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- Rondenbarg-Verfahren
»An meiner Einstellung wird auch dieser Prozess nichts ändern«
Der Angeklagte Yannik U. über das anstehende Rondenbarg-Verfahren, staatliche Repression und die Notwendigkeit von Solidarität
Sie sind einer der Angeklagten in den Rondenbarg-Prozessen. Was war am Morgen des 7. Juli 2017 aus Ihrer Sicht passiert?
Ziel der Demonstration war die Innenstadt und rote Zone rund um die Messehallen, um dort den Ablauf des Gipfels zu stören. Unser Zug ist in die Straße Rondenbarg eingebogen und wurde dort von der Polizei zerschlagen. Die berüchtigte Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit »Blumberg« kam von vorne, während von hinten eine weitere Hundertschaft samt Wasserwerfern anrückte. Wir wurden eingekesselt.
Wie war die Polizei gegen die Demonstrant*innen vorgegangen?
Sehr brutal - was ja auch in Videos teilweise zu sehen ist. So wurden Demonstrant*innen, die sich auf einer Brüstung befanden, mehr als zwei Meter in die Tiefe getrieben. Dazu gab noch das Geländer durch den Druck der anstürmenden Polizei nach und stürzte auf Personen hinab. Die Bilanz waren mehr als zehn Schwerverletzte, die direkt ins Krankenhaus mussten mit teilweise offenen Brüchen, einem angebrochenen Halswirbel und Prellungen sowie Verstauchungen.
Was wird Ihnen konkret zur Last gelegt?
Vorgeworfen wird uns laut Anklage schwerer Landfriedensbruch, tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte, versuchte gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung und die Bildung bewaffneter Gruppen. Das besondere und auch für uns Linke gefährliche daran ist jedoch, dass uns individuell gar keine konkrete Straftat vorgeworfen wird. Diese Anklagepunkte beruhen auf der alleinigen Anwesenheit auf dieser Demo.
Warum ist der Vorwurf für Linke gefährlich?
Für diesen Vorwurf wird eine Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts benutzt, wonach bei Hooligangruppen bereits das »ostentative Mitmarschieren« und die »psychische Beihilfe« der Einzelnen als Grund gesehen wird, dass diese sich strafbar gemacht haben. Das soll nun auf Demonstrationen übertragen werden, obwohl das besagte Urteil des Gerichts das explizit ausschloss. Damit wird von Seiten der Repressionsbehörden versucht, das Demonstrationsrecht auszuhöhlen und linke Straßenpräsenz zu unterbinden.
Bereits im Verfahren gegen den damals 19-jährigen Italiener Fabio V. gab es diese Vorwürfe bezüglich des Rondenbarg-Komplexes. Der Prozess war Anfang 2018 letztlich geplatzt.
Ich glaube, das Verfahren wurde bewusst fallen gelassen. Durch die Verteidigung, Fabio selbst sowie durch den Druck aus der Öffentlichkeit hätte sich ein Ergebnis angebahnt, das nicht im Interesse der Staatsanwaltschaft, aber auch der gesamten Justiz in Hamburg gewesen wäre. Ein Freispruch oder Ähnliches wäre ein Gesichtsverlust für sie gewesen, nachdem sämtliche Gerichte die Gefährlichkeit von Fabio und dieser Demonstration betont hatten und auch aus der Politik deutliche Forderungen nach harten Strafen kamen.
Und nachdem Staatsanwaltschaft, Politik und Justiz damit bei dem Verfahren von Fabio V. gescheitert waren, versuchen sie es jetzt erneut?
Ja, bei Fabio hat das nicht geklappt, weswegen es nun erneut probiert werden soll. Diesmal jedoch von Anfang an unter Ausschluss der Öffentlichkeit, um eine kritische Prozessbegleitung zu behindern und auch, um uns Angeklagte zusätzlich unter Druck zu stellen.
Warum der Aufwand?
