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Geschlossene Geschäfte, geöffnete Geldschatullen
Der hart vom Lockdown getroffene Einzelhandel soll ähnlich wie das Gastgewerbe unterstützt werden. Fragt sich nur, wann Geld fließt
Lockdown Nummer zwei: Der Großteil des Einzelhandels wird von Mittwoch an bis zum 10. Januar bundesweit geschlossen. Dass viele Händler jetzt mitten in der umsatzstärksten Zeit des Jahres zusperren müssen, trifft die Branche und die Innenstädte hart. »Das werden viele Unternehmen ohne entsprechende Staatshilfen nicht überstehen«, so der Geschäftsführer des Einzelhandelsverbandes HDE, Stefan Genth.
Der Nicht-Lebensmittelhandel wird nach HDE-Einschätzung für Dezember bei etwa minus 60 Prozent gegenüber 2019 landen. Zwölf Milliarden Euro Umsatz würden für die Händler verloren gehen. Der Lockdown trifft knapp 200 000 Handelsunternehmen, 99 Prozent sind kleine und mittlere Unternehmen. Durch den Lockdown könnten bis zu 250 000 Jobs verloren gehen, warnte der HDE am Wochenende und forderte eine Gleichbehandlung mit der Gastronomie.
Und wurde offenbar erhört: Die bestehenden Überbrückungshilfen würden mit der Lockdown-Verschärfung verlängert und in einer dritten Stufe ab Januar noch ausgeweitet, sagte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) am Montag der »Passauer Neuen Presse«. »Auf diese Weise können bis zu 90 Prozent der Fixkosten, also Miete, Pacht, Abschreibungen, erstattet werden.« Die Maximalsumme der Unterstützung werde auf bis zu 500 000 Euro im Monat erhöht.
Der Staat lässt dafür einiges springen: Ein voller Monat Überbrückungshilfe III wird laut Scholz den Bund bis zu elf Milliarden Euro kosten - was etwa den Forderungen des Einzelhandels entspricht. Gleichzeitig wird ein steuerlicher Verlustrücktrag geschaffen. Nach Weihnachten unverkäufliche Waren können von früheren Gewinnen abgezogen werden und verringern so die Steuerzahlungen.
Wozu Scholz hingegen schweigt, ist das drastische Umsatzwachstum, das Internethändler wie Amazon oder Otto dank des Lockdowns verzeichnen. Dieser Trend könnte auf Dauer den Einzelhandel noch stärker in Mitleidenschaft ziehen als Corona, befürchten Umwelt- und Verbraucherschutzverbände. Schon sprechen Ökonomen von einem bevorstehenden Strukturwandel, ähnlich wie in Luftfahrt und Autoindustrie.
Derweil sind Ämter noch mit der Auszahlung der Novemberhilfen an Gastgewerbe, Reisebüros und Unterhaltungsbetriebe beschäftigt. Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten erhalten eine einmalige Pauschale von bis zu 75 Prozent des Umsatzes, den sie im November 2019 erzielten. Da nach Angaben des Hotel- und Gaststättenverbandes die Kosten für Personal- und Wareneinsatz bis zu 30 Prozent betragen, könnte mancher Gastwirt ein gutes Corona-Geschäft machen. Aber es gibt es viele Grenzfälle, etwa Betriebe, die in diesem Jahr erweitert wurden.
Der Unternehmensverband Nord kritisiert, dass die Novemberhilfen von der Politik »mit der sehr heißen Nadel gestrickt« wurden. Die Zeche zahlen auch Kurzarbeiter, Minijobber und prekär Beschäftigte. Gewerkschaften weisen zudem auf eine Rentenlücke hin, die sich durch die niedrigeren Lohnzahlungen im Coronajahr zukünftig auftun.
Ebenfalls läuft derzeit noch die Auszahlung der Überbrückungshilfe II für Unternehmen und Selbstständige, die zwischen April und August einen Umsatzeinbruch von mindestens 30 Prozent erlitten haben. Für sie gibt es bis zu 50 000 Euro pro Monat. Betriebe können außerdem auf weitere steuerliche Hilfsmaßnahmen und auf »Schnellkredite« der staatlichen KfW-Bank zurückgreifen oder Bürgschaften aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds der Regierung beantragen. Daneben haben die Bundesländer eigene Hilfsprogramme aufgelegt.
Der Opposition im Bundestag reicht das nicht. Die bisherigen Hilfsprogramme hätten zu hohe Zugangshürden, seien zu bürokratisch und die Bearbeitung zu langsam gewesen, kritisiert der finanzpolitische Sprecher der Linksfraktion, Fabio De Masi. Von den zur Verfügung stehenden 24,6 Milliarden Euro Überbrückungshilfe seien bislang nur rund 1,5 Milliarden an die Betroffenen geflossen. »Die Hilfen für den Weihnachtslockdown dürfen nicht erst zu Ostern kommen.«
»Das Geld fließt«, verspricht Finanzminister Scholz. An den Einzelhandel würden schnell Abschlagszahlungen ausgezahlt. Insgesamt sind im Haushalt 2021 allein 39 Milliarden Euro für Wirtschafts- und Überbrückungshilfen vorgesehen. Und es gibt zusätzlichen Spielraum von 35 Milliarden. Die Bundesregierung sei auf eine lange Auseinandersetzung mit dem Virus vorbereitet.
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