Internetriese ganz altmodisch: »Praktiken aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts«

Laut »Eldiario« soll der Onlineriese Amazon in Barcelona seine Mitarbeiter überwachen lassen haben

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 3 Min.

Die spanische Gewerkschaft Arbeiterkommissionen (CCOO) klagt am Sozialgericht in Barcelona gegen Amazon. Der Grund: Der Onlineversandhändler soll Beschäftigte bespitzelt haben. »Das sind Praktiken aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, die Grundrechte verletzen«, erklärte der katalanische CCOO-Sprecher Manolo Fages. Man prüfe auch strafrechtliche Schritte. Für die CCOO, die die Mehrheit im Betriebsrat des Amazon-Lagers in Barcelona stellt, ist klar, dass durch die Überwachung eines Streiks durch eine Sicherheitsfirma das Streikrecht, die Vereinigungsfreiheit und die Rechte auf Schutz der Privatsphäre und Datenschutz der Beschäftigten und der Betriebsratsmitglieder verletzt wurden.

»Motherboard«, ein Ableger des US-Magazins »Vice«, hatte vergangene Woche berichtet, dass Amazon offenbar die Aktivitäten von Beschäftigten europaweit über die Detektei Pinkerton überwachen lässt und dazu auch Spione »einschleust«. Anfang der Woche hatte die spanische Onlinezeitung »Eldiario« berichtet, dass Pinkerton auch in Spanien aktiv war und dafür die Dienste der Sicherheitsfirma Castor & Polux genutzt habe. Überwacht wurde zum Beispiel ein Streik im Amazon-Lager in Barcelona im vergangenen Herbst. Der Bericht, den Castor & Polux für Amazon darüber angefertigt hat, liegt »Eldiario« vor.

Akribisch werden auf 51 Seiten die Aktivitäten der Belegschaft dokumentiert und die Vorgänge mit Bildmaterial untermauert. Schon in der Nacht vor dem Streiktag lagen die Spione demnach verdeckt auf der Lauer. Sie berichteten, dass sich eine »Personengruppe versammelt« habe, die sich über Kleidungsstücke als Gewerkschaftsmitglieder zeigen. »Die Gesichter werden für mögliche Identifikationen aufgezeichnet«, schreiben die Spione. Auch Autokennzeichen von Journalisten, die über den Streik berichtet haben, wurden notiert und Bilder von deren Fahrzeugen gemacht.

Wie »Eldiario« weiter berichtete, wurde anscheinend auch eine Aktion an einem Pop-Up-Store in der spanischen Hauptstadt Madrid am Black Friday 2019 überwacht. Es handelte sich um eine Aktion im Rahmen der monatelangen Tarifauseinandersetzungen mit Amazon, die es ähnlich wie in Deutschland auch in Spanien gibt. In dem internen Amazon-Dokument in englischer Sprache, das »Eldiario« ebenfalls vorliegt, wird auch die Arbeit von Journalisten analysiert. Konkret wird ein Artikel von Jesús Martínez in der Zeitung »La Información« genannt. Der Journalist wird als »sehr kritisch und gewerkschaftsnah« bezeichnet, der »in einem negativen Ton berichtet und die Message der Gewerkschaften verbreitet«.

Pinkerton hat seit Jahrzehnten den Ruf, systematisch Gewerkschaftsaktivitäten zu bekämpfen. Die von der Detektei beauftragten Akteure in Spanien sind wiederum bereits in andere Skandale verwickelt. Castor & Polux gehört dem Ex-Polizisten Julián Peribañez. Dieser ist für »Eldiario« ein alter Bekannter der »politischen Brigade«: Er habe schon in der »Operation Katalonien« eine Rolle gespielt, bei der falsche Anschuldigungen gegen Katalanen fabriziert wurden.

Das Verbindungsglied von Castor & Polux zur Polizei bei der Streiküberwachung war demnach Antonio Giménez Raso. Der Ex-Polizist ist mit dem inhaftierten Ex-Kommissar José Manuel Villarejo wegen Bildung einer kriminellen Organisation angeklagt. Die Truppe soll unter anderem der Regierung der rechten Volkspartei (PP) geholfen haben, Beweise über ihre schwarzen Kassen, Schmiergelder und illegale Parteienfinanzierung verschwinden zu lassen, was wiederum über Staatsgelder aus den Spezialfonds finanziert worden sei. Angeklagt ist deswegen auch der ehemalige Innenminister Jorge Fernández Díaz, der von seinem früheren Staatssekretär schwer belastet wird.

Der Ex-Polizist Julián Peribañez will aus Gründen der »Kundenvertraulichkeit« keine Angaben zu den Vorgängen machen. Amazon hat gegenüber »Eldiario« bestritten, dass man Pinkerton oder deren Partner damit beauftragt habe, den Streik in Barcelona zu überwachen. Dass man mit Pinkerton zusammenarbeitet, hatte Amazon dagegen schon gegenüber »Vice« eingeräumt.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.