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Hasso-Plattner Institut gegen Betriebsrat: gewohnt straffrei
Betriebsrat verhindert? Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen gegen Hasso-Plattner-Institut ein
Der Vorgang gleicht dem üblichen Prozedere. Die Ermittlungen zur mutmaßlich verhinderten Betriebsratswahl am renommierten Hasso-Plattner-Institut (HPI) werden von der Staatsanwaltschaft Potsdam eingestellt.
Im Herbst 2023 bereiteten Beschäftigte des HPI eine Betriebsratswahl vor. Doch nach nd-Informationen konnte keine*r der Kandidat*innen für den Wahlvorstand eine Mehrheit für sich gewinnen. Daher kam das Verfahren zum Erliegen. Stattdessen wurde in der Folge ein unternehmensseitig vorbereiteter Institutsrat gewählt.
Nach Recherchen von »Correctiv« und »Tagesspiegel« hat sich das HPI dabei umfassend beraten lassen. 220 000 Euro seien an eine Kanzlei und eine Kommunikationsagentur bezahlt worden.
»Das HPI ist kurzfristig mit dem Bestreben einiger Mitarbeitenden konfrontiert worden, einen Betriebsrat im Unternehmen errichten zu wollen. Ziel des Unternehmens ist es, die Mitarbeitendenvertretung alternativ in einem (…) Institutsrat zu institutionalisieren«, beschrieb die Agentur ihren Auftrag. Sie habe entsprechende »Narrative und Botschaften« entwickeln sollen, zitierte »Correctiv« aus der Rechnung.
Ein Sprecher der Rechtsschutzabteilung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), dem »nd« einen Teil der internen Unternehmenskommunikation vorgelegt hatte, erklärte: »Meiner Einschätzung nach bewegen wir uns hier klar im strafbaren Rahmen nach Paragraf 119 des Betriebsverfassungsgesetzes.«
Der Paragraf 119 des für Betriebsräte maßgebenden Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) stellt die Behinderung von Betriebsratsarbeit und Störung von Betriebsratsgründung unter Strafe. Das Höchststrafmaß beträgt ein Jahr Haft. Vergehen, die unter Paragraf 119 BetrVG fallen, sind sogenannte Antragsdelikte. Nur wenn explizit ein Strafantrag gestellt wird, darf die Staatsanwaltschaft ermitteln. Er kann jedoch ausschließlich von einer Gewerkschaft oder dem Betriebsrat selbst gestellt werden.
Das ist im vorliegenden Fall nicht passiert. Folglich stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen nun ein. Einen Betriebsrat, wie bekannt, gibt es am HPI ja auch nicht.
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Die involvierte Gewerkschaft Verdi hat offenbar ebenfalls auf einen Strafantrag verzichtet. Dabei hatte die betreuende Gewerkschaftssekretärin Antje Thomaß im März erklärt, zunächst von einer Anzeige abgesehen zu haben, weil man »das Agieren der Geschäftsführung und die Störungsqualität noch im Graubereich« verortet habe. »Heute kämen wir möglicherweise zu einer anderen Einschätzung«, sagte sie damals, nachdem Recherchen weitere mutmaßliche Details ans Licht gebracht hatten.
Die Staatsanwaltschaft wollte anfangs keine Ermittlung der Vorgänge am HPI aufnehmen. Noch im Juli hatte eine Sprecherin den »Potsdamer Neuen Nachrichten« (PNN) erklärt: »Da aufgrund bislang vorliegender Erkenntnisse zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für strafbare Handlungen nicht zu erkennen waren, ist kein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.« Im September bestätigte eine Sprecherin dann ebenfalls gegenüber »PNN«, dass seit dem 21. August ein entsprechendes Verfahren geführt werde. Offenbar lagen mittlerweile genügend Anhaltspunkte vor. Einzig der Strafantrag fehlte. Warum Verdi diesen bis heute nicht gestellt hat, ist unklar. Gewerkschaftssekretärin Thomaß war am Donnerstag nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.
Das HPI selbst hatte gegenüber »nd« die Vorwürfe weitestgehend zurückgeworfen. Weder sei ein Betriebsrat verhindert noch ein Institutsrat installiert worden, hatte ein Sprecher des HPI nach Bekanntwerden der Vorgänge erklärt. Stattdessen sei es eine »demokratische Entscheidung aus der Mitte der Belegschaft« gewesen, dass »die Gründung eines Betriebsrats gestoppt wurde«. Die Wahl zum Institutsrat ginge auf »Mitarbeitende aus allen Statusgruppen« zurück. »Es ist und bleibt ein demokratischer Prozess«, hatte der Sprecher erklärt.
In den Jahren 2020 bis 2023 wurden laut Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg gegen 35 Beschuldigte »Anzeigesachen angelegt beziehungsweise Verfahren eingeleitet«. Dabei sei in keinem der Verfahren eine Anklage erhoben worden. Die Ampel-Regierung hatte im Koalitionsvertrag vereinbart, den Paragraf 119 des BetrVG zum Offizialdelikt zu ändern. Staatsanwält*innen müssten Taten dann auch ohne Strafantrag verfolgen. Konkret wurde das Vorhaben aber nie.
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