»Das ist einfach Verarsche«

Horst Seehofer gibt Studie zu Polizeialltag bei Polizeifachhochschule in Auftrag - Opposition übt Kritik

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Kaum vergeht ein Tag, an dem nicht eine extrem rechte Chatgruppe in Sicherheitsbehörden auffliegt, Drohschreiben auf interne Daten aus Polizeicomputern verweisen oder Beamte als Verdächtige in Terrorermittlungen auftauchen. Die Forderung der antirassistischen Bewegung war im Sommer eigentlich klar gewesen: Es braucht eine unabhängige Studie zum strukturellen Rassismus in der deutschen Polizei, um herauszufinden, wie groß das Problem wirklich ist. Herauskommen wird nun jedoch offenbar - wie bereits befürchtet - etwas ganz anderes.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat demnach zwar am Dienstag eine wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben, wie es aus dem Innenministerium hieß. Diese beschäftigt sich aber nur nebenbei mit dem »Grundsatz der Nulltoleranz gegenüber Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rassismus«. Vielmehr soll es um die generelle Arbeitssituation von Polizisten gehen. Die Studie will die Motivation der Beamten bei der Berufswahl, Erfahrungen im Berufsalltag sowie Gewalt gegen Polizisten beleuchten, teilte Seehofers Ministerium mit. Der »Grundsatz der Nulltoleranz« könne »bei Bedarf weiterentwickelt werden«, wenn die Ergebnisse dies nahelegten, hieß es weiter.

Entgegen den Forderungen nach einer unabhängigen Untersuchung soll die Studie zudem von der Deutschen Hochschule der Polizei entwickelt werden. Diese solle auch Handlungsempfehlungen ausarbeiten, »die sich positiv auf Arbeitszufriedenheit und Motivation von Polizeibeamten auswirken und darüber hinaus Gewalterfahrungen minimieren können«, erklärte das Innenministerium. Ein weiteres Ziel der Untersuchung sei es, »bestehende Hilfsangebote für durch Gewalt oder extreme Arbeitsbelastung betroffene Polizeibeamte zu identifizieren und Konzepte für die effektivere Ausgestaltung zu entwerfen«. Die Studie solle unterstreichen, dass die Arbeit der Polizei »unsere volle Unterstützung« verdiene, erklärte Seehofer.

Sowohl aus der Fachwelt als auch aus der Opposition gab es scharfe Kritik an dem Vorhaben. »Spannende Fragen, die die Deutsche Hochschule der Polizei im Auftrag des Bundesinnenministeriums untersuchen soll. Mit einer Studie zu Rassismus in der Polizei hat das allerdings nur noch sehr wenig zu tun«, kritisierte Tobias Singelnstein, Professor für Kriminologie an der Ruhr-Universität Bochum. Der Forscher beschäftigt sich schon länger mit Rassismus und Rechtsextremismus bei der Polizei. »Man muss davon ausgehen, dass 20 Prozent der Beamten solche Einstellungen haben. Das ist eine grobe Schätzung anhand des - leider sehr dürftigen - Forschungsstandes«, so Singelnstein. Dies sei aber »konservativ geschätzt«; es brauche dringend aktuelle Forschung.

Philipp Krüger, der Sprecher der Gruppe Polizei und Menschenrechte bei Amnesty International Deutschland, hielt die Ankündigungen von Seehofer für »etwas kryptisch«. »Man will Maßnahmen etwa gegen Rechtsextremismus ›bei Bedarf‹ weiterentwickeln. Aber wie will man den Bedarf denn feststellen, wenn es in der Studie wirklich nur um Berufswahl, -alltag und Gewalt gegen Polizei gehen soll?«, fragte der Experte.

Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linkspartei) zeigte sich unzufrieden. »Das ist einfach Verarsche. Es ging um eine unabhängige Rassismusstudie für die Polizei«, erklärte die Politikerin am Dienstag. Innenexperten von Grünen und FDP übten ähnliche Kritik. Seehofer komme »mit einem Vorschlag um die Ecke, den man als lächerlich bezeichnen müsste, wenn die Situation nicht so ernst wäre«, sagte die Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic. Der FDP-Innenexperte Benjamin Strasser fasste zusammen: »Die Studie steht leider unter keinen guten Vorzeichen.«

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