- Politik
- Arbeitskämpfe in Ostdeutschland
»Wir mussten uns die Position neu erkämpfen«
Die Gewerkschaft NGG und die Initiative Aufbruch Ost diskutierten über Arbeitskämpfe in Ostdeutschland
Die Auseinandersetzung um den Erhalt des Haribo-Werkes im sächsischen Wilkau-Haßlau ist ein klassischer Defensivkampf. Zumindest in der ostdeutschen Ernährungsindustrie ist dies momentan aber die Ausnahme. Seit ein paar Jahren kämpft die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) offensiv darum, die Lohnmauer zum Westen einzureißen. Teilweise konnten bereits sowohl bei der Organisierung der Beschäftigten als auch bei Tarifabschlüssen wegweisende Erfolge erzielt werden. Findet hier endlich ein Aufbruch Ost statt? Und wenn ja: Wie kann man Beschäftigte unterstützen?
Diese Fragen diskutierten auf einer Veranstaltung der Landesarbeitsgemeinschaft Betrieb und Gewerkschaft der Berliner Linkspartei dieser Tage Olaf Klenke vom NGG-Landesbezirk Ost und Philipp Rubach von der Gruppe Aufbruch Ost. Die linke Initiative fordert eine Aufarbeitung der Treuhand-Verwerfungen und versucht, emanzipatorische Kämpfe im Osten zu unterstützen. Klenke berichtete von der Strategie der NGG und den Ausgangsbedingungen in der Branche.
An einzelnen Standorten, wo teilweise Hunderte Euro weniger verdient wurden als in westdeutschen Schwesterbetrieben, seien verschiedene Elemente zusammengekommen: »Massive Unzufriedenheit mit der eigenen Situation, eine politische Entfremdung vom bestehenden System, aber auch der Wille, jetzt etwas zu verändern.« Die NGG habe die Stimmung einfach aufgegriffen, erläuterte Klenke. Die Gewerkschafter hörten auf die kritischen Beschäftigten und übertrugen den neu aufgestellten oder vergrößerten Tarifkommissionen mehr Verantwortung.
Anfangs habe es sehr wohl Skepsis gegeben: »Wir mussten uns das Standing als Gewerkschaft aufgrund der Erfahrungen der letzten zwei bis drei Jahrzehnte neu erkämpfen«, resümierte Klenke. In keinem der Betriebe, wo man zuletzt Abschlüsse erzielt habe, sei seit der Wende gestreikt worden. Dass man nun nicht mehr »um jeden Preis« an einem Tarifvertrag festhalte und Armutslöhne verweigere, werde von den Belegschaften honoriert. Hilfreich sei auch gewesen, dass man das Thema 30 Jahre Wende sowie das Gefühl, Beschäftigter zweiter Klasse zu sein, aufgreife. »Wir haben aber auch immer gesagt, dass das keine Auseinandersetzung zwischen Ost und West, sondern zwischen oben und unten ist«, stellte Klenke klar.
Philipp Rubach berichtete derweil von Solidaritätskundgebungen, an denen Aufbruch Ost teilgenommen hatte. Die Aktivisten kamen mit Streikenden ins Gespräch, hielten Reden und erstellten Medienbeiträge, um Öffentlichkeit herzustellen. »Es wäre ein Fehler, die Auseinandersetzungen zur Lohnangleichung nur vor dem Hintergrund des Kampfes gegen rechts zu führen«, erläuterte Rubach die Motivation seiner Gruppe. Seine Sorge ist, dass der Eindruck entstehen könne, es gehe nicht um die Haribo-Arbeiter, sondern nur um den politischen Kampf gegen die AfD. Der Konflikt der Beschäftigten sei dabei emanzipatorisch und hätte eine eigene Berechtigung. »Wenn man ehrliches Interesse hat, stößt man auf Zustimmung«, sagte der Aktivist. Man dürfe die Rolle der AfD aber auch nicht ignorieren.
Es gelte letztlich, die »Kämpfe für Selbstermächtigung« zu unterstützen, auch durch Allianzen mit westdeutschen Mitstreitern. Die alte »Kümmererrolle« der PDS habe sich hier überlebt. Kritisch äußerte sich Rubach zur Rolle der außerparlamentarischen Linken. »Die Kämpfe bekamen nicht die Beachtung, die sie verdient hatten, das war mir zu wenig«, sagte er. Man hätte etwa zum 3. Oktober eine Solidaritätsdemo mit den Streikenden organisieren können, doch sei diese Chance verpasst worden. Jetzt sei es wichtig, dass man bei der Auseinandersetzung um das sächsische Haribo-Werk vor Ort ist und sich solidarisch zeigt.
Zentral blieb die Frage, ob Arbeitskämpfe helfen können, um reaktionäre Positionen bei Beschäftigten zurückzudrängen. »Die Leute fühlen sich krass abgeschrieben, sie haben das Gefühl, dass sich für sie keiner interessiert. Da kommt auch keine Partei vor«, berichtete Klenke von der dramatischen Lage in Ostsachsen. Die AfD kanalisiere diese Stimmung, greife aber auch auf die hier real und überproportional vorhandenen rechten und rassistischen Einstellungen zurück.
Hoffnung könne man aber trotzdem haben: »Der Großteil der Leute ist nicht verloren«, sagt Klenke. Durch einen Streik würden zwar nicht automatisch alle Teilnehmer über Nacht zu sozialkritischen und solidarischen Menschen werden. »Man fängt aber an, etwas aufzubrechen.« Eine Linke, die sich hier einbringt und für die Menschen einen konkreten Gebrauchswert habe, könne dabei helfen.
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