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Rechtsdrehende Mogelpackung
Andreas Meinzer zersägt die Ideengeschichte der Spanplatte
Zuweilen bietet die so beliebte wie auch unterschätzte RTL-Kuppelshow »Bauer sucht Frau« Anlass zu historischen Erkundungen, die überraschende Verbindungen ergeben - zum Beispiel zwischen üblen Ideologien und schlechten Werkstoffen.
So mochte man in der Episode vom 30. November 2020 die Damen schon auf den ersten Blick vor dem schnöseligen Jungbauernschönling Patrick vom Bodensee warnen - und auf den zweiten Blick tat sich ein wahrer Abgrund auf. Es stellte sich nämlich heraus, dass die Familie jenes Patrick nicht nur Rinder züchtet, sondern auch Furniere produziert - hauchdünne Holzbeläge für Spanplatten, die diese wie Holz aussehen lassen sollen: Wäre einem zu trauen, der gewerbsmäßig in den Etikettenschwindel um verleimten Holzabfall verwickelt ist?
Die Versinnbildlichung des Blendens und Betrügens, die das Produzieren von Furnieren darstellt, gab Anlass für weitere Forschungen. Die Geschichte des Pseudoholzes, dessen historische Funktion darin besteht, das Proletariat mit scheinbar billigen Schrottmöbeln zu übervorteilen, die kaum einen Umzug überstehen, begann 1932 in Baiersbronn bei Karlsruhe. Dort fiel dem Schreinersohn Max Himmelheber auf, wie viel Holzabfall ungenutzt blieb. Was, wenn man Sägemehl und Späne verkleisterte und presste? Schon hätte man ein Brett!
Die sinistre Idee machte den stolzen Weltkriegsjagdflieger nach 1945 nicht nur zum Ehrendoktor, sondern auch steinreich: Gut 80 Patentlizenzen und mehr als 100 Spanplattenwerke auf der ganzen Welt brachten dem einstigen Aktivisten der Bündischen Jugend so viel ein, dass er neben der Unholz- auch in die Produktion von Ideologien einsteigen konnte, die sich nah an der Logik der Spanplatte bewegten. So gründete er mit dem rechtsdrehenden Friedrich Georg Jünger - leiblicher wie geistiger Bruder des Stahlgewitter- und Waldspaziergang-Fans Ernst Jünger - das bis heute erscheinende Magazin »Scheidewege«, in dem sich Fortschrittsskepsis und reaktionäre Ökoideologien vereinen.
Doch nicht nur in seinem Heft bleibt Ökologie eine Mogelpackung, weil eine Kritik der Umweltzerstörung die Kritik des Kapitals erfordert. Anders als 2010 in einer SWR-Dokumentation gepriesen, ist auch sein Produkt nur schein-ökologisch: So dürfen Spanplatten wegen des enthaltenen Styropors nicht in die Gelbe Tonne, das Recyclingargument zieht nicht wirklich. Für eine ökosoziale Kreislaufwirtschaft sind gepresste Holzabfälle ungeeignet. Dass Himmelhebers Erfindung die konservative Romantik seines Heftes auch insofern hintertreibt, als dass sie den Tod eines althergebrachten Bauernhandwerks förderte, steht auf keinem anderen Blatt.
Jedenfalls ist die Spanplatte zurückzudrängen. Und sei es nur im Sinne eines weiteren unterschätzten Unterhaltungsformates: »Bares für Rares« im ZDF zeigt in seinen besten Momenten echte Nachhaltigkeit - wenn regelmäßig vererbte Möbelstücke, die ein Alter erreichen, in dem sie wurmstichig werden können, auf erhebliche Werte geschätzt werden. Wie lange sich Holzwürmer von Spanplatten nähren können, bleibt hingegen so offen wie die Frage, was Horst Lichter ohne alte Massivholzstücke täte - und die, wie es jener Julia ergehen wird, die auf den furnierglatten Typen vom Bodensee einstweilen hereingefallen ist.
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