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Gegen Rassismus in all seinen Formen
Aufrufen von Frauen wie Charlotte Nzimiro folgten in Hamburg Zehntausende.
Beim Treffen mit dem »nd« ist Charlotte Nzimiro wütend. Die 27-Jährige braucht ein paar Minuten, bis sie für das Gespräch bereit ist. Sie muss noch per Sprachnachricht der Berliner Rapperin Nura antworten. Man kennt sich in der Black Community, die sich in den vergangenen Jahren über die sozialen Medien vernetzt hat. Jamule, ein Rapper mit libanesisch-spanischen Wurzeln, hat sich in einem Video rassistisch gegenüber Schwarzen geäußert. Und die Community überlegt, wie damit umgehen. Nzimiro verwaltet die Instagram-Seite »Black Power Germany«, 13 000 Follower tauschen sich hier zum Thema Rassismus gegen Schwarze in Deutschland aus.
Als Nzimiro vor sechs Jahren für ihr Studium nach Hamburg zog, da fühlte sie sich sofort zu Hause. Eigentlich. »Ich hatte noch nie so viele Schwarze gesehen«, erzählt sie im Gespräch. »Und das in so vielen unterschiedlichen Schichten.« Aufgewachsen ist sie in Hannover im bürgerlichen Stadtteil Bothfeld. »Das ist eine ziemlich weiße Gegend. Und aufgrund meiner Hautfarbe habe ich dort ziemlich viel Rassismus erfahren, immer wieder, und zwar verdammt offen. Ich habe viel geweint als Kind und Jugendliche.«
In der Metropole schien zunächst alles besser. Das halte im Grunde auch bis heute an, sagt sie. »Hamburg ist eine weltoffene Großstadt, keine Frage. Ich liebe es hier.« Dennoch habe sie der Rassismus bald wieder eingeholt. Subtiler als in ihrer Heimat, aber oft nicht minder verletzend. »Mikro-Aggressionen« nennt man das, was sie beschreibt.
Sie erzählt von mehreren Sequenzen, hier beispielhaft nur eine: Als sie mit einem Freund im Restaurant essen war, bestellte sie Trüffel zu ihrem Risotto. »Bist du sicher?«, fragte die Kellnerin. »Das kostet dann nämlich fünf Euro mehr.« Ja, kein Problem, habe sie geantwortet. Nzimiro liebt Trüffel. »Ja, wirklich ganz sicher?« Ganz sicher, habe sie nochmal gesagt. Dreimal sei das so gegangen, bis die Bestellung angenommen wurde. Natürlich könnte man jetzt denken: Zufall. Aber ihr weißer Freund, die anderen weißen Gäste - bei niemandem sei es Thema gewesen, dass fünf Euro mehr sie in Unkosten stürzen könnten. Auch unterschwellig verpackt schmerze das. Zumal, wenn es immer und immer wieder passiert. Und dann begegnete es ihr doch wieder: das N-Wort. Kaum etwas empfinde sie als dermaßen verletzend. Im April 2019 startete sie ihre Black-Power-Instagram-Seite, im Dezember eine Petition auf change.org - gegen das N-Wort. Es soll rechtlich anerkannt werden, dass das Wort rassistisch ist. Bisher ist das nicht der Fall.
Im Februar veranstaltete sie ihre erste Demo, unter anderem unterstützt von der MTV-Moderatorin Aminata Belli. Erst dachte sie, niemand kommt. Doch dann wurden es 400, darunter so bekannte Gesichter wie Tänzerin Nikeata Thompson. Starke junge schwarze Frauen, die das N-Wort nicht mehr akzeptieren wollen. »Ich war da schon total geflashed, dass so viele kamen«, sagt Nzimiro.
Und dann kam George Floyds Tod. Quälend lange acht Minuten und 46 Sekunden habe die Welt auf Twitter & Co. dem Mann beim Sterben zugesehen. »Ich war erst unfassbar kraftlos«, sagt Nzimiro. »Alle gafften, teilten das Video, machten aber nichts, um dieses System zu stürzen.« Das ist vor allem ihre Botschaft an weiße Menschen: Sie sollten endlich zuhören, den systematischen Rassismus - auch den eigenen - erkennen und dann ihre Privilegien als Weiße nutzen. Im Juni geschah das dann für einen kurzen Moment auch in Deutschland. Drei große Kundgebungen gab es in Hamburg. Eine am 5. Juni vor dem amerikanischen Konsulat an der Alster mit 4500 Teilnehmenden. Zwei am Tag darauf in der Innenstadt, an Rathausmarkt und Jungfernstieg, die brachten es laut Polizei zusammen auf 14 000 Teilnehmende.
Sowohl die Alster-Demo als auch die am Rathausmarkt wurden von LaToya Oloruntoyin Manly-Spain angemeldet. Sista Oloruntoyin, wie sie in der Schwarzen Community genannt wird, kämpft seit Jahrzehnten gegen Rassismus. Die 54-Jährige ist eine führende Figur der »Black Community Coalition for Justice and Self-Defence«, aktiv bei »Lampedusa in Hamburg«, bei »Decolonize Bismarck« oder bei »Justice for Mbobda«. Seit einem Jahr organisiert sie immer und immer wieder Demos für William Tonou-Mbobda, der im Uniklinikum Eppendorf nach einem Einsatz von Sicherheitspersonal ums Leben kam. Meist kommen einige Dutzend Menschen, einmal waren es einige Tausend.