Die Rondenbarg-Verfahren sind für die Polizei, aber auch allgemein für die politische Deutungshoheit über die Gipfeltage von großer Bedeutung. Nicht nur handelt es sich bei ihnen um einen Großteil der G20-Verfahren. Hier wird auch versucht, Härte zu zeigen, um die eigenen Fehler beim Gipfel zu relativieren. Zum Beispiel, dass trotz zehntausender Polizisten Aktivist*innen Routen blockieren konnten, die Aktionen auf der Elbchaussee nicht verhindert wurden oder die Polizei Freitagabends im Schanzenviertel ohnmächtig war und sich, zumindest anfangs, zurückziehen musste.
Es gab seit dem Sommer 2017 zahlreiche G20-bezogene Razzien, Verfahren und öffentliche Fahndungen. Wie haben Sie die staatlichen Maßnahmen wahrgenommen?
Was es im Nachgang des G20-Gipfels aber auch schon zuvor an Repression gab, hat sicher eine neue Dimension eingenommen. Hier zeigt sich das Gesicht eines Repressionsapparates, dessen Gewaltmonopol auf der Straße infrage gestellt wurde und der nun mit voller Stärke zum Gegenschlag ausholt. Zumindest für mich ist klar: Juristische Gerechtigkeit wird es nicht geben – das ist eine Illusion. Die Justiz verfolgt den Zweck, die bürgerliche Gesellschaft und ihre Grundlage, das Privateigentum, zu schützen. Sie vertritt damit direkt die Interessen der herrschenden Klasse im Kapitalismus und wird niemals in unserem Interesse handeln.
Wenn von der Justiz keine Hilfe zu erwarten ist – bekamen Sie von anderen Unterstützung?
Gerade in den letzten Wochen gab es eine Menge an Solidarität. Einerseits Schlafplatzangebote in Hamburg, eine gesicherte Begleitung zum ersten Prozesstag sowie unzählige Spenden, um die immensen Kosten eines solchen Verfahrens zu stemmen. Das ist wichtig und hilft uns, hier gibt es aber weiterhin einen großen Bedarf.
Und zum anderen?
Andererseits ist die politische Begleitung des gesamten Verfahrens wichtig, um auch als linke Bewegung zu zeigen, dass Repression nicht immer nur lähmt, sondern ihr auch aktiv begegnet werden kann. So gab es von der bundesweiten Kampagne »Gemeinschaftlicher Widerstand« jüngst einen dezentralen Aktionstag, die Rote Hilfe begleitet uns und das gesamte Verfahren schon von Anfang an, am Samstag findet dazu noch eine bundesweite Soli-Demonstration in Hamburg statt. Neben der direkten Unterstützung ist das anhaltende Engagement für eine solidarische Gesellschaft das, was Solidarität für mich ausmacht.
Inwiefern hat das Verfahren Ihr politisches Engagement in den vergangenen Jahren beeinflusst?
Wenn eine Veränderung stattgefunden hat, dann zum Positiven. Zwar gab es unmittelbar nach der Festnahme schon ein Gefühl der Ohnmacht, aber dieses konnte durch kollektive Kämpfe und Solidarität durchbrochen werden. Heute bin ich weiterhin politisch aktiv und sehe dem Verfahren eher gelassen entgegen.
Warum wollten Sie damals gegen den G20-Gipfel protestieren?
Die G20 sind hauptverantwortlich für Kriege, Umweltzerstörung, Ausbeutung und Unterdrückung – nicht nur in den eigenen Staatsgrenzen, sondern auch anderer Länder, die sie von sich abhängig gemacht haben. Sie sind ein Sinnbild des Kapitalismus und seiner Konkurrenz- und Profitlogik. Hiergegen Widerstand zu leisten und die Perspektive einer solidarischen Gesellschaft aufzuzeigen, also eines Bruches mit diesem System, waren damals die Gründe für mich, sich in Hamburg die Straße zu nehmen. Trotz Demonstrationsverboten und der polizeilichen Drohkulisse. An dieser Einstellung hat sich in der Zwischenzeit nichts geändert - und daran wird auch dieser Prozess nichts ändern.
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