Alarmstufe Rot in der Pflege

Diakonie-Umfrage macht katastrophale Situation während der Corona-Pandemie in der stationären Altenpflege deutlich

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

Während in der Öffentlichkeit derzeit hauptsächlich über die Sinnhaftigkeit von mehr oder weniger einschneidenden Kontaktbeschränkungen im öffentlichen und privaten Raum zur Eindämmung der Corona-Pandemie debattiert wird, herrscht in vielen besonders betroffenen Bereichen längst Alarmstufe Rot. Das zeigen die Ergebnisse einer am Mittwoch veröffentlichten repräsentativen Umfrage unter Mitarbeitenden in der stationären Altenhilfe, die von der Diakonie im Laufe des Oktobers durchgeführt wurde. Denn die Ausbreitung der Pandemie hat die ohnehin dramatische Personallage in vielen Einrichtungen weiter verschärft. Zwei Drittel der Befragten gaben an, dass der durch Corona bedingte Personalausfall nur durch Mehrarbeit und eine Umverteilung von Mitarbeitern innerhalb ihrer Einrichtung kompensiert werden kann. 70 Prozent zufolge mussten bereits Kolleginnen und Kollegen in ihrer Einrichtung wegen eines Coronaverdachts in Quarantäne.

Studienleiter Daniel Hirsch betonte, man habe eine Lücke schließen wollen und sich auf die Erfahrungen derjenigen konzentriert, »die direkt am Bett arbeiten«. Beim ersten Lockdown im März habe es schlicht »an allem gemangelt« - von der einfachen Schutzmaske bis hin zu Testmöglichkeiten. Aber auch jetzt gebe es noch Engpässe, besonders bei hochwertigen FFP2- und FFP3-Masken und Schnelltests. In Bezug auf die »systemischen Unwuchten« im Pflegebereich sei nach wie vor kein Land in Sicht.

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sieht Deutschland mitten in der zweiten Welle der Pandemie. »Und wir werden noch eine lange Strecke zu bewältigen haben«, warnt Lilie. Die Ausstattung für präventive Konzepte habe sich zwar deutlich verbessert, »aber die Personallage bleibt die Achillesferse«. So fehlen der Diakonie zufolge 100 000 Fachkräfte.

Die Mitarbeitenden seien »müde und auch wütend« und wollten sich nicht mehr mit »Klatschen auf dem Balkon abspeisen lassen«, mahnte Lilie. Von der Politik würden über 90 Prozent der Befragten vor allem eine Verbesserung der Rahmenbedingungen und klare Vorgaben für den Umgang mit der Pandemie erwarten, anstatt sich ständig ändernder Bestimmungen. Viel zu wenig Beachtung fände zudem die Belastung außerhalb der unmittelbaren Pflegetätigkeit, etwa durch Quarantäneanordnungen für eigene Familienangehörige. Auch bei der Digitalisierung der Arbeitsabläufe gebe es noch deutlichen Nachholbedarf.

Angela Noack, Pflegedienstleiterin einer stationären Einrichtung in Niesky in der Oberlausitz, berichtete über teilweise menschenunwürdige Zustände. In der ersten Welle sei nach einem diagnostizierten Fall über die Hälfte der Bewohner und Mitarbeiter positiv getestet worden. Für die 94 Bewohner hätten zeitweise nur noch sechs Pfleger pro Schicht zur Verfügung gestanden. Da sei »nur noch Notversorgung möglich« gewesen, wesentliche Aufgaben wie Sterbebegleitung, Gespräche und alltägliche Zuwendung würden in solchen Phasen komplett wegfallen. Nicht nur die physische, auch die psychische Belastung der Beteiligten habe im Zuge der Pandemie ein unerträgliches Maß erreicht. Aus ihrer Erfahrung nicht bestätigen wollte Noack Berichte, laut denen der Medikamentenmissbrauch vor allem durch Psychopharmaka und Schmerzmittel bei Pflegekräften weit verbreitet sei. Sie könne jedoch nicht ausschließen, »dass es solche Fälle gibt«.

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