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Das verspätete Debüt
Ann-Katrin Berger ist 30, hat den Krebs besiegt und steht jetzt im DFB-Tor
Es ist fast drei Jahre her, als bei Ann-Katrin Berger mehr als nur die Karriere auf dem Spiel stand. Die Schwäbin hütete damals das Tor der Birmingham City Ladies, als die niederschmetternde Diagnose Schilddrüsenkrebs eintraf. Schon vier Monate nach der Operation stand sie jedoch wieder in der englischen Women’s Super League (WSL) auf dem Fußballplatz. Anfangs habe sie, erzählt die Torhüterin heute, natürlich Zweifel gehabt, »viele Menschen sind schon am Krebs gescheitert«. Aber nach dem Gespräch mit ihrem Arzt sei ihr bewusst geworden, dass alles wieder in Ordnung komme. »Ich war schon immer ein Kämpfertyp, habe es immer auf die harte Weise lernen wollen.«
Für die 30-Jährige geht nun ein Kindheitstraum in Erfüllung, wenn sie an diesem Dienstag in Dublin für die deutsche Frauen-Nationalmannschaft gegen Irland (18 Uhr, Sport1) debütieren darf. Die inzwischen für den FC Chelsea spielende Torhüterin kann das letzte EM-Qualifikationsspiel so wenig erwarten wie Kinder die weihnachtliche Bescherung. »Der Tag kann gar nicht schnell genug kommen«, sagt Berger, die lange auf diesen Einsatz hingearbeitet hat. »Ich bin einen anderen Weg gegangen, vielleicht den schwereren Weg. Aber ich bin für diesen Moment auf die Welt gekommen.« Zeitweise plagte sie nach dem tiefen Operationsschnitt in den Hals das Gefühl, dass ihr Kopf kein Teil ihres Körpers mehr war, so fremd fühlten sich manche Bewegungen an. Nacken- und Schultermuskulatur musste sie ganz neu aufbauen. Aber sie ließ nie locker: »Jeder weiß ja, dass Torhüter auf ihre Art und Weise verrückt sind.«
Bälle fangen verlerne der Mensch ebenso wenig wie Fahrrad fahren, erläutert sie lapidar. »Danach habe ich mich noch stärker gefühlt. Ich habe Fußball noch mehr aufgesogen.« Doch es hat viel Zeit gebraucht, alles zu verarbeiten. Erst kürzlich bei einem Gespräch mit ihrer neuen Vereinskollegin Melanie Leupolz wurde ihr gewahr, dass sie volle drei Jahre brauchte, um sich ins Bewusstsein zu rufen, »was ich geleistet habe«. Zwischenzeitlich musste sie das »Gehirn ausschalten und einfach nur funktionieren«.
Ihr Aufstieg in der vergangenen Saison zur Stammtorhüterin beim englischen Meister machte sie auch fürs Nationalteam interessant. »Seit Beginn meiner Tätigkeit als Bundestrainerin habe ich sie auf dem Schirm«, verrät Martina Voss-Tecklenburg. Sie lud Ann-Katrin Berger zunächst nur zu Lehrgängen ein, um einander kennenzulernen. »Ich erlebe sie als in sich ruhenden Typ. Sie trifft auf dem Platz mutige Entscheidungen, das spiegelt ihren Lebensweg wider«, findet die Bundestrainerin. »Sie weiß, was Lebensprioritäten sind. In einem Länderspiel kann sie sich als Persönlichkeit einbringen.«
Für Berger soll es nicht bei einem Intermezzo bleiben. Die EM 2022 findet schließlich in ihrer Wahlheimat England statt: Bei dem Turnier dabei zu sein, sagt sie, stehe definitiv auf ihrer To-do-Liste.
Folglich deutet sich ein spannender Mehrkampf zwischen völlig verschiedenen Charakteren um die Nummer eins an. »Der Kampf um die Plätze wird immer forciert - auf allen Positionen. Im Torhüterinnenbereich ist das extrem spannend«, sagt Voss-Tecklenburg. »Wenn Almuth Schult es schaffen sollte, in alter Stärke zurückzukommen, haben wir vier Torhüterinnen, die für Deutschland bei einem Turnier spielen können.« Aktuell sei aber Merle Frohms von Eintracht Frankfurt führend.
Die bereits 2014 von Turbine Potsdam ins Ausland gewechselte Ann-Katrin Berger ist die Kandidatin, die nur noch gewinnen kann. »Ich lebe noch bewusster, empfinde nichts mehr als normal, bin noch dankbarer«, sagt sie. Kein Wunder, gerade steckt auch ihr Leben wieder voller Risiken: Speziell für krebskranke Menschen stellt das Coronavirus eine gefährliche Bedrohung dar. Sie gehört zur Gruppe der Risikopatienten, »weil mir ja die Schilddrüse und zwei Lymphknoten fehlen«.
Auf dem Platz ist davon nichts zu spüren. Mit ihrer starken Physis wird der gesamte Strafraum zum Hoheitsgebiet von Berger. Aktuell hat der Weltverband Fifa die 1,80 Meter große Athletin sogar zur Wahl als »Welttorhüterin des Jahres« nominiert. »Schon unter diesen besten sechs zu sein, fühlt sich für mich wie ein Sieg an«, sagt Berger. Ihre Mutter habe bei der Nachricht noch emotionaler reagiert: »Sie hat sich bei der Arbeit ein kleines Eck gesucht und vor Freude geheult. Für alles, was ich durchmachen musste.«
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