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  • Käthe-Kollwitz-Museum

Ein Sterbehaus, das zu wenig zum Leben hat

Das Käthe-Kollwitz-Museum im sächsischen Moritzburg bangt angesichts andauernden Geldmangels um seine Existenz

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 9 Min.

Am 14. November 1944 schrieb Käthe Kollwitz einen Brief an ihre Kinder. Sie schildert darin den Blick von ihrem Balkon aufs Wasser; die Melancholie ist nicht zu überhören. »Das gegenüberliegende Ufer hat seine farbige Schönheit verloren«, heißt es; das Gewässer sei »modderig« geworden. Immerhin seien große Schwärme Möwen zu sehen. Ihre Aufgabe, fügt die Künstlerin hinzu, sei es, »Tag für Tag dem Ablauf eines Tages zu folgen und über ihn Buch zu führen«.

Das Gewässer, auf das die damals 77 Jahre alte Kollwitz blickte, war der Teich, in dessen Mitte das Schloss Moritzburg steht, ein Jagdschloss des sächsischen Kurfürsten August des Starken. Kollwitz lebte seit Sommer 1944 in dem kleinen Ort nördlich von Dresden. Ihre Heimatstadt Berlin, auf die sich Luftangriffe häuften, hatte sie einige Zeit zuvor verlassen und war zu einer Künstlerkollegin in Nordhausen gezogen. Ende 1943 zerstörten Bomben das Berliner Haus, in dem sie gelebt hatte. Nach Moritzburg holte sie Prinz Ernst Heinrich von Sachsen, der ihr Werk schätzte und etliche ihrer Grafiken erworben hatte. Kollwitz bezog ein Balkon- und ein Eckzimmer im Rüdenhof, keine 300 Meter vom Schloss entfernt. Zu den wenigen Dingen, die sie mitbrachte, gehörten ein eng beschriebenes Kalenderbuch und eine Replik von Goethes Sterbemaske. Die kleine Wohnung im ersten Stock sollte ihr letztes Domizil werden. Am 22. April 1945 starb Kollwitz in Moritzburg.

Heute ist das Haus »der einzige authentische Ort, der mit Käthe Kollwitz verbunden ist«, sagt Sabine Hänisch. Sie leitet ein Museum, das zum 50. Todestag der Künstlerin im Jahr 1995 im Rüdenhof eröffnet wurde, dessen Entstehung ein anrührendes Beispiel deutsch-deutscher Vereinigungseuphorie ist, von dem im Winter 2020 aber niemand sagen kann, wie lange es noch besteht. Das Museum hat nämlich finanzielle Nöte; »seit zwei Jahren wissen wir kaum noch, wie wir über die Runden kommen sollen«, sagt Hänisch. Eine Gnadenfrist läuft Ende 2021 ab. Bis dahin soll es ein »tragfähiges Konzept für den Fortbestand« geben, hat der Gemeinderat von Moritzburg unlängst entschieden. Anderenfalls wird es deutlich weniger Geld von der Gemeinde geben, was wohl das Aus bedeuten würde.

Wer Hänischs Darlegungen lauscht, fühlt sich an einen weiteren Brief von Kollwitz erinnert, der in der Ausstellung zu lesen ist. »Fragt mich jemand, wie es mir geht, so sage ich meist: ›schlecht‹«, hatte sie bereits im Oktober 1942 geschrieben. Es war Krieg; sie war alt und hatte wegen gesundheitlicher Beschwerden seit Monaten nicht mehr arbeiten können. Kurze Zeit später sollte ihr Enkel Peter fallen, der den gleichen Namen trug wie ihr 1914 in Flandern gefallener zweiter Sohn. Dennoch sei sie, fügte Kollwitz in dem Brief an, »manchmal erstaunt, wie ich das aushalte, ohne mich ganz unglücklich zu fühlen«. An den meisten Tagen gebe es »Momente, wo ich innerlich und aufrichtig denke: danke!« Ein Beispiel schilderte sie im Oktober 1944. »Die Landschaft ist noch schön, das Wetter noch herrlich«, schrieb sie: »Ich kann noch stundenlang täglich auf dem Balkon sitzen ...«

Ein Dreivierteljahrhundert später liegt das Moritzburger Schloss mit seinen vier Ecktürmen in der Wintersonne; eiskalter Wind pfeift über den nach dem Abfischen noch fast wasserleeren Teich. Wegen des Corona-Lockdowns verlieren sich nur wenige Spaziergänger auf den Wegen um das Schloss, das in den nächsten Tagen immerhin regelmäßig im Fernsehen zu sehen sein wird, weil es ein Drehort für den Weihnachtsklassiker »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« war. Auch im Rüdenhof hätte es einige vorweihnachtliche Veranstaltungen gegeben, die aber allesamt ausfallen. Das Café und die Druckwerkstatt, in der Schüler sonst der Künstlerin Kollwitz nacheifern und sich an Techniken wie Kaltnadelradierung versuchen, liegen verwaist; ebenso eine Sonderausstellung, in der politische Plakate zu sehen wären. 5000 Besucher, wie es sie sonst im Laufe eines Jahres im Moritzburger Käthe-Kollwitz-Haus gibt, werden es in diesem Jahr nicht. Die finanziellen Probleme für das Museum werden dadurch nicht kleiner.

