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Ein Leben lang verfolgt
Gaspar Cobo kämpft kompromisslos für sein indigenes Volk in Guatemala und zahlt einen hohen Preis
Herr Cobo, was bedeutet der Präsidentschaftswechsel in den USA für Sie?
Eine neue Hoffnung. Trump hatte zunächst die Asylverfahren nach Mexiko ausgelagert. Tausende Geflüchtete sitzen seitdem wie ich auf der mexikanischen Seite der Grenze fest und warten auf ihr Asylverfahren in den USA. Und das nun seit ein bis zwei Jahren. Denn in der Coronakrise sind die Verfahren einfach ausgesetzt worden. Der gewählte US-Präsident Biden hat versprochen, das Asylverfahren zurück in die USA zu holen.
Warum mussten Sie ihr Land, Guatemala, verlassen?
Ich bin Angehöriger der indigenen Maya Ixil. Sie waren Überlebende des Völkermordes Anfang der 1980er Jahre. Von klein auf haben meine Eltern und Großeltern mir den Respekt vor Mutter Erde nahegebracht. Unsere Region ist reich an Bodenschätzen und Wasser. Internationale Unternehmen erwerben heute Konzessionen, um sie auszubeuten. Guatemala heißt sie willkommen, ungeachtet der dramatischen Folgen. Eine kanadische Bergbaufirma erwarb die Konzession über unsere Gemeinde und versuchte, diese zu spalten. Sie wollte auch mich kaufen; ich war Übersetzer und Teil der indigenen Autoritäten. Als ich mich weigerte, begannen die Drohungen.
Der guatemaltekische Staat argumentiert, die Megaprojekte brächten Entwicklung ins Land ...
Doch in den Dörfern gleich neben den Wasserkraftwerken gibt es keinen Strom. Die Anwohner kochen auf Holzfeuern. Und wenn die Minenunternehmen gehen, sind die Gemeinden ärmer als vorher. Denn der Boden ist dann ausgetrocknet; was vorher angebaut wurde, wächst nicht mehr. Das ist die Realität der indigenen Bevölkerung in Guatemala wie weltweit. Wir werden als rückständig belächelt und unsere Rechte werden missachtet. Dabei bringt die Entwicklung, die der Westen verheißt, mit der Klimakatastrophe den Untergang.
Was bedeutet es für Sie, Angehöriger der Maya Ixil zu sein?
Ein Leben in Verfolgung. Meine Familie war in die Berge geflohen, um den Massakern zu entkommen, aber als wir zurückkehrten, gab es unsere Gemeinden nicht mehr. Wir wurden in sogenannten «Modelldörfern» in «Entwicklungspolen» («Polos de Desarrollo») angesiedelt, im Grunde waren es Lager, die von Paramilitärs kontrolliert wurden. Oft kamen Fremde ins Haus und beschimpften meinen Vater als Guerillero. Uns Kindern wurde in der Schule die eigene Sprache verboten, sie wurde aus uns herausgeprügelt. Die Strafen waren so hart, dass viele von der Schule gingen. Ich hielt durch, später studierte ich.
Sie haben eine Ixil Universität mitgegründet und wurden mit knapp 30 Jahren Teil der Autoritäten ihrer Gemeinde ...
Die wichtigste Aufgabe meiner Generation ist es, die Überlebenden des Völkermords bei der Aufarbeitung der Vergangenheit zu unterstützen. Über 100 von ihnen traten als Zeugen in dem bahnbrechenden Gerichtsverfahren (s. Kasten) gegen Diktator Efraín Rios Montt auf. Verfahren gegen hohe Militärs folgen noch. Doch aktuell müssen wir auch unser Land vor der Zerstörung bewahren.
Wie erlebten Sie die Kämpfe in Ihrer Gemeinde?
Jahrelang griffen mich Betrunkene im Dunkeln an, ich erhielt Drohanrufe. Doch ich hielt durch. Ich hatte das ja schon erlebt, als Kind, als sie meinen Vater nicht in Ruhe ließen. Ich schaffte Wachhunde an und lebte eine Zeit außerhalb des Hauses. Als wir im Mai 2019 in Nebaj eine politische Diskussion zwischen Bezirkskandidaten zur Wahl veranstalteten, kam es zum Eklat. Eigentlich war ein Dekret erlassen worden, dass am Genozid Beteiligte nicht antreten durften. Doch die Industrie- und Handelskammer, in der alle Reichen und Mächtigen Guatemalas versammelt sind, erreichte seine Rücknahme. Wir konfrontierten den Kandidaten der Partei der Tochter von Rios Montt mit der Frage, wie er als Ixil zu all dem stehe. Als ich nach der Debatte nach Hause ging, wurde ich überfallen.
Von wem?
Es war ein junger Mann, von dem ich schon lange vermutete, dass er mit den Paramilitärs zusammenarbeitete. Er wusste alles über mich, meinen Tagesablauf, wer meine Familie ist. Er schrie mich an, dies sei meine letzte Chance mich zurückzuziehen, sonst würden sie mich umbringen. Glücklicherweise kamen Passanten vorbei, so dass ich fliehen konnte. Erst sehr viel später schloss sich der Kreis, als der Mord an Juana Raymundo aufgeklärt wurde, einer engen Freundin und Aktivistin in der Bauernbewegung CODECA. Der Präsident und der Koordinator der Organisation selbst steckten hinter dem Verbrechen und ich begriff, dass es Menschen gab, die uns sehr nahe standen und Informationen weitergaben.
Nach dem Vorfall entschieden Sie sich, ihre Familie, ihre Gemeinde und ihr Land zu verlassen?
Am 8. Juni 2019 zog ich von zu Hause los, gemeinsam mit einem engen Freund, Francisco Chávez, ein wichtiger Zeuge im Gerichtsverfahren gegen Rios Montt. Wir reisten mit Schleppern Richtung USA, wie es all die Migranten und Geflüchteten aus Mittelamerika tun.
Was haben Sie auf dieser Reise erlebt?
So eine Flucht ist keine Reise, es sind horrende Kosten damit verbunden und es geschehen grausame Dinge. Man sitzt im Dunkeln übereinander in irgendwelchen Gefährten. Wir wurden von der Polizei beschimpft und ausgeraubt. An der Grenze zu den USA sperrten uns die Schlepper in eine Lagerhalle, ohne Essen und Wasser. Eines Tages kam ein kleines Mädchen mit einer neuen Gruppe an. Ihre Mutter war in der Wüste gestorben. Das Mädchen spielte tagsüber mit den anderen Kindern, nachts weinte es. Alles, was ich erlebt habe, schrieb ich nieder und machte heimlich Fotos und kleine Videos für eine befreundete Dokumentarfilmerin.
Sie sind seit über einem Jahr in Mexiko. Wie gehen Sie mit Ihrer Situation um?
Ich bin frustriert. Meine Familie ist so weit weg. Und die sozialen Kämpfe gehen weiter; die Genozidprozesse ebenso. In Guatemala wurden wichtige indigene Umweltaktivisten wie Bernardo Caal und María Choc inhaftiert, im August der Franzose Benoît Maria ermordet. Er begleitete die Ixil-Gemeinden seit über 20 Jahren, ging zehn Jahre in meinem Haus aus und ein. Mit ihm haben wir die indigene Universität gegründet und lokale Bauernmärkte aufgebaut. Er war auf seine Sicherheit bedacht, wechselte bei Verabredungen stets Zeit und Ort. Und trotzdem haben sie ihn umgebracht. Dass sie noch nicht einmal Respekt vor Ausländern haben, erschreckt mich. Das sind Zustände wie im Bürgerkrieg, als sie Jesuitenpater ermordeten, die die Gemeinden begleiteten.
Denken Sie manchmal daran, zurückzugehen?
Das ist ein ständiger Gedanke. In Guatemala ist meine Familie. Ich versuche durchzuhalten und die Chancen zu nutzen, die sich mir hier bieten. Ich knüpfe Netzwerke, um die Bewegung zu unterstützen, versuche moralische Unterstützung zu leisten. Mit Hilfe eines US-amerikanischen Anthropologen haben wir herausgefunden, dass der ehemalige Bürgermeister von Nebaj historische Landtitel gefälscht und Gemeindeland enteignet hat. Ebenso motiviere ich Menschen aus den USA, als internationale Beobachter nach Guatemala zu gehen. Denn wir kämpfen ja für das Wohlergehen der gesamten Menschheit. Irgendwann muss die Ungerechtigkeit ein Ende haben.
Sie leben nun in einem industriellen Ballungszentrum. Wie hat sich ihr Alltag verändert?
Hier ist es vollkommen anders als in Guatemala. Dort baute ich neben meinem politischen Engagement Mais und Bohnen für meine Familie an. Und im Hof halten wir Hühner. Hier in der Stadt geht man zur Schicht und kommt nachts wieder. Die Vorarbeiter sagen, was du zu tun und zu lassen hast, auch wenn du müde oder krank bist. Das ist schwer, aber ich muss ja überleben. Wenn wir uns hier in Juárez sehr einsam fühlen, fahren wir in die indigene Gemeinde, in die Colonia Tarahumara der Raramuri, die aus der Sierra hier hingezogen sind. Unter der Woche arbeite ich in einer Fabrik, die Verpackungsmaterial für die großen Montagefirmen an der Grenze herstellt. Alles geht in die USA. Das meiste Geld schicke ich an meine Familie. Um unser Haus sicherer zu machen, denn dort kann man leicht eindringen. Ich hoffe, dass ich eines Tages Land für meine Kinder kaufen kann, denn meine Familie hat ja im Bürgerkrieg alles verloren.
Wie erleben Sie die Pandemie hier?
In einer indigenen Gemeinde wirst du niemals verhungern. Hier in dieser großen Stadt ist einfach alles geschlossen. Die Stadt kann ohne die Nahrungsmittel vom Land nicht überleben. Wenn du an Orten wie diesen bist, lernst du sehr viel. Du siehst, wie die Menschen ums Überleben kämpfen, du begreifst, was Ausbeutung durch Arbeit bedeutet.
Ciudad Juárez ist die zweitgefährlichste Stadt Mexikos. Fühlen Sie sich hier sicher als politischer Flüchtling?
Keinesfalls. Als ich Asyl beantragte, ist das durch die Medien gegangen und hat auch Guatemala erreicht. «Ixiles beantragen Asyl in den USA», da haben die Ex-Militärs sich drüber echauffiert. Diese Leute haben sehr viel Macht und Einfluss. Mein Mitstreiter Francisco ist ja auch Zeuge in den Völkermordverfahren und das sind sehr umstrittene Gerichtsprozesse. Tatsächlich habe ich erst vor Kurzem gravierende Drohungen auf meinem Handy erhalten. Die Anrufer wussten sogar unsere Adresse in Ciudad Juárez. Wir sind sofort ausgezogen.
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