Hertha hofft, Union drückt

Wie sich die Stadtrivalen vor dem Berliner Derby angenähert haben

Einfach mal machen. Das hat sich Hertha BSC vor dem Stadtderby gedacht - und in der Nacht zu Dienstag in Berlin rund 60 000 kleine Vereinsfahnen aufgestellt. Keine schlechte Idee, an sich. Wenn der selbst ernannte Hauptstadtclub aus Charlottenburg nicht so wäre, wie er eben so ist. »Diese Aktion zeigt, im Gegensatz zu dem, was viele denken, dass Berlin ausdrücklich in blau-weißer Hand ist«, meint Paul Keuter. Große Worte. In der Welt der Werbung kennt sich der ehemalige Twitter-Manager bestens aus. Dass glatt geschliffene Marketingmaßnahmen im Fußball aber durchaus abschreckende Wirkungen erzeugen können, musste Keuter in seinen nunmehr fast vier Jahren in der Geschäftsleitung von Hertha jedoch schon öfter erfahren.

Zwei Ziele hat der Verein vor dem Bundesligaspiel gegen den 1. FC Union an diesem Freitag mit der Aktion immerhin erreicht: Das Derby ist trotz Geisterkulisse im Olympiastadion ein großer Aufreger. Und nicht wenige Hertha-Fans werden sich über die blau-weißen Farbtupfer in der Stadt gefreut und ein Fähnchen eingesackt haben.

Das ganz große Ziel formuliert Herthas Pressechef Max Jung: »Wir wollen die ganze Stadt für uns gewinnen.« Einfach herbeireden, wie Keuter es macht, kann man das nicht. Zuallererst muss man sich die Gunst erspielen. Aber schon da hakt es. Trotz Ausgaben von knapp 150 Millionen Euro für neue Spieler in den vergangenen anderthalb Jahren hat Hertha BSC nach bislang neun Spieltagen nur acht Punkte erspielt - und damit gerade mal die Hälfte des kommenden Gegners aus Köpenick. Deshalb fordert Manager Michael Preetz drei Punkte. »Es ist Zeit für den ersten Sieg im Olympiastadion in dieser Saison.« Mit einem Erfolg im Stadtderby hofft Hertha BSC endlich den Schwung aufnehmen zu können, um Aufwand und Ertrag wenigstens halbwegs ins Gleichgewicht zu bringen.

Beim Blick auf die jüngsten Entwicklungen in Charlottenburg könnte man meinen, dass dort beharrlich eine in der mehr und mehr kommerzialisierten Fußballwelt immer aktueller werdende Weisheit außer Kraft gesetzt wird: Bei Hertha BSC schießt Geld keine Tore. Es ist also kein Kompliment. Schon die vergangene Saison war eine große Enttäuschung. Daher ist es eher eine Frage, warum aus teuren Neuzugängen keine gute Mannschaft wird? Eine Antwort könnte sein, dass die Verantwortlichen schlecht auf dem Transfermarkt arbeiten. Krzysztof Piatek beispielsweise kam im Januar für 24 Millionen Euro nach Berlin, im Sommer wollte der Stürmer nach nur vier Toren in 15 Spielen schon wieder weg. Eine andere Antwort könnte sein, dass der Umbau des Teams zu schnell erfolgt. Weil der Druck zu groß ist. Denn seit dem Einstieg von Investor Lars Windhorst im Sommer 2019 soll aus dem Hauptstadtclub ein »Big City Club« werden. Ziel: Champions League, denn nur dort lässt sich die Rendite erwirtschaften.

Druck macht auch der Gegner. Erst der Bundesligaaufstieg des 1. FC Union führte zu einer wirklichen Konkurrenzsituation. Nach dem vor allem kämpferisch erreichten Klassenerhalt in der Premierensaison haben sich die Köpenicker fußballerisch erstaunlich schnell weiterentwickelt. Trainer Urs Fischer sagt es so: »Wir haben versucht, in all unseren Spielen dominant aufzutreten. Das werden wir auch am Freitag.« Vor allem aber können die Unioner nach mittlerweile acht ungeschlagenen Spielen selbstbewusst und befreiter auftreten. Als Favorit gehen sie aber nicht ins Derby. Diese Rolle hat keiner der beiden Vereine vor dem Spiel für sich in Anspruch genommen. Sportlich genähert haben sich die Köpenicker dem Stadtrivalen aus Charlottenburg aber allemal. Und in der von Paul Keuter aufgeworfenen Frage, in wessen Hand die Stadt ist, gilt das umso mehr: Hertha BSC hat derzeit 38 000 Mitglieder, der 1. FC Union Berlin 37 129.

Angesichts der Entwicklung beider Vereine würde der Ausgang des Derbys auch verschieden wirken. Schmerzhaft wäre eine Niederlage für beide, bei Hertha BSC jedoch könnte es noch ungemütlicher werden. Da ist der öffentlich ausgetragene Streit über die sportlichen Ziele zwischen der Vereinsführung und Jens Lehmann, der als Bevollmächtigter von Windhorst im Aufsichtsrat sitzt. Und da ist der Investor selbst: Die für Oktober vorgesehene Zahlung von 100 Millionen Euro wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.

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