Dass für Kollwitz überhaupt ein Museum in ihrem Sterbehaus eingerichtet wurde, ist wesentlich einem Kölner Sparkassendirektor zu verdanken: dem inzwischen 90-jährigen Hans-Joachim Möhle. In den Jahren der DDR wurde an die Künstlerin im Schloss erinnert. Warum es kein nur der Künstlerin gewidmetes Museum gab, obwohl sie in der DDR hochgeschätzt war, sei »eine spannende Frage«, sagt Hänisch. Ein solches eröffnete im April 1985 derweil in Köln, nachdem die dortige Kreissparkasse ein Konvolut mit 60 Kollwitz-Werken von der Familie erworben und es ergänzt hatte.

In Moritzburg war es Mitgliedern des Kulturbundes bis 1989 immerhin gelungen, die Kollwitz-Räume im Rüdenhof von der Wohnungsverwaltung »freilenken« zu lassen, sagt Hänisch; das Haus sei aber baulich in einem schlimmen Zustand gewesen. Mit Hilfe aus Köln wurde 1994 eine »Stiftung Käthe-Kollwitz-Haus« in Moritzburg gegründet, an der neben der westdeutschen Kreissparkasse die Nachfahren der Künstlerin, die Gemeinde Moritzburg, der Freistaat in Gestalt des Ministeriums für Kunst, außerdem ein Freundeskreis und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz beteiligt sind. Das Gebäude wurde saniert und am Todestag von Kollwitz am 22. April 1995 als Museum eingeweiht.

Wer dieses heute besucht, kann vor allem Zeichnungen und Drucke von Kollwitz bewundern: Blätter aus dem Zyklus »Ein Weberaufstand«, der unter dem Eindruck von Gerhart Hauptmanns Drama »Die Weber« entstand und mit dem ihr 1898 der künstlerische Durchbruch gelang; Grafiken aus ihrem Zyklus zum Bauernkrieg; weitere Holzschnitte, in denen sie sich mit dem Thema Krieg auseinandersetzte. Zu sehen ist ihre aufwühlende Grafik »Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden«, die nach dem Tod ihres 19-jährigen Enkels an der Ostfront entstand und eine verzweifelte Mutter zeigt, die mit ihren Armen drei Kinder beschützt. Auch einige Plastiken sind zu sehen, außerdem die Goethe-Maske und das Kalenderbuch.

Skizzen von oder aus Moritzburg gibt es indes nicht. Zwar habe ihre Enkelin Jutta, die Kollwitz in ihren letzten Monaten zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Jördis pflegte, aus Dresden Zeichenutensilien mitgebracht und ihr ein »Abkommen« angeboten, schrieb Kollwitz im Oktober 1944: Gleich nach der morgendlichen Tasse Bohnenkaffee solle sie doch versuchen, etwas zu arbeiten. »Nur leider sind meine Augen ebenfalls sehr schlecht geworden«, klagte die Künstlerin. Und selbst »die Brille hilft mir nichts mehr«.

Derlei Gedanken und Beobachtungen artikulierte Kollwitz in Briefen und Tagebucheinträgen, die sie nach dem Vorbild des von ihr verehrten Goethe anfertigte und die in der Ausstellung ebenfalls umfänglich nachzulesen sind. Sie tragen zu einer besonderen Atmosphäre des Hauses bei, sagt Frank Richter, im nahen Meißen beheimateter Abgeordneter der SPD im sächsischen Landtag. Kollwitz’ Sätze berühren stark in einer Zeit, in der viele Menschen »mit Einsamkeit, mit den Attributen des Alters, mit Hinfälligkeit, Pflegebedürftigkeit und Depression« konfrontiert seien, sagt der einstige Theologe nach einem Besuch in Moritzburg: »Man verlässt das Haus ruhiger und gütiger.«

Um so dringlicher fände es auch Richter, Museum und Stiftung auf eine solide finanzielle Basis zu stellen. Bisher kommt Geld aus drei Quellen: von der Gemeinde, der Kreissparkasse Köln und vom Kulturraum Meißen/Sächsische Schweiz/Osterzgebirge. Die Kulturräume haben die Aufgabe, Kommunen bei »Aufgaben von regionaler Bedeutung« zu unterstützen, erklärt das Landratsamt Meißen. Sie erhalten dafür Geld vom Freistaat; wie und nach welchen Kriterien es verteilt wird, entscheiden Gremien in den jeweiligen Regionen.

