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Die Pandemie der Femizide
Weltweit werden 50 000 Frauen pro Jahr getötet, weil sie Frauen sind. Covid-19 verstärkt häusliche Gewalt
Für ein 2021 ohne Femizide. Dafür haben am Dienstag in Guatemala - den Bildern nach zu urteilen - überwiegend Frauen demonstriert. Allein von März bis Juni 2020 wurden in in dem Land laut dem Nationalen Institut für Gerichtsmedizin 140 Frauen getötet, rund die Hälfte davon wird als Femizid bewertet. So wird es genannt, wenn eine Frau getötet wird, weil sie eine Frau ist. Und meistens tun dies Menschen aus dem engen Umfeld des Opfers, Familienangehörige, Partner oder Ex-Partner.
Um nur einige Beispiele zu nennen: In einem Dorf in Frankreich wurde die Polizei in der Nacht zum Mittwoch aufgrund eines Falles häuslicher Gewalt herbeigerufen. Der Täter, mit dem seine Ex-Partnerin offenbar einen Sorgerechtsstreit hatte, erschoss drei der Polizisten und wurde später selbst tot aufgefunden, die Frau überlebte. Im deutschen Isselburg kam die Polizei am vergangenen Donnerstag zu spät, ein Mann hatte bereits seine Frau, sein Kind und sich selbst getötet.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Dieses Phänomen ist global. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen werden weltweit täglich 137 Frauen von einem Familienmitglied oder (Ex-)Partner getötet, rund 60 Prozent aller getöteten Frauen weltweit. In Deutschland und Frankreich tötet fast jeden dritten Tag ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin, das sind über 120 Femizide pro Jahr pro Land. In der Türkei zählte die Initiative »Wir stoppen Frauenmorde« im vergangenen Jahr über 470 Femizide.
Diese Morde werden immer noch viel zu oft als »Familiendramen« und als private Tragödien dargestellt. Doch eigentlich sind sie ein strukturelles Problem des Patriarchats. »Niemand tötet aus Liebe. Es geht um Macht, es geht um Eigentumsansprüche, es geht um Unterordnung, es geht um Kontrolle im Geschlechterverhältnis«, sagte Cornelia Möhring, frauenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, dieser Zeitung im November. Die UN-Menschenrechtsexpertin Dubravka Šimonovic bezeichnet Femizide und Gewalt an Frauen und Mädchen sogar als eigene »Pandemie«, die überschattet werde von Covid-19.
Die Corona-Pandemie wurde im vergangenen Jahr oft als Brennglas bezeichnet. Bereits bestehende soziale Probleme und Ungerechtