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Eine Überraschung, die keine war
Sieben Tage, sieben Nächte: Johanna Treblin über die endgültige Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten
Was haben wir gebangt, damals, als zwar alle schon wussten, dass Donald Trump den Sieg Joe Bidens als Präsident der Vereinigten Staaten nicht anerkennen würde, er es dann aber, nachdem sich eine Mehrheit für Biden abzeichnete, tatsächlich auch nicht tat. Und stattdessen mehrere Klagen gegen die Auszählungen in verschiedenen Bundesländern anstrengte. Gebangt haben wir, als Trumps Anwalt Rudy Giuliani im »Four Seasons« eine Pressekonferenz ankündigte (und ein bisschen gelacht, als sich der Ort nicht als das bekannte Hotel herausstellte, sondern als irgendeine Landschaftsgärtnerei, und Giuliani nicht einmal in einem Saal die Pressekonferenz abhielt, sondern auf einem staubigen Parkplatz).
Gebangt, weil zwischen der Wahl und der Amtsübernahme noch die Wahlleute standen, unter denen sich in der Vergangenheit immer ein paar Abweichler befunden hatten, die nicht so abstimmten wie die Mehrheit der Menschen in ihrem jeweiligen Bundesland.
Und dann kam der Tag der Wahlleute: Am Montag gaben sie ihre Stimme ab. Am Ende, am späten Abend deutscher Zeit, fehlten nur noch Hawaii und Kalifornien. 55 Stimmen standen Kalifornien zu. Wären 38 davon an Trump gegangen - oder 34 plus die 4 hawaiianischen -, dann hätte der Amtsinhaber doch noch gewonnen. Doch in beiden Staaten stimmten alle für Biden. In keinem einzigen Bundesstaat gab es auch nur einen einzigen Abweichler. Eine Überraschung - und doch irgendwie keine.
Eigentlich war die Abstimmung eine Formalie. Bei keiner anderen Wahl hat sich auch nur irgendjemand dafür interessiert, an welchem Tag die Wahlleute zusammentreten. Die Parteien hatten bereits im Frühjahr oder Sommer loyale Anhänger für die Aufgabe bestimmt. Die Partei, die dann im November im jeweiligen Bundesland gewann, durfte ihre Wahlleute losschicken. In vielen Staaten sind diese sogar per Gesetz verpflichtet, dem Wählerwillen zu entsprechen.
So schrieb CNN am Montag auch auf seiner Internetseite sinngemäß: »Die Abstimmung durch die Wahlleute ist zwar ein wichtiger Schritt, aber einer, der normalerweise von der Öffentlichkeit vollkommen ignoriert wird. Nur in diesem Jahr nicht.« Weil ein trotziger Entertainer und Geschäftsmann Demokratie für etwas hält, das nur dann zu beachten ist, wenn es ihm selbst nützt.
So ist es auch folgerichtig, dass nach langen und breiten Analysen über die Ausrichtung der Republikanischen Partei, den Trumpismus, die vermutete Außenpolitik Bidens usw. usf. das Ergebnis vom späten Montagabend auch dieser Zeitung nur eine Randnotiz wert war. Eine Erleichterung war es trotzdem. Auch wenn Joe Biden und Vize-Präsidentin Kamala Harris keine Heilsbringer sind.
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