Dem Käthe-Kollwitz-Haus wird zwar vom Kulturraum eine »überregionale kulturhistorische, landschafts- und ortsbildprägende Bedeutsamkeit« beigemessen. Trotzdem sinken die Zuschüsse rapide. 2018 waren es 40 000 Euro; aktuell sind es nur noch 24 700 Euro. Mittel für die museumspädagogische Arbeit wurden komplett gestrichen. Den Ausschlag dafür gäben eine geänderte Förderrichtlinie und ein »daraus resultierendes Bewertungssystem«, erklärt das Landratsamt Meißen.

Sabine Hänisch war an der Erarbeitung der Kriterien in einer Arbeitsgruppe sogar beteiligt. Diese orientierten sich an den Maßgaben des internationalen Museumsbundes; Punkte gibt es zum Beispiel für Forschungsarbeit, die Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen, für Publikationen, Sonderausstellungen oder die Zahl der beschäftigten Fachkräfte. Das Kollwitz-Haus, in dem zwei Mitarbeiterinnen in Teilzeit und eine Museumspädagogin auf Honorarbasis arbeiten, könne vieles davon nicht leisten, sagt die Chefin. Andere Kriterien, etwa Kollwitz’ Bedeutung als Künstlerin, kommen nicht zum Tragen. Es sei, sagt Hänisch, »eine reine Rechenaufgabe«. Sie erinnert sich an eine Vorgabe für die Erarbeitung der Kriterien: Diese dürften nicht dazu führen, dass Einrichtungen in ihrer Existenz bedroht seien. Genau das ist für das Kollwitz-Haus nun aber zu befürchten. Beim Kulturraum wird derweil auf die »Vielzahl« von Anträgen und das begrenzte Budget verwiesen. Es müsse nun einmal anhand der Bewertung und der Qualitätskriterien »eine Abstufung der auszureichenden Finanzzuweisungen« erfolgen.

Die anderen Träger des Kollwitz-Hauses haben sich bisher redlich bemüht, die Einbußen zu kompensieren. Die Kölner Kreissparkasse erhöhte ihren Zuschuss von 23 000 auf 30 000 Euro; die Gemeinde Moritzburg, die nur gut 8000 Einwohner und eine Reihe weitere Kulturdenkmäler zu unterhalten hat, gibt im Jahr 2021 ebenfalls 30 000 Euro, 7250 Euro mehr als in diesem Jahr. Allerdings dürfte, wie aus einer vom Verwaltungsausschuss in Auftrag gegebenen Studie hervorgeht, der Finanzbedarf bis 2024 wegen anstehender Sanierungsarbeiten am Haus auf 58 000, womöglich gar 88 000 Euro ansteigen. Diese Zahlen zitierte die »Sächsische Zeitung«, nachdem der Gemeinderat Anfang November den erhöhten Zuschuss beschlossen hatte. Die Studie halte die Stiftung perspektivisch für »unterfinanziert« und in ihrer jetzigen Gestalt für »nicht überlebensfähig«, wird Vize-Bürgermeister Volker John (CDU) zitiert. Auf Gesprächsanfragen des »nd« gab es aus der Moritzburger Gemeindeverwaltung leider keine Reaktion.

Die Gemeinde drängt nun auf neue Ideen für die Finanzierung. Bis Ende 2021, heißt es in der »Sächsischen Zeitung«, müsse es ein tragfähiges Konzept für den Fortbestand der Stiftung und damit des Museums geben. Anderenfalls werde Moritzburg nur noch den sogenannten »Sitzgemeindeanteil« bezahlen. Dieser ist mindestens nötig, um überhaupt Gelder vom Kulturraum zu erhalten, liegt aber deutlich unter dem jetzigen Betrag.

Hoffnungen ruhen nun auf dem Land. Sie hoffe auf ein Gespräch mit der für Kunst zuständigen CDU-Ministerin Barbara Klepsch, sagt Sabine Hänisch. Ob es vom Freistaat eine direkte Förderung gibt oder das Haus unter das Dach einer bestehenden Kultureinrichtung des Landes genommen werde, sei nachrangig: »Das A und O wäre, dass wir langfristig Sicherheit erhalten.«

Frank Richter, der in der in Sachsen mitregierenden SPD-Fraktion für Kultur zuständig ist, hält das ebenfalls für dringend geboten - und sieht darüber hinaus den Bund in der Pflicht. Kollwitz sei »die größte bildende Künstlerin, die Deutschland im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat«, sagt er. Das Haus, in dem sie starb, sei deshalb »ein Schatz, der auf die nationale Ebene gehört«. Bisher freilich hat der Bund entsprechende Bitten aus Moritzburg - wenngleich mit freundlichem Bedauern - abgelehnt.

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