Gefährliches Tor nach Europa

Immer mehr Migranten wollen über die Kanaren auf das Festland gelangen

  • Mareike Treblin, El Hierro
  • Lesedauer: 4 Min.

Drei junge Männer tragen große Töpfe aus der Aula de la Naturaleza, einem Bildungsort, mitten im Wald gelegen. Die großen kanarischen Kiefern ringsum halten jedem Brand stand. Die Männer laden die leeren Töpfe ins Auto und bedanken sich. Er bereite jeden Tag ein anderes Gericht zu, erzählt Alejandro Pérez Hernández, Betreiber und Koch des Restaurants »Almendro« stolz. Gutes Essen, einfach, aber abwechslungsreich. Pérez Hernández leidet wie viele Restaurantbesitzer auf den Kanarischen Inseln unter dem Einbruch des Tourismus seit Beginn der Corona-Pandemie. Weil er für die Geflüchteten kocht, die hier seit Kurzem untergebracht sind, hat er wieder ein gesichertes Einkommen. Da die Festlandgrenzen fast unüberwindbar geworden sind und die Mittelmeerroute von Marokko - finanziert durch die EU - scharf kontrolliert wird, fliehen nun immer mehr Menschen über die gefährliche Atlantikroute nach Europa, auf die Kanarischen Inseln. Durch den Klimawandel ist die Situation vieler Menschen in Westafrika bereits prekär. Die Coronakrise hat etlichen weiteren die Lebensgrundlage entzogen.

Mindestens 700 Menschen, die in den vergangenen zweieinhalb Monaten die Überfahrt auf die Kanarischen Inseln gewagt haben, sind im Atlantik gestorben. Boote von Flüchtlingen werden leer an die Küsten gespült. Am Montag meldeten Fischer der kleinsten Insel El Hierro Reste eines »cayucos« - eines kleinen Fischerbootes. Es ist der dritte Fund von Wracks oder Wrackteilen in diesem Herbst. Rund 260 Flüchtlinge sind bereits auf El Hierro angekommen, etwa 140 von ihnen wurden von den Behörden weitergeschickt auf die anderen Kanarischen Inseln.

Abdú kommt aus Senegal. Auf Englisch erzählt er, dass sein Ziel Barcelona sei. Ein paar Männer nicken. Es gehe ihnen gut in der Unterkunft, berichten sie. Aber kalt sei es. Sie sind in der Sporthalle in Valverde, der Hauptstadt El Hierros, die auf 700 Meter Höhe liegt, untergebracht. In der Mitte der Halle wird gerade gebetet. Es gibt einen Essbereich, geschlafen wird in doppelstöckigen Feldbetten; aufgespannte Laken schaffen etwas Privatsphäre.

Von der Küste der Westsahara liegen die Kanaren nur zwischen 100 und 400 Kilometer entfernt. Die ehemalige spanische Kolonie wurde nach dem Tod von Diktator Franco 1975 freigegeben und von Marokko daraufhin besetzt. Der Westsahara-Konflikt ist zuletzt neu aufgeflammt. Marokko hat seine Truppen dort verstärkt, nachdem die sahrauische Befreiungsbewegung Polisario im November die seit 1991 geltende Waffenruhe aufkündigte. Auf El Hierro trafen sich dieser Tage die wichtigsten Politiker der Insel und erklärten sich mit der sahrauischen Bevölkerung solidarisch. Und in Madrid pocht Pablo Iglesias, Vorsitzender von Podemos, dem kleineren linken Partner in der spanischen Minderheitsregierung, darauf, endlich Konditionen für das seit mehr als 30 Jahren ausstehende UN-Referendum festzulegen. Marokko nennt er eine Diktatur. Der sozialdemokratische Koalitionspartner PSOE ist nicht erfreut. Spaniens Regierung ist in Sorge, dass Marokko nun die Grenzkontrollen schleifen lässt, denn wegen des Konflikts hat Marokko massiv Sicherheitskräfte von den Küstenstädten abgezogen. Die kanarische Regierung wiederum sieht sich allein gelassen mit der Versorgung der Ankommenden. Sie befürchtet ein weiteres Moria. Die wirtschaftliche Lage ist schwierig. Schon vor der aktuellen Zunahme der Einwanderung lag die Arbeitslosenquote für unter 25-jährige Canarios bei 62 Prozent.

Auf El Hierro wird nach Kräften geholfen. Nach ihrem regulären Dienst kommen Krankenhausbeschäftigte in die Sporthalle, um unbezahlt die Wunden der Geflüchteten zu versorgen, die diese sich während der Überfahrt auf den vollen Booten zugezogen haben. Sie haben aber die Vorgabe, nur Notfallbetreuung zu gewährleisten. Wer positiv auf Corona getestet wurde, verbringt die Quarantäne in einem abgeschotteten Bereich in derselben Halle. Wenn der zweite Coronatest nach 20 Tagen negativ ausfällt, werden die Geflüchteten in eines der Aufnahmezentren auf Teneriffa, Gran Canaria oder Fuerteventura gebracht. Eine Mitarbeiterin des Roten Kreuzes sagt, dass sie dort Spanischkurse bekommen und provisorische Ausländerausweise. Sie seien dann frei und könnten gehen. Jene, die ihren Pass dabei haben, ziehen weiter, nach Barcelona zum Beispiel. Doch genau das will die spanische Regierung verhindern: Die Kanarischen Inseln sollen kein Tor nach Europa sein.

Etwa 100 Männer sind in Valverde untergebracht, das Heim verlassen dürfen sie nur in Begleitung. Zehn von ihnen freuen sich heute über ihren Ausgang und scherzen mit einem Freiwilligen vom Roten Kreuz. Moussa, einer der älteren Bewohner, hilft dabei, dass die Regeln der Einrichtung eingehalten werden. Die jungen langweilen sich.

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