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Der Pauseknopf im Kapitalismus
HEISSE ZEITEN - Die Klimakolumne: Die Coronakrise lehrt uns auch dies: dass es durchaus möglich ist, den Kapitalismus zu zügeln, meint Tadzio Müller.
Das Jahr neigt sich dem Ende zu, Spotify bietet an, mir die Greatest Hits von 2020 nochmal vorzuspielen - coronaadäquat vielleicht »Stayin’ alive« (BeeGees), »Don’t stand so close to me« (The Police) und gegen den emotionalen Stress »Every little thing is gonna be alright« (Bob Marley) - und zum ersten Mal in meinem Leben verfüge ich zum Jahresende mit dieser Kolumne über einen Ort, an dem ich fragen kann: Was war das Wichtigste an 2020? Was lernen wir aus diesem »dumpsterfire wrapped in a clusterfuck inside a shit-show«, diesem wirklich über alle Maßen schrecklichen Jahr?
Wir lernen, dass der Kapitalismus einen Aus- oder zumindest einen Pauseknopf besitzt - und rollen damit einen der wichtigsten Erfolge zurück, den der »kapitalistische Realismus« erzielt hatte: uns davon zu überzeugen, dass es wirklich, in Thatchers Worten, keine Alternative mehr gab.
Tadzio Müller ist Referent für Klimagerechtigkeit bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung und in der Klimabewegung aktiv.
Vielleicht erinnern Sie Sich noch an die 90er - Jahrzehnt der Globalisierungsdebatte und des neoliberalen Triumphalismus -, während derer jede Forderung nach, z.B., mehr Investitionen in Bildung, Gesundheit und Klima- oder Umweltschutz mit derselben Plattitüde beantwortet wurde: »Mag ja sein, dass das in der Ära der Nationalstaaten noch funktionierte, jetzt aber haben wir eine globalisierte Wirtschaft, und die lässt sich von nationalen Regierungen auf gar keinen Fall einschränken. Game over, Linke!«
Im Kern ging es um die Frage des Hebels: hat national konstituierte Politik überhaupt noch eine Chance, »den Kapitalismus« zu zivilisieren, gar zu kontrollieren? Die Globalisierungsdebatte lief darauf hinaus zu sagen: nein, hat sie nicht. Politische Regulierung des Kapitalismus ist, in der Ära des globalen Regierens, nur auf globaler Ebene möglich. Wer versuchte, gesellschaftliche Prioritäten wie Bildung, Klimaschutz oder Menschenrechte über die Rechte des Kapitals zu stellen, wurde abgestraft.
So blieb es bis 2020, dem Jahr, in dem Klimakrise auf Pandemiekrise traf. Plötzlich waren wieder handlungsfähige politische Systeme (ob im Gesundheits- oder Sozialhilfebereich) gefragt. Und auch wenn die Performances sehr uneben waren - Neuseeland vs. Schweden, Italien vs. USA etc -, gab es doch so etwas wie einen solidarischen, globalen Teil-Lockdown der Weltwirtschaft. Koordiniert von nationalen Regierungen. Der Hebel: Es gibt ihn noch!
Während wir in den Niederungen der Alltagspolitik diese monumental wichtige Tatsache kaum wahrnehmen, haben die klügsten (oder zumindest weitsichtigsten - was echt nicht dasselbe ist) unter den Kapitalist*innen, die Rückversicherer (München Re, Swiss Re, etc.), das Problem laut »Financial Times« klar erkannt: »Die Versicherer hätten die vollen wirtschaftlichen Kosten von Covid-19 nicht antizipiert, weil sie nicht vorhergesehen hätten, wie weit die Regierungen gehen würden, um ihre Bevölkerung zu schützen, so Christian Mumenthaler von Swiss Re. Die Regierungen hätten nicht so reagiert, wie es viele Modelle seiner Branche vorweggenommen hätten. ›Das Einzige, was keiner von uns angenommen hat, war, dass menschliche Leben höher bewertet wurden, als wir gedacht hatten. Wir hatten nicht vorhergesehen, dass sie alles schließen würden.‹«
Der Corona-Lockdown zeigt also, dass es unter bestimmten Bedingungen möglich ist, den globalen Kapitalismus im Interesse des Schutzes von Menschenleben zu kontrollieren, gar massiv herunterzufahren. Spätestens ab hier sollte die Verbindung zur Klima-Thematik offensichtlich sein: wenn wir in der Lage sind, »menschliche Leben« wieder »höher zu bewerten« als die Systembedürfnisse eines globalen Kapitalismus, dann können wir auch den in der Klimafrage notwendigen »solidarischen Klimalockdown« angehen.
Was diese Bedingungen sind, müssen wir jetzt natürlich analysieren. Bis dahin verbleibe ich mit zunehmend uncharakteristisch optimistischen Worten: Klar, 2020 war für die meisten auf der Welt ziemlich scheiße. Aber wenn wir uns immer daran erinnern, dass 2020 das Jahr war, in dem es zum ersten Mal seit 1990 geschafft wurde, den globalen Kapitalismus zu kontrollieren - vielleicht geht es dann nicht als Jahr der Coronakrise in die Geschichte ein, sondern als Jahr, in dem sich das Blatt im 4. Weltkrieg (so die Zapatistas) zwischen der Menschheit und dem globalen Schon-viel-zu-spät-Kapitalismus endlich wieder zugunsten der Menschheit wendete.
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