Doch diesmal, sagt auch sie, war etwas anders als sonst: »Das Video von der tragischen Ermordung von George Floyd führte zu einem Welleneffekt, der von den USA auf die ganze westliche Welt überschwappte.« Was sie allerdings nicht müde wird zu betonen: Es sei ihr und der Community nicht um Ungerechtigkeiten auf einem fernen Kontinent gegangen, sondern um den Rassismus vor der Haustür: »Deutschland ist nicht unschuldig und hat viel zu dem Narrativ beigetragen, dass Menschen afrikanischer Herkunft weniger wert sind.« Und zwar, um Sklaverei, Kolonialismus und Genozid zu rechtfertigen. Bis heute habe man diese dunkle Vergangenheit nicht aufgearbeitet.
Natürlich sei sie froh, dass im Sommer so viele Menschen zu den Demos kamen. Aber noch sei so gut wie nichts erreicht. »Staatsbeamte, Politiker, Entscheidungsträger leugnen die Existenz von institutionellem Rassismus, wobei es reichlich Beweise für systemischen Rassismus in Institutionen, im Rechtssystem, in der Bildung, in der Regierung, in der Wirtschaft, in den Medien gibt.«
Sista Oloruntoyin habe vor Jahren beschlossen, nicht mehr leise zu sein. Und egal, ob die Demos im Sommer ein Hype waren oder nicht - sie werde daran nichts ändern. Leise wollten ursprünglich die Demonstrierenden auf der zweiten großen Demo sein, nur wenige hundert Meter von Sista Oloruntoyins Kundgebung entfernt. Anmelderin der »Silent Protest Demo«, die am Ende ganz und gar nicht »silent« blieb, war Audrey Boateng. Auf Telegram und Instagram hätten sich die 20-Jährige und zunächst 15 bis 20 andere junge Schwarze aus ganz Deutschland zusammengefunden. Am Ende standen Demonstrationen in fast allen großen deutschen Städten, in München waren es allein 25 000 Menschen.
Acht Minuten und 46 Sekunden schwiegen sie zwar, in Gedenken an George Floyd, aber dann blieb der Protest nicht still in Hamburg. Der Polizei wurden es unter Corona-Bedingungen zu viele Menschen, die Versammlung wurde offiziell für beendet erklärt, aus Infektionsschutzgründen aber nicht aufgelöst. Später bedrängten Jugendliche die Polizei. Es sollen Flaschen und Steine geflogen sein, das berichten Augenzeugen und die Polizeipressestelle. Pferde, Wasserwerfer kamen zum Einsatz, Jugendliche berichteten später von Verfolgungsjagden durch Polizeibeamte, Dutzende wurden festgenommen, offenbar auch komplett Unbeteiligte. »Das Verhalten der Polizei war einfach unnötig«, sagt Boateng. Viel Unterstützung hätten sie und ihre Mitstreiter von Sista Oloruntoya und den anderen älteren Aktivist*innen bekommen, auch bei juristischen Fragen.
»Es ist traurig, dass Leute wie LaToya so lange nicht gehört wurden«, sagt Boateng. Bei der nächsten Demo am 3. Juli seien auch wieder nur 1000 Menschen gekommen. »Auch viele Schwarze sind einfach nur mit dem Flow gegangen, dem Hype gefolgt«, fürchtet sie. Dennoch: Sie und die Kerngruppe in Hamburg wollen weitermachen. Ihre nächsten Projekte setzen auch gar nicht auf der Straße an, sondern an Schulen und Kitas: »Wir wollen Workshops anbieten, Info-Veranstaltungen, zu Elternabenden gehen.« Als Boateng ein Kita-Praktikum machte, habe eines der Kinder ihr gesagt: »Mama hat mir verboten, mit dir zu spielen.« Aber trotz des immer gegenwärtigen Alltagsrassismus habe sie Hoffnung. Der erste Schritt sei gemacht. »Rassismus gibt es eben nicht erst seit George Floyd. Dieses Virus ist nicht neu.«
Auch Charlotte Nzimiro hatte zunächst Angst, dass die Aufmerksamkeit nur ein Hype sein könnte. Aber sie beobachte, auch Monate später, noch eine erhöhte Medienpräsenz. Das Buch »Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen« von Alice Hasters tauchte plötzlich in den Bestsellerlisten auf, ein Jahr nach Erscheinen. Ihre Freundin Aminata Belli moderiert wie selbstverständlich Sendungen im Öffentlich-Rechtlichen. Auch habe sie in ihrem privaten Umfeld gemerkt, dass es eine größere Bereitschaft gebe, den eigenen Rassismus zu hinterfragen.
Manche seien aber immer noch nicht zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema bereit. »Mir ist es egal, wenn Leute das nervig finden. Ich finde Rassismus auch nervig, Tag für Tag.« Umfragen bestätigen diese Ambivalenz. Im September etwa, als das Thema nach Hanau und George Floyd sehr präsent war, sprachen sich bei Civey etwa 55 Prozent der Befragten für eine Studie zu Rassismus in der deutschen Polizei aus. Ende Oktober sagten aber beim gleichen Meinungsforschungsinstitut 37 Prozent, dass es ihnen überhaupt nicht wichtig sei, sich aktiv gegen Rassismus am eigenen Arbeitsplatz einzusetzen. Jede*r Vierte würde rassistische Vorfälle nicht einmal dem Arbeitgeber melden.
So oder so: Charlotte Nzimiro und die anderen werden weitermachen. Als Ende September Fridays for Future zum Globalen Klimastreik aufriefen, gab es vielerorts eigene Black-Lives-Matter-Blöcke. Das Thema sei an vielen Stellen eben sehr anschlussfähig, sagt Nzimiro. Sie arbeite daran, ihre Petition endlich einzureichen. Mehr als 150 000 Menschen hätten mittlerweile unterzeichnet. Und neulich habe sie in der Stadt ein Plakat gesehen, über das sie sich besonders freute. Darauf stand »Black Lives Still Matter«.
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