Ein Land in der Dreifach-Krise
Pakistan steckt mitten in der Pandemie, hält sich wirtschaftlich nur mit Milliardenkrediten über Wasser und ist politisch tief gespalten
Die in der Pakistanischen Demokratischen Bewegung (PDM) vereinigte Opposition legte noch eine Schippe drauf: Zum 31. Dezember, kündigte PDM-Vorsitzender Maulana Fazlur Rehman an, würden die Abgeordneten der in dem Bündnis vereinigten elf Parteien ihre Mandate im Parlament und den Provinzversammlungen niederlegen. Sollte wiederum die Regierung nicht bis Ende Januar zurücktreten, werde es einen geballten Marsch von deren Gegnern auf die Hauptstadt geben.
Als der Politveteran aus den Reihen der islamistischen JUI-F diese Drohung vor einer versammelten Journalistenschar aussprach, standen die anderen Oppositionsführer an seiner Seite - Bilawal Bhutto für die sozialliberale Pakistanische Volkspartei (PPP) und Maryam Sharif für die Pakistanische Muslimliga-Nawaz (PML-N). Bilawal ist der Sohn von Ex-Präsident Asif Ali Zardari, der einst den bezeichnenden Beinamen »Mister zehn Prozent« bekam, und der 2007 bei einem Attentat umgekommenen populären früheren Premierministerin Benazir Bhutto. Sie war bei ihrem Amtsantritt einst die erste Regierungschefin eines islamischen Landes.
Maryam Sharif wiederum hat eine Führungsrolle in der PML-N übernommen, seit ihr Vater Nawaz Sharif, ebenfalls ein politisches Urgestein und unter anderem in den »Panama Papers« erwähnt. Er wurde im Juli 2017 vom Obersten Gericht als Regierungschef seines Amtes enthoben. Nawaz, dreifacher Ex-Premier, ist bei schlechter Gesundheit und durfte zur Behandlung nach London ausreisen. Er, zu zehn Jahren Haft verurteilt, ist derzeit auf Kaution frei wie seine Tochter, der sieben Jahre Haft drohen.
Die teils gerichtlich erwiesenen Korruptionsvorwürfe gegen die schwerreiche und über drei Jahrzehnte politisch in der ersten Reihe stehende Familie ändern nichts daran, dass Maryam derzeit in der Popularität weit vorn steht - die »Asia Times« beschrieb sie dieser Tage sogar als die vielleicht beliebteste Politikerin des Landes. Tatsächlich vermag sie es, überall jubelnde Menschenmassen zusammenzubringen. Ganz gleich, ob sie in Gilgit-Baltistan (dem von Pakistan kontrollierten Teil Kaschmirs) Wahlkampf betreibt oder sogar in Khyber-Pakhtunkhwa, der wichtigsten Bastion von Premier Imran Khan und dessen Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI), gegen die Regierungskraft mobil macht. Selbst im Nachbarland Indien, das seit dessen Gründung 1947 mit Pakistan verfeindet ist, widmete ihr »The Hindu«, die drittgrößte Tageszeitung, kürzlich ein umfassendes Porträt, in dem sie ebenfalls als eine der derzeit einflussreichsten politischen Akteure gewürdigt wird.
Die sozialliberale PPP und die Muslimliga PML-N sind sich eigentlich spinnefeind, haben ihre bilateralen Differenzen aber zurückgestellt, um gemeinsam mit der JUI-F und mehreren kleineren Oppositionsparteien die Regierung in die Knie zu zwingen. Für diese wies am Dienstag Außenminister Shah Mahmood Qureshi die Rücktrittsforderung der PDM kategorisch zurück. Es werde auch keine geforderten vorzeitigen Neuwahlen geben. Die Worte mögen markig klingen, real aber sieht sich der nach seinem Wahlsieg vor zweieinhalb Jahren als Hoffnungsträger gestartete Imran Khan immer mehr unter Druck. Die ökonomische Dauerkrise will nicht weichen, Pakistan steht mit immer weiteren Milliarden bei Saudi-Arabien, den Emiraten, China und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) in der Kreide, die das Land wiederholt vor der drohenden Pleite gerettet haben. Hinzu kommt nun noch verschärfend die Corona-Pandemie: Bisher sind seit dem Frühjahr insgesamt rund 450 000 Infektionen und 9000 Todesfälle erfasst, die Ansteckungsraten mit täglich bis zu 3500 Fällen haben seit November rapide angezogen. Gegen Maryam Nawaz Sharif und 40 weitere Führungskräfte der PML-N wurde bei der Polizei der zweitgrößten Metropole Lahore Anzeige erstattet, weil mit einer Parteiversammlung Corona-Schutzregeln verletzt wurden. Auch erneute Massenaufmärsche der Opposition könnten massiv zu einer Ausbreitung des Virus beitragen.
Der angeschlagene Imran Khan wirkt angesichts der mehrfachen Krise seit Monaten konzeptlos, flüchtet sich zur Ablenkung in zugespitzte Rhetorik bei außenpolitischen Themen. Das betrifft nicht nur Kaschmir, sondern auch beispielsweise die islamkritischen Äußerungen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die der pakistanische Premier ebenso aufgebracht als vermeintlichen Angriff auf eine ganze Religionsgemeinschaft geißelte wie der für solche Ausfälle schon bekannte türkische Präsident Erdogan. Dass die PTI im November die Regionalwahlen in Gilgit-Baltistan gewann, ist nur eine Momentaufnahme. Landesweit ist Imran Khans Popularität rapide geschrumpft. Jedoch wissen all jene, die nicht explizit der PDM zujubeln, dass auch die großen Oppositionsparteien alternative Konzepte vermissen lassen. Sie waren ja zuvor erfolglos an der Regierung.
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