferenz beendet, da sagt Ramelow, die Demonstranten hätten sich im höchsten Maße unsolidarisch vor allem mit denen verhalten, die ein hohes Risiko hätten, an Covid-19 zu sterben. Wer mitten in einer Pandemie ein derartiges Verhalten an den Tag lege, provoziere eine Situation, in der es irgendwann für schwer erkrankte Corona-Infizierte nicht mehr genügend Notfallbetten gebe.

Gleichzeitig droht er, sollten sich solche Proteste wiederholen, müsse es in dem Landkreis eine neue »Ausgangseinschränkung« geben. Eine Form dieser strengeren Ausgangsbeschränkungen sei, dass die Menschen dann einen Nachweis bei sich tragen müssten, aus welchem Grund sie ihre Wohnungen und Häuser verließen. »Das hat im Übrigen Bayern im Frühjahr so gemacht«, sagte Ramelow. Eine solche Nachweispflicht gilt in dem Landkreis derzeit nicht.

Am Tag nach den Protesten - die Angaben zu Teilnehmerzahlen schwanken zwischen 150 und 500 - herrscht bundesweit bei vielen, die die Pandemie ernst nehmen, Entsetzen (während sich Corona-Leugner von Kiel bis zum Bodensee sich über die Demonstration freuen); das Verhalten der Polizei hinterfragen sie angesichts des Aufmarsches kritisch. Wie so oft in den vergangenen Wochen, als die Polizei tatenlos zugesehen hatte, wie Corona-Leugner in Berlin, Leipzig, Stuttgart und ungezählten kleineren Städten gegen die Corona-Auflagen verstoßen hatten.

»Es wird einfach nicht durchgegriffen«, sagt Diana Hennig, Sprecherin einer Vernetzung von Thüringer Bündnissen gegen Rechtsextremismus. Sie selbst hatte in den vergangenen Monaten mehrere Demonstrationen gegen Aufmärsche von Corona-Leugnern angemeldet. Dabei gebe es klare rechtliche Vorgaben dazu, wie sich Menschen angesichts der Pandemie zu verhalten hätten. »Wir können es uns wirklich klemmen, Verordnungen und Gesetze zu machen, wenn die dann nicht durchgesetzt werden.« Daran habe auch die Ankündigung von Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) nichts geändert, dass solche Verstöße durch die Polizei nicht toleriert würden. Maier ist derzeit auch Chef der Innenministerkonferenz. Notfalls müssten die Teilnehmer solcher Proteste von der Polizei eingekesselt werden, um dann bei jedem Einzelnen von ihnen die Personalien festzustellen, sagte dieser unlängst.

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