»Das ist risikoscheu«

Der Aktivist Daniel Seiffert fordert eine Neuaufstellung der Friedensbewegung

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Wochenende ist der Aktionstag der Kampagne »Abrüsten statt Aufrüsten« mit bundesweiten, dezentralen Kundgebungen. Was erwarten Sie von den Protesten?

Die Kritik des Aktionstags ist einerseits richtig und notwendig. Ich bin auch sicher, dass sich viele aus dem Rheinmetall-entwaffnen-Bündnis an den Protesten beteiligen. In Berlin halten wir etwa einen Redebeitrag und mobilisieren dafür über die sozialen Medien. Andererseits gibt es hier in der Hauptstadt die immer gleiche Kundgebung vor dem Kanzleramt. Ich war schon auf einer ganzen Menge dieser Veranstaltungen, wenn es gut läuft, kommen 200 Teilnehmer*innen. Ambitioniert ist das nicht, sondern bequem und risikoscheu. Das Konservative ist fast schon Programm der Berliner Friedenskoordination. Bei »Rheinmetall entwaffnen« versuchen wir einen anderen Ansatz zu finden.

Daniel Seiffert
ist aktiv im Bündnis »Rheinmetall entwaffnen« und in der »Interventionistischen Linken«. Der Aktivist setzt sich für eine Erneuerung der Friedensbewegung ein. Mit Seiffert sprach Sebastian Bähr.

In der Zeitschrift »Friedensforum« hatten Sie jüngst die Friedensbewegung aufgefordert, sich neu aufzustellen. Warum?

Teile der Friedensorganisationen können und wollen sich vielleicht auch nicht angemessen auf die aktuellen Herausforderungen einstellen. Um das zu tun, müssten sie sich grundlegend erneuern, vom Alter her, aber auch mit ihrer Protestkultur. Sie müssten zudem viel offener sein für Kooperationen, sowie zugespitzter und konfrontativer in den Aktionsformen vorgehen.

Haben Sie ein Beispiel?

Ich war 2019 auf dem Ostermarsch in Berlin. Der muss bezogen auf die Aktionsform nicht unbedingt radikaler werden, in dem Sinne, dass jetzt Büros der Rüstungslobby in der Friedrichstraße gestürmt werden oder so etwas. Aber auch hier konnte man sehen, dass der Ostermarsch einfach total überaltert ist. Immer die gleichen Leute bringen mit der Wandergitarre ihre Bühnenbeiträge, manchmal sogar tatsächlich dieselben wie aus den 70er Jahren. Wo bleibt da das Angebot für die Jugend? Das Problem der Überalterung kann man dabei anpacken, wenn man Konzepte von Nachwuchsarbeit und Empowerment ernst nimmt, Mitmachangebote schafft und interne Hierarchien abbaut.

Es geht aber auch um inhaltliche Themen, oder? Für die traditionelle Friedensbewegung spielte die Gefahr eines Atomkrieges eine zentrale Rolle. Junge Aktivist*innen scheint das kaum zu beschäftigen.

Ich nehme derzeit andere Gefahren als relevanter wahr. Gegenwärtig wird die technologische Schwelle zu autonomen und teilautonomen Waffensystemen überschritten, dennoch existieren dafür keinerlei internationale Systeme der Rüstungskontrolle. Das wird zu einer extremen Asymmetrie führen zwischen denen, die diese Systeme besitzen und denjenigen, die das nicht tun. Auch die Frage der Kampfdrohnenbewaffnung Deutschlands sehe ich als relevanter an. Damit ist schließlich auch die Frage verbunden: Wie gefährlich wird Deutschland in Zukunft wieder? Die Entwicklung neuer Tötungstechnologien geht einher mit einem globalen Trend zur Aufrüstung. Wir haben es mit einem neuen Rüstungswettlauf zu tun. Auch auf der EU-Ebene schlägt sich das durch eine wachsende Rüstungszusammenarbeit nieder.

Gibt es auch einen ideologischen Konflikt, etwa bei der Bewertung des Syrienkrieges?

Es gibt Teile der klassischen Friedensorganisationen, die das emanzipatorische Potenzial der multiethnischen Strukturen in Rojava und auch deren Notwendigkeit zu taktischen Bündnissen erkennen. Daneben existieren aber auch andere, die halten die kurdische Bewegung für Separatist*innen, die gegen die völkerrechtlich legitimierte Integrität des syrischen Nationalstaates vorgehen. Aus unserer Sicht ist die Solidarität mit dem kurdischen Befreiungskampf für eine Erneuerung der Friedensbewegung essenziell. Weil es doch darum gehen sollte, emanzipatorische Bewegungen und Strukturen zu unterstützen und nicht Assad oder den US-Imperialismus.

Rojava eröffnet die Perspektive von Frieden und Emanzipation in einer Region, die in den letzten 20 Jahren in Chaos gestützt ist - und wurde. Es kann für die Linke so etwas sein und werden, was die Zapatist*innen in den 90er und 2000er Jahren für die globalisierungskritische Bewegung waren: ein Vorbild und Bezugspunkt. Ein Ort, der zeigt und vorlebt, dass es einen dritten Weg gibt, abseits von westlich-neoliberaler Demokratie und Fundamentalismus.

Zuletzt waren auch viele Fahnen von Friedensbewegten auf den Demos von rechts-offenen Gegner*innen der Corona-Maßnahmen zu sehen. Was ist davon Ihr Eindruck?

Es gibt auf den Kundgebungen diese krude Mischung von Friede, Liebe und Harmonie auf der einen Seite und Nazis, Reichsbürgern und Verschwörungswichteln auf der anderen. Ich glaube, dass sich mit diesem Phänomen die gesamte Linke auseinander setzen sollte, nicht nur die Friedensorganisationen. Diese reaktionäre Mischung ist problematisch, aber auch die kritiklose Hinnahme und Unterstützung der staatlichen Corona-Maßnahmen durch Teile der Linken. Grundrechtseinschränkungen müssen von links thematisiert werden, aber die Linke schafft es hier nicht, progressive Angebote zu machen.

Nicht leicht in Zeiten von Corona.

Nach dem Abebben der ersten Welle haben wir wieder große ungehorsame Aktionen gemacht. Denn nicht nur die Gewalt des Virus’ ist ein riesiges Problem, sondern auch das Virus der Gewalt. So haben wir bei »Rheinmetall entwaffnen« die Pandemie explizit zum Thema gemacht, indem wir unter dem Motto »Healthcare not Warfare« für eine krisensichere Gesundheitsversorgung für alle anstatt Milliarden für die Rüstungsindustrie demonstriert haben. Eine positive Erkenntnis ist dabei, dass wir auch unter den Bedingungen der Pandemie gemeinsam mit mehrere hundert Menschen die Blockade einer Panzerfabrik im August in Kassel planen und durchführen konnten.

Was ist Ihr Fazit von den Aktionen?

Unserer Einschätzung nach hatten Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall versucht, sich öffentlich wegzuducken, als wir das Werk blockierten. Wir konnten vor den Werkstoren unbehelligt sitzen bleiben. Das ist natürlich gut, weil wir den Produktionsablauf stören konnten, ohne mit Polizeigewalt konfrontiert zu werden. Welchen Effekt hat aber ein kalkulierter Regelübertritt, wenn er toleriert wird? Wir müssen also offensiver ran, müssen jedoch noch klären, wie.

Gab es hier eine Zusammenarbeit mit der traditionellen Friedensbewegung?

Wir hatten schon mehrere Male mit Friedensorganisationen zusammengearbeitet, zum Beispiel 2019, als wir das Podium der Rheinmetall-Aktionärsversammlung in Berlin besetzt hatten. Auch dieses Jahr in Kassel war die Zusammenarbeit mit dem DFG-VK und dem Friedensforum vertrauensvoll. In der Hauptstadt ist die Kooperation indes schwer.

Wie geht es weiter?

Wir wollen die manchmal sehr selbstreferenziellen internen Diskussionen hinter uns lassen. Als nächsten Schritt planen wir einen Ratschlag, um über die Verbindungen zu anderen Bewegungen wie der Klima- oder der antirassistischen Bewegung zu sprechen.

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