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Leider nicht erreichbar
Für viele Schulen ist digitaler Distanzunterricht noch ferne Zukunftsmusik
Das fängt ja heiter an, mögen sich viele Berliner Lehrer und Schüler am Mittwochmorgen gedacht haben. Es ist Tag eins im erneuten Schul-Lockdown, eigentlich wäre nun »schulisch angeleitetes Lernen zu Hause« angesagt gewesen, und das idealerweise digital. Doch auf der Internetseite der von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) zu diesem Zweck viel gepriesenen digitalen Plattform »Lernraum Berlin« heißt es für die 108 000 angemeldeten Nutzer nur: »Hmmm ... diese Seite ist leider nicht erreichbar«.
Gelder für die Digitalisierung kommen nicht bei den Schulen an
Die Anmeldeprobleme waren zwar bis zum Donnerstag behoben. »Leider nicht erreichbar« steht sinnbildlich trotzdem für den Stand der Digitalisierung an den Schulen der Hauptstadt. Die Ursachen hierfür sind bekannt. Zwar stehen dem Land Berlin im Rahmen des »Digitalpakts Schule« bis 2024 insgesamt 257 Millionen Euro für den Aus- und Aufbau der digitalen Schul-Infrastruktur zur Verfügung. Aber nicht zuletzt die komplizierten Strukturen auf Landes- und Bezirksebene führen zu einem Kompetenz-Wirrwarr, das unterm Strich dafür sorgt, dass bei den meisten allgemeinbildenden Schulen zu wenig oder nichts von den Geldern ankommt.
Der Landeselternausschuss kritisiert seit Langem den eher kläglichen Zustand der Digitalisierung. Das fängt beim Internetanschluss an: Ein Ausschussmitglied hat sich jüngst die Mühe gemacht, die Daten zu den Digitalanbindungen fast aller öffentlichen Schulen zusammenzutragen, und diese als Übersichtskarte auf seiner privaten Homepage veröffentlicht. »Über 40 Prozent der Schulen verfügen demnach über ein derart schlechtes Internet, dass sie nur eine Videokonferenz gleichzeitig machen könnten«, sagt Landeselternsprecher Norman Heise zu »nd«.
Deutlicher Unterschied zwischen den Bezirken bei der Internetgeschwindigkeit
Heise nennt die Karte zugleich »beeindruckend«, zeige sie doch die deutlichen Unterschiede zwischen den Bezirken. So müssen in Mitte fast 60 Prozent der Schulen mit langsamem Internet zurechtkommen, viele Schulen mit bis zu 16 MBit/s, zwölf sogar mit noch weniger Geschwindigkeit. Ganz anders die Lage in Spandau. Hier sind drei Viertel aller Schulen mit bis zu 1 GBit/s schnellen Anschlüssen ausgestattet. Denn vor über zwei Jahren hatte man im Bezirk entschieden, die Schulen künftig über das TV-Kabelnetz eines großen Mobilfunkanbieters versorgen zu lassen - und das sorgt für den nötigen Speed.
In vielen anderen Bezirken sieht es freilich aus wie in Mitte. »Das ist wahrlich ein Armutszeugnis«, sagt Heise. »Wir sind mit der Anbindung viel zu spät dran.« Das falle den Schulen jetzt in der Pandemie auf die Füße. »Smartboards, Whiteboards, alles schön und gut. Aber es braucht erst einmal vernünftiges Internet.« Im Zweifelsfall müsse man »temporäre Pop-up-Lösungen« auf den Weg bringen. Schüler und Lehrkräfte könnten jedenfalls nicht warten, »bis irgendwann 2024 auch die letzte Schule angeschlossen ist«, so Heise.
Mitunter treibt die schleppende Digitalisierung seltsame Blüten. An der Papageno-Grundschule in Mitte etwa versuchen Eltern, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und haben eine Spendenkampagne initiiert, um die digitale Infrastruktur im Schulgebäude auszubauen und Endgeräte zu kaufen. Das Spendenziel: stolze 36 500 Euro. Die musikbetonte Schule ist wohlgemerkt eine öffentliche Schule, allerdings eine in einem besser betuchten Einzugsbereich. »Letztlich ist es ein bildungspolitischer Skandal, dass die Schulen nun auf wohlhabende Eltern angewiesen sein sollen«, sagt ein Vater, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Die damit einhergehende »Spaltung der Schullandschaft« findet er hochproblematisch. Schließlich hätten Eltern in weniger wohlhabenden Gegenden der Stadt kaum die finanziellen Möglichkeiten, um da mitziehen zu können.
Tom Erdmann, Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), sieht solche Entwicklungen kritisch. Einerseits finde er es »sehr rührig und löblich«, dass sich Eltern in dieser Form engagieren. »Andererseits reden wir hier, verdammt noch mal, von einer staatlichen Aufgabe.« Generell, sagt Erdmann zu »nd«, könne selbst ein solches Engagement ein anderes Grundproblem in Zeiten von »schulisch angeleitetem Lernen zu Hause« nicht beheben: das Fehlen einer einheitlichen Lernplattform. »Lernraum Berlin« sei eben mitnichten das Nonplusultra. Und machen sich dann Lehrkräfte selbst auf den Weg, würden sie mit Hinweis auf Datenschutzbedenken zurückgepfiffen, so Erdmann mit Blick auf die Brodowin-Grundschule in Lichtenberg. Die war unlängst von Berlins Datenschutzbeauftragter Maja Smoltczyk gerügt worden - wegen »datenschutzwidriger Nutzung« der hier verwendeten Lernplattformen.
Schulen mit der Auswahl digitaler Lernmittel überfordert
Smoltczyks Sprecherin Dalia Kues sieht an dieser Stelle vor allem die Senatsbildungsverwaltung in der Pflicht. Diese habe bis heute keine entsprechende Liste mit einer »Vorauswahl verwendbarer digitaler Lernmittel« erstellt. Dass die Schulen selbst hiermit »vielfach überfordert« seien, sei aus ihrer Sicht nur verständlich, »da die meisten Lehrkräfte weder über eine ausreichende juristische Kenntnis noch über einen ausreichend tiefen technischen Hintergrund verfügen«, so Kues zu »nd«. Nach anfänglicher Kritik sehe man übrigens die »Lernplattform Berlin« zumindest unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten »auf einem guten Weg«. Dann muss sie ja nur noch funktionieren.
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