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»Ich liebe den Beruf über alles«

Es muss eine Aufstockung des Personals in den Kliniken geben, sagt Jeannine Sturm

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 5 Min.

Jeannine Sturm wirkt ausgeruht. Sie hat einen freien Tag. Die 30-Jährige arbeitet seit acht Jahren als Gesundheits- und Krankenpflegerin auf Intensivstationen in Berlin, überwiegend fest angestellt an einem »großen Haus«, wie sie sagt. Nach einer privaten Auszeit war sie auch als Leasingkraft in anderen Kliniken im Einsatz, erzählt Sturm. Neben ihrer pflegerischen Arbeit engagiert sie sich beim Berliner Bündnis »Gesundheit statt Profite«, das aus dem »Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus« hervorgegangen ist. »Gesundheitspolitisch engagiert habe ich mich in dem Moment, in dem ich festgestellt habe: So schaffe ich das nicht weiter. Ich liebe den Beruf über alles, aber um ihn durchhalten zu können, musste sich etwas ändern.« Das war vor fünf Jahren. Mitten in der zweiten Welle der Corona-Infektionen sagt sie: »Wir sind auch schon ohne Pandemie auf dem Zahnfleisch gekrochen«. Sturm ist jung und arbeitet mittlerweile in Teilzeit, sie schafft es nebenbei, Aktivistin zu sein. Bei älteren Kolleg*innen sei das ganz anders. »Ich sehe, dass ihre Augen müde sind, wenn sie sagen: ›20 Jahre lang habe ich gekämpft, ich beiße jetzt noch die Backen zusammen bis zum Ende.‹«

Niemals zuvor stand die Arbeit von Pflegekräften so sehr im Fokus wie seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. »Wie mit einer Lupe« würde so sichtbar, wie es seit Jahren in allen Berliner Kliniken aussehe, meint Sturm: Qualitätssicherung und Patientensicherheit können schon lange nicht mehr gewährleistet werden. »Weil wir zu wenige sind, entstehen für die Patient*innen Situationen, in denen sie wirklich Gefahren ausgesetzt sind«, sagt die Pflegekraft. Komplikationen könnten nicht rechtzeitig erkannt, Prophylaxen nicht durchgeführt werden. Immer wieder könne auch die Würde von Patient*innen nicht ausreichend beachtet werden: »Wir können in der Ausnahmesituation, in der sie sich befinden, nicht die nötige emotionale Zuwendung geben.«

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Die Hauptursache: Jahrzehntelange Sparmaßnahmen in der Kliniklandschaft zulasten von Beschäftigten und Patient*innen, um ein Finanzierungssystem aufrecht zu erhalten, das auf Gewinnsteigerung und Profitorientierung beruht. Schon in den 1990er Jahren wurde das Sparprimat an das Gesundheitswesen ausgegeben. Das sogenannte DRG-System (Diagnosis Related Groups, also diagnosebezogene Fallgruppen) löste 2003 das bisherige Selbstkostendeckungssystem der Kliniken ab - mit dem Ziel, die Ausgaben für das Gesundheitssystem deutlich zu senken.

Dabei werden Krankenhausfälle anhand von medizinischen Daten Fallgruppen zugeordnet. Die Einschätzung erfolgt nach den zu erwartenden Behandlungskosten und nicht nach der medizinischen Behandlung selbst. Je nach Diagnose zahlen die Krankenkassen dann einen fixen Betrag pro behandeltem Patienten. In der ersten Welle der Coronakrise hat das unter anderem dafür gesorgt, dass den Kliniken durch den Aufschub von geplanten Operationen finanzielle Nöte drohten. Kritik an diesem Finanzierungssystem kommt seit seiner Einführung nicht nur von Beschäftigten, sondern auch von zahlreichen Vertretungen wie der Bundes- oder der Berliner Ärztekammer. Aber auch Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) spricht sich für eine Reform des DRG-Systems aus. Als großer Erfolg wurde in diesem Jahr verbucht, dass die Pflege in Teilen aus den Fallpauschalen herausgenommen wurde. Jeannine Sturm befürchtet, dass dadurch andere Berufsgruppen im Krankenhaus eingespart oder gar ohne Tarifbindung »outgesourced« werden. »Auch mein Job ist deutlich einfacher, wenn es genügend Reinigungskräfte und Therapeut*innen, Logistiker*innen und Beschäftigte im Krankentransport gibt, auch sie sind für die Sicherheit der Patient*innen und das weitere Leben außerhalb des Krankenhauses unabdingbar.«

Nach dem Verständnis der gesundheitspolitischen Aktivistin zwingt die Gewinnlogik die einzelnen Akteure im Gesundheitssystem geradezu, sich an Profit und Gewinnsteigerung zu orientieren. »Es ist egal, ob es sich um private oder öffentliche Häuser handelt, es ist egal, ob sie es wollen oder nicht«, meint Sturm.

Auch große Häuser wie die Charité müssen mit dem Gewinn, der erwirtschaftet wird, Ausstattung, Modernisierung und Personal refinanzieren, sie müssen auch »unlukrative« Fachrichtungen betreuen sowie für den finanziellen Notfall Gelder vorhalten. In einem Pressegespräch erklärte Charité-Vorstand Heyo Kroemer vor diesem Hintergrund unlängst, dass er die Forderung nach Tarifbindung für die tausenden Reinigungskräfte der Charité Facility Management GmbH, einem Tochterunternehmen der landeseigenen Klinik, für überzogen halte. Die verbittert geführte Auseinandersetzung zwischen der Gewerkschaft Verdi und dem Vorstand, in deren Verlauf sogar Beschäftigten gekündigt wurde, die sich an den wochenlangen, mit Streik geführten Arbeitskämpfen beteiligt hatten, liegt mittlerweile bei einer Schlichtungskommission, die am 16. Dezember unter dem Vorsitz des ehemaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) zum ersten Mal zusammenkommen soll.

Abgesehen von der Abschaffung des DRG-Systems setzen sich Jeannine Sturm und ihr Bündnis zur Zeit vor allem für ein Instrument ein, das vor einigen Jahren im Zuge des Spardiktats wegrationalisiert wurde: eine bedarfsgerechte Personalberechnung, auch genannt Pflegepersonal-Regelung (PPR). Sie böte eine Grundlage, um die schweren Verfehlungen der vergangenen Jahrzehnte langsam wieder aufzuholen, meint Sturm. »Es muss konkret geprüft werden: Welche Patient*innen liegen auf den Stationen? Was für pflegerische Maßnahmen erfordern sie? Wie viel Zeit beansprucht die Weiterbetreuung der medizinischen Therapie?«

Als Argument gegen eine Wiedereinführung des Personalbemessungssystems wird ein damit verbundener Strukturumbau angeführt. Es sei schon jetzt ein riesiger bürokratischer Aufwand, hält Sturm dagegen. »Auch jetzt müssen normale Stationen jeden Tag ihre Pflegeplanung machen, allein für die Kodierung im Rahmen des DRG-Systems.« Aus der Erfahrung heraus sieht sie bei der Umstellung keine besonderen Schwierigkeiten. »Alles, von dem es heißt, man will es uns nicht zumuten, wird uns bereits zugemutet.« Immer mehr Akteure in der Krankenhauslandschaft schlagen denselben Kurs ein, so auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Auch die Linksfraktion im Bundestag hat einen Antrag für ein schnelles Votum zugunsten der PPR eingereicht.

Nur eine Bedarfsermittlung sorge für langfristige Qualitätssicherung, erklärt die Fachkraft. Und sie wäre ein Signal an alle, die bereits im Beruf sind oder waren. »Das allein hat Auswirkungen auf zukünftige Fachkräfte«, ist sich die Intensivpflegerin sicher. »Ohne sie gießen wir das Geld für Ausbildungsoffensiven und Anwerbungen aus dem Ausland einfach nur in ein Sieb.«

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