Chaos im Wunderland

AfD-Bundesparteitag beschließt ein Sozialpogramm und endet mit einer Neuauflage des Machtkampfes

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wir zünden hier gerade unser eigenes Haus an«, warnt ein Redner die Delegierten am Sonntagmittag auf dem AfD-Bundesparteitag in Kalkar. Seine Warnung kommt viel zu spät. Längst brennt die Luft im »Wunderland«, einem Freizeitpark mit angeschlossener Messehalle in einer nordrhein-westfälischen Kleinstadt. Über das am Vortag mit 88 Prozent beschlossene Sozialprogramm der Rechtsaußenpartei redet da längst keiner mehr. Auch der Streit darüber, dass den gesamten Parteitag über Maskenpflicht herrscht, wird zur Nebensache. Die Spannungen unter den etwa 550 Delegierten entladen sich. Es wird geschrien, Redner brüllen sich gegenseitig nieder, Pfiffe und Applaus hallen gleichzeitig durch den Saal. Anlass für die Eskalation ist ein Antrag, dem zufolge der Parteitag gegen den Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen eine Rüge aussprechen soll.

Zwei Stunden dauert die Debatte, am Ende entscheiden sich die Delegierten äußerst knapp, doch nicht darüber abzustimmen. Das PR-Desaster ist da schon längst angerichtet. »Ihre Zeit in der AfD ist vorbei«, schreit der Bundestagsabgeordnete Jürgen Pohl an Meuthen gerichtet in eines der Saalmikros. Die völkischen Nationalisten vom formal aufgelösten »Flügel« attackieren den Co-Vorsitzenden, werfen ihm parteischädigendes Verhalten und Spaltung vor. Es entlädt sich Wut, die in der Partei schon über Monate kocht und seither weiter wuchs.

Dass die Situation eskaliert, daran hat Meuthen an diesem Wochenende großen Anteil. Anstatt wie für einen Vorsitzenden üblich seine Rede am Eröffnungstag dafür zu nutzen, die Einheit der Partei zu beschwören und den politischen Gegner zu attackieren, greift der AfD-Sprecher Teile der eigenen Partei an und holt dabei zum Rundumschlag aus. »Wir leben in keiner Diktatur, sonst könnten wir diesen Parteitag wohl nicht so abhalten«, erklärt er an jene gerichtet, die sich in der Coronakrise mit den Protesten der verschwörungsgläubigen »Querdenker«-Bewegung solidarisieren. Meuthen behauptet, sieben Jahre nach Gründung der Partei seien die Erfolge der AfD »nun gefährdet wie noch nie«. Wer Begriffe wie »Ermächtigungsgesetz« nutze, wolle »bewusst Assoziationen an Hitlers Machtergreifung von 1933« wecken, was sich aber schon »von allein verbieten« sollte. Meuthen mahnt zu mehr »innerparteilicher Disziplin«.

Im Saal kommt die Rede sehr unterschiedlich an. Seine Unterstützer applaudieren, seine Gegner quittieren diese mit Buh-Rufen. Kaum ist Meuthen fertig, hagelt es in Interviews Kritik von anderen Spitzenfunktionären. Alexander Gauland, Ehrenvorsitzender der AfD, sagt, Passagen der Rede halte er für »spalterisch«. Die Co-Fraktionschefin im Bundestag, Alice Weidel, empfiehlt demonstrativ, man solle an den Protesten gegen die Corona-Politik der Bundesregierung teilnehmen. Der eigentliche Knall folgt dann aber erst am Sonntag. Nur einer hält sich bei dieser Neuauflage des Machtkampfes wieder einmal auffallend zurück. Björn Höcke, AfD-Landeschef in Thüringen und Aushängeschild der völkischen Nationalisten, wird bis zum Sonntagnachmittag kein einziges Wort an die Delegierten richten. Er schaut zu, wie andere Vertreter vom Ex-»Flügel«, darunter etwa Stephan Brandner und Hans-Thomas Tillschneider, die Demontage Meuthens betreiben. Auch wenn ihm die Rüge erspart blieb, geht der Vorsitzende angeschlagen aus diesem Parteitag.

Dabei hatte das Treffen für ihn zunächst einen erfreulichen Verlauf genommen. Bei der Nachwahl des Beisitzerpostens im Bundesvorstand – auf dem bisher der aus der AfD geworfene Andreas Kalbitz saß – verbucht das Meuthen-Lager einen wichtigen Erfolg. In einer knappen Entscheidung setzte sich die hessische Bundestagsabgeordnete Joana Cotar gegen den völkischen Europaabgeordneten Maximilian Krah durch. Einen ersten Dämpfer erhielt Meuthen aber bereits am Samstagabend. Der von ihm maßgeblich unterstützte Antrag auf ein sogenanntes Staatsbürgergeld wurde vom Parteitag nicht einmal behandelt. Im Sozialkonzept der AfD stehen dagegen nun Forderungen wie die nach einer Flexibilisierung der privaten Altersvorsorge und die Einbeziehung von Politikern und Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung.

Kurios wurde es bei der Debatte um jenen Teil des Leitantrages, der sich mit dem Thema Gesundheitspolitik befasste. Obwohl als Ergänzung zum Grundsatzprogramm gedacht, bestand der Parteitag darauf, Kritik an der Corona-Politik mit hineinzuschreiben. Einzelne Delegierte mahnten, das Thema dürfte sich in einigen Monaten erledigt haben und sei deshalb überflüssig. Aber um Sachargumente ging es in Kalkar ohnehin oftmals nur am Rande.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.