Tausende Frauen suchen Schutz

Prekäre Einkommenssituation erschwert es Frauen oft, sich aus einer gewaltgeprägten Partnerschaft zu lösen

Im vergangenen Jahr haben 7.045 erwachsene Bewohnerinnen zeitweilig in 182 Frauenhäusern gelebt, wie die Frauenhauskoordinierung (FHK) am Mittwoch in Berlin mitteilte. Hinzu kamen demnach mehr als 8.000 Kinder. Die Jahresstatistik deckt nach Angaben des Vereins knapp die Hälfte der Häuser in Deutschland ab. Der häufigste Grund für die Flucht ins Frauenhaus ist Beziehungsgewalt, ausgeübt vom Ehemann, gefolgt von Gewalt des Partners sowie vom Ex-Partner.

Während in der Gesamtgesellschaft Frauen jeden Alters, aus allen Einkommensklassen und mit diversen Bildungshintergründen sowie ungeachtet ihrer Herkunft Gewalt erleben, zeigt sich in der Belegung der Frauenhäuser ein anderes Bild. Vor allem Frauen mit geringen finanziellen Ressourcen müssen demnach die Schutzräume aufsuchen. 65 Prozent der Bewohnerinnen in Frauenhäusern beziehen Grundsicherungsleistungen. Nur etwas mehr als ein Fünftel waren vor ihrem Frauenhausaufenthalt erwerbstätig, während des Aufenthalts ging der Anteil noch um sieben Prozentpunkte auf 14 Prozent zurück.

Außerdem haben 20 Prozent der Bewohnerinnen keinen Schulabschluss, im Bundesdurchschnitt 2018 lag der Anteil von Frauen ohne Schulabschluss bei vier Prozent. Viele haben zudem auch keine Berufsausbildung. Finanzielle Abhängigkeit vom Partner sowie eine prekäre Einkommenssituation können es laut FHK Frauen erschweren, sich aus einer gewaltgeprägten Partnerschaft zu lösen und stellen eine große Herausforderung für den Neuanfang dar.

Zwei Drittel der Frauenhausnutzerinnen waren 2019 nicht in Deutschland geboren, knapp jede dritte Frau gab an, körperliche und/oder psychische Beeinträchtigungen zu haben. »Aus der Praxis wissen wir aber, dass oft kaum Mittel für entsprechende Angebote wie Sprachmittlung, Kinderbetreuung oder Unterstützung für Frauen mit Beeinträchtigungen zur Verfügung stehen«, erklärt FHK-Geschäftsführerin Heike Herold. Der erhöhte Anteil an Frauen, die nicht in Deutschland geboren sind, kann laut FHK daran liegen, dass ihnen oftmals alternative Unterbringungsmöglichkeiten aufgrund geringerer finanzieller Ressourcen fehlen.

Ein weiteres Problem ist, dass fast die Hälfte der Betroffenen ihren Aufenthalt teilweise oder vollständig selbst finanzieren müssen. Die Statistik zeigt auch, dass die Wohndauer der Bewohnerinnen seit 2010 kontinuierlich ansteigt. Immer weniger Frauen verbringen nur einen kurzen Aufenthalt von bis zu drei Monaten im Frauenhaus. Dies liegt unter anderem daran, dass es in vielen Regionen immer schwieriger wird, eine neue Wohnung zu finden. Laut FHK kann das auch der Grund dafür sein, dass im Jahr 2019 im Vergleich zum Vorjahr 127 Personen weniger in Frauenhäusern untergekommen sind. Weil bei Partnerschaftsgewalt oft Kinder mitbetroffen sind, lebten 2019 8.134 Minderjährige zeitweise in Frauenhäusern, 189 mehr als im Vorjahr. In den Schutzräumen fehlen laut FHK aber ausreichende Betreuungsmöglichkeiten, vor allem, weil externe Angebote während des Aufenthalts wegen des Wohnortswechsels oder auf Grund von Sicherheitsbedenken abnehmen.

»Wir haben nicht nur zu wenige Plätze - die Frauenhäuser, die es gibt, sind häufig chronisch unterfinanziert«, sagt Elisabeth Oberthür, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit vom FHK auf »nd«-Nachfrage. Nach Empfehlungen der Istanbul-Konvention, dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, die Deutschland schon vor Jahren unterzeichnet habe, müsste es circa 21.000 Plätze in Frauenhäusern geben. Aktuell sind es laut Oberthür aber nur etwa 6.400. »Wir fordern einen bundesweiten Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe bei Gewalt, damit wirklich jede betroffene Frau samt ihren Kindern Zugang zu angemessener Unterstützung bekommt«, so Oberthür. Bisher gibt es in Deutschland weder einen Rechtsanspruch auf einen Frauenhausplatz, noch eine einheitliche Finanzierung.

Die Coronakrise hat die schlechte Situation für die Frauenhäuser noch weiter verschärft. »In Zeiten der Pandemie müssen Frauenhäuser zum Teil ihre Belegungszahlen reduzieren, um den Infektionsschutz sicherzustellen«, erklärt Oberthür. Zudem gebe es bislang von Amtsseite keine Schnelltests für Neuaufnahmen. »Nicht zuletzt machen wir uns auch Sorgen, dass gewaltbetroffene Frauen aktuell nicht so leicht Zugang zum Hilfesystem bekommen«, ergänzt Oberthür. Das soziale Netz, das sonst als »Frühwarnsystem« dienen kann, falle weg. »Weil Kontaktaufnahme schwierig ist, wenn der Täter fast durchgehen zu Hause im Nebenzimmer sitzt.«

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