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Lehren aus der Hexenkunde
Andreas Meinzer spiegelt die Wissenschaft in Bibi Blocksberg
»Wer hat was hier ausgeheckt? Wer hat wen hier so erschreckt? Wisst ihr, wer dahinter steckt?« Westkinder der 1980er-Jahre wissen das: Bibi Blocksberg, die kleine Hexe. Das Titellied der Hörspielreihe gab ihnen Liebe und Vertrauen: »Sie wird euch immer helfen, denn sie ist euer bester Freund«. Mittlerweile gibt es ein neues Intro, aber die heuer 40 Jahre alt gewordene Figur übt weiter Empathie und Solidarität. Gegen den selbstherrlichen Bürgermeister, der seine Versprechen bricht, die Supermarktkette, die Tante Emma schlucken will, die autoritäre Lehrerin, die ihren Frust an Kindern auslässt: Bibi hilft den Bedrängten.
36 Millionen verkaufte Tonträger, 96-mal Gold, 151-mal Platin: Die kleine Hexe eine Figur der Zeitgeschichte. Das rief alsbald die Wissenschaft auf den Plan: Was zaubert sie da, politisch gesehen? Den Auftakt machte 2005 Gerd Andreas Strohmeier. In »Aus Politik und Zeitgeschichte« unterzog er Bibis Abenteuer einer Art Extremismuscheck: Die Geschichten seien »linksalternative« Attacken auf die Legitimität staatlicher Institutionen von Verwaltung bis Polizei! Doch auch aus anderer Richtung gab es Ärger: 2016 beleuchtete die feministische Historikerin Kerstin Wolff die Familie Blocksberg - mit gleichfalls bedenklichem Ergebnis: Mutter Barbara ist sorgende Hausfrau, Alleinversorger Bernhard will nicht beim Lesen gestört werden. Das dritte Hauptwerk der Bibitologie stammt vom Politologen Oliver Emde, der mit Bezug auf die eigene Kindheit die Partizipationspraktiken von der Demo bis zum Sitzstreik positiv hervorhob, welche die Geschichten vermitteln.
Nun kann die Untersuchung von Fiktionen reale Geschichte zeigen. So legt Wolffs Rekonstruktion der patriarchalen Familie Blocksberg nahe, dass die Frauenbewegung zumindest im Mainstream jenes Jahrzehnts der Bürgerinitiativen, in das Bibi geboren wurde, womöglich weniger wirksam war, als man heute meint. Noch aufschlussreicher ist die Bibi-Kunde allerdings auf der Ebene sozialwissenschaftlicher Methodik: Während Emde die Hexe immerhin noch auf die eigene Biografie bezieht, ist Strohmeiers Fazit - Bibi bremse die demokratische Sozialisation - reine Spekulation: Müsste seriöse Forschung nicht zeigen, dass starker Bibi-Konsum tatsächlich zu bestimmten Haltungen führt? Könnte sich nicht die in den Bibi-Geschichten als links vorgestellte Behördenskepsis im späteren Leben echter Kinder auch ganz anders artikuliert haben, zum Beispiel in neoliberalen Positionen?
Gewiss, das lehrt hier die kleine Hexenkunde, spiegeln Fiktionen nicht nur die Welt. Sie formen mit, wovon sie erzählen. Doch ist die oft stillschweigende Annahme, literarische Plots übersetzten sich quasi eins zu eins in Wirklichkeit, so falsch wie heute akademische Mode: Denn weder »Diskurse« noch »Narrative« können zaubern.
Ganz anders als natürlich Bibi Blocksberg - und offenbar jener Politologe, der bei der Publikation seiner so bachelorstudiumsmäßig methodenschwachen Bibi-Expertise immerhin schon habilitiert war - und heute als Präsident der TU Chemnitz die Politik berät. Hier liegt nun womöglich eine Chance, das Bibi-Universum in seinem fünften Jahrzehnt fit zu machen für die Bedürfnisse der fantasygestählten Kinder von heute: Was tut Bibi, wenn plötzlich ein böser Gegenzauber auftritt? Welche Allianzen schmiedet sie dann? So ließe sich auch eine Figur wiederbeleben, die heute nur noch dem Fachpersonal bekannt ist: Boris Blocksberg.
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