Linienbus nach Buchenwald

Die Geschichte des KZ bei Weimar in drei Etappen.

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Tag nach dem Anschlag auf Hitler im Münchner Bürgerbräukeller wurde in Buchenwald zu einer Zäsur. Der Attentäter Georg Elser, noch vor der Explosion in Konstanz beim versuchten Grenzübertritt aufgegriffen, war zwar kein Jude. Doch nahm die SS am 9. November 1939 ihre Rache gezielt an jüdischen Insassen. 21 von diesen, die meisten noch jung, wurden herausgegriffen. Man ließ sie vom Lagertor aus in Richtung des Steinbruchs marschieren, in dem viele Häftlinge arbeiten mussten. Ohne Vorwarnung wurden sie hinterrücks erschossen. Das war damals, schreibt der Historiker Michael Löffelsender, selbst für KZ-Verhältnisse »beispiellos«: »Nie zuvor hatte die SS in einem Konzentrationslager so viele Menschen am helllichten Tag ermordet - und dies in Eigenregie, ohne Befehl ›von oben‹«. Die anderen jüdischen Insassen wurden kollektiv mitbestraft. Tagelang sperrte man sie hungernd in die Baracken.

Über die KZ und auch über Buchenwald ist schon viel geschrieben worden. Oft meint man, schon »alles« zu wissen. Die knappe Nahaufnahme des Lagers bei Weimar, die der Gedenkstättenmitarbeiter Löffelsender jetzt vorlegt, mag indes vielen zeigen, dass dem nicht ganz so ist - und eignet sich gegebenenfalls zur Abhilfe. Löffelsender beleuchtet nicht nur die Geschichte Buchenwalds in drei Etappen, sondern ordnet sie auch in das Gesamtsystem der Lager ein. »Buchenwald war 1938 etwas ganz anderes als im Sommer 1939 und wieder etwas anderes nach Kriegsausbruch; es wechselte sein Gesicht noch mehrere Male«: Dieser Satz des Häftlings Benedikt Kautsky - später stellvertretender Generaldirektor des österreichischen Geldinstituts Creditanstalt-Bankverein - organisiert den Aufbau der Broschüre.

Das im Juli 1937 in Betrieb genommene »K.L. Buchenwald« zählt zur zweiten Generation des Lagersystems. Zunächst hatte dieses der Ausschaltung der Opposition gedient. Doch bei den Lagern der späteren 1930er stand bereits eine Reinigung des sogenannten Volkskörpers von »Gemeinschaftsfremden« im Vordergrund, die keineswegs oppositionell aktiv gewesen sein mussten. So wurde die Zahl der als »politisch« markierten Buchenwaldinsassen von »Berufsverbrechern«, »Bibelforschern« - Zeugen Jehovas -, »Homosexuellen«, »Asozialen« - darunter Sinti und Roma sowie Jenische - und Juden übertoffen. Anhand des Schicksals der nach den Novemberpogromen von 1938 verhafteten Juden lässt sich jenes frühere Buchenwald von späteren Entwicklungen abgrenzen: Zwar erlitten diese »Aktionsjuden« Gewalt, Demütigung und Willkür; etwa 250 kamen im Lager ums Leben. Doch war ihre Haft meistens kurz. Durch den Terror sollten sie »dazu gezwungen werden, ihren Besitz aufzugeben und so rasch wie möglich zu emigrieren«.

Unter dem Titel »Krieg und Verbrechen« beschreibt Löffelsender die Jahre 1939 bis 1942 als eine zweite Phase des Lagers. Die eingangs erwähnte »Racheaktion« nach dem Attentat im Bürgerbräukeller steht exemplarisch für die Eskalation des Terrors nach Kriegsbeginn. 1939 wurden bestimmte Gruppen - zunächst Polen, an denen sich die Rache für den sogenannten Bromberger Blutsonntag austobte sowie aus Wien verschleppte Juden - in Sonderbereichen vor aller Augen dem Sterben durch Hunger, Kälte und Krankheit überlassen. Es folgte die »Aktion 14f13«: Im Frühjahr 1941 wurde ein planmäßiger Massenmord an Invaliden und Kranken verübt, im Herbst traf eine zweite Welle 384 jüdische Häftlinge. Bis 1943 wurden infolge des »Kommissarbefehls« 8000 sowjetische Kriegsgefangene erschossen.

Die Jahre 1943 und 1944 stellt Löffelsender unter Goebbels’ Parole vom »totalen Krieg«. Bestimmt war diese dritte Phase von einer kriegswirtschaftlichen Ökonomisierung des Schreckens. Karl Otto Koch, der korrupte, willkürliche und brutale Lagerchef - zwischenzeitlich tatsächlich der Bereicherung angeklagt - setzte sein Treiben in Majdanek fort. In Buchenwald übernahm Hermann Pister mit einem »buchhalterlich-planenden Führungsstil«. Er verwandelte das Lager in einen Zwangsarbeitskraft-Überlassungskonzern mit am Ende 89, teils weit entfernten Außenlagern. Zugleich blieb Buchenwald, obwohl es nicht zu den Vernichtungslagern im besetzten Polen zu zählen ist, eine Tötungsmaschine: Hatten - ermordete sowjetische Kriegsgefangene nicht eingerechnet - 1942 insgesamt 3049 Häftlinge ihr Leben verloren, waren es 1944 bereits 9715. Besonders die Bedingungen in den Außenlagern, für die Mittelbau Dora exemplarisch stehen mag, »führten zu einem steilen Anstieg der Toten«.

So sinnvoll es ist, die Geschichte von Buchenwald zu periodisieren, so gewiss ist andererseits eine Konstante: Zwischen Weimar und dem Lager, das 1938 als Stadtteil Buchenwald eingemeindet und 1939 in das städtische Linienbusnetz einbezogen wurde, bestand eine enge Beziehung. Eine SS-Fußballmannschaft spielte in der regulären Liga, das Deutsche Nationaltheater gab Sondervorstellungen im Lager. Und als Kulturkreise vor der Eröffnung gegen den eigentlich vorgesehenen Namen »K.L. Ettersberg« protestierten, weil dieser Berg eng mit Goethes Werk verbunden ist, wurde dem rasch stattgegeben. So dementiert schon der Name des Lagers spätere Legenden, man habe von alledem nicht viel gewusst.

Michael Löffelsender: Das KZ Buchenwald 1937 bis 1945. 125 S., brosch. Erhältlich bei der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen.

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