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Primat der Öffnung

Hamburgs Schulbehörde will die Lehranstalten auch im harten Lockdown nicht konsequent schließen

  • Guido Sprügel
  • Lesedauer: 4 Min.

Nun ist sie also ausgesetzt: die Präsenzpflicht in den Hamburger Schulen. Dies bedeutet aber mitnichten geschlossene Schulen. Zwar ermöglicht der am 13. Dezember von den Ministerpräsident*innen der Länder zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel beschlossene »harte Lockdown«, die komplette Schließung der Schulen. Er erlaubt aber alternativ, die Präsenzpflicht aufzuheben. Die Hansestadt hat sich für letzteres Szenario entschieden.

Das kam nicht unerwartet, denn Schulsenator Ties Rabe (SPD) postuliert seit Wochen, die Schulen seien keine »Pandemietreiber« und müssten geöffnet bleiben. Mit seiner Verfügung für die Zeit vom 16. Dezember bis zum 10. Januar hat der Hamburger Senat also Eltern und Schulen die Verantwortung aufgebürdet. Die Familien müssen nun individuell entscheiden. Bleiben die Kinder zu Hause, ist der Pandemieeindämmung Genüge getan. Die Eltern sind dann aber gezwungen, sich Urlaub zu nehmen oder den Arbeitgeber zu überreden, ihnen die Möglichkeit zu geben, von zu Hause zu arbeiten. Die Schulen sind aufgerufen, Fernunterricht anzubieten. Die technische Ausstattung ist aber vielfach so miserabel wie im Frühjahr. Eine schlichte Ferienverlängerung um insgesamt sieben Schultage scheint für den Senat undenkbar zu sein.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) reagierte empört. Ein weiteres Mal entziehe sich die Schulbehörde ihrer Verantwortung, monierte Anja Bensinger-Stolze, Vorsitzende der GEW Hamburg. Statt eine Schulschließung für die Zeit des Lockdowns anzuordnen, und damit das Infektionsrisiko zu minimieren, erlege sie »den Eltern die Verantwortung über die Entscheidung des Schulbesuchs ihrer Kinder auf und lässt die Schulen allein«. Auch die Vereinigung der Schulleitungen der Stadtteilschulen kritisierte das Vorgehen des Senats.

In den Wochen vor dem Lockdown-Beschluss von Bund und Ländern hatte Senator Rabe immer wieder mit Zahlen über die geringen Infektionszahlen in Schulen jongliert, ohne stichhaltige Beweise dafür vorzulegen. So behauptete er Mitte November, rund 80 Prozent der Coronaerkrankungen an Schulen hätten ihren Ursprung außerhalb im Freizeitbereich. Angesichts aktuellen Zahlen des Robert-Koch-Instituts sind solche Aussagen längst Makulatur. Die Alterskohorte der Sechs- bis 17-Jährigen erreichte in den Kalenderwochen 45 und 46, also nach den Herbstferien, beispielsweise deutlich höhere Inzidenzwerte als der Rest der Bevölkerung.

Die Eindämmung des Coronavirus - und der erneute Herbst-Anstieg

Einen Tiefpunkt erreichte das Krisenmanagement von Ties Rabe vor wenigen Tagen, als er dem Landesverbandsvorsitzenden des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte Stefan Renz in einer Pressemitteilung die Worte in den Mund legte, er unterstütze den Beschluss, die Schulen offen zu halten. Renz hatte dies aber vor mehr als vier Wochen geäußert, als die Infektionszahlen noch deutlich geringer waren. Der Mediziner zeigte sich ob dieser Instrumentalisierung seiner Aussage »komplett enttäuscht« von der Behörde.

Die Linke hat unterdessen in einem weiteren Bereich genauer hingesehen. Ihr ist aufgefallen, dass die Schulbehörde in ihren Statistiken häufiger die Bezugsgröße wechselt. »Mal ist von 20 000 Schulbeschäftigten die Rede, dann wieder von ›rund 24 000‹ und schließlich von 34 830«, erklärt die Linke-Bürgerschaftsabgeordnete Sabine Boeddinghaus. In einer Kleinen Anfrage bat sie den Senat um Aufklärung. Denn je nach Bezugsgröße variiert selbstverständlich der Inzidenzwert an den Schulen. Lange behauptete Senator Rabe auch hier, er läge genau im Landesdurchschnitt oder sogar darunter. Dies zweifelt Boeddinghaus an: »Wenn die Bezugsgrößen sich ständig ändern, bleiben Zweifel an der Richtigkeit der ermittelten Werte.« In der wenig detaillierten Antwort des Senats heißt es: »Die für Bildung zuständige Behörde legt der Berichterstattung aktuell rund 255 600 Schülerinnen und Schüler sowie rund 35 000 Beschäftigte (ohne Beschäftigte in der ganztägigen Bildung und Betreuung) zugrunde.«

Auf Nachfrage von »nd« wurde Pressesprecher Peter Albrecht zumindest etwas konkreter: »Der Unterschied erklärt sich dadurch, dass wir als Schulbehörde normalerweise nur die staatlichen Schulen und die dort Schulbeteiligten als Bezugsgröße haben und veröffentlichen. Bei den Corona-Meldungen aber melden eben auch alle Privatschulen an uns, und es werden grundsätzlich alle Schulbeteiligten gerechnet, auch diejenigen, die bei externen Trägern beschäftigt sind.« Die Abweichungen in den verschiedenen Mitteilungen der Behörde erklärt dies jedoch nicht. Denn in ihrem Newsletter war etwa am 2. Oktober noch von 24 000 Schulbeschäftigten die Rede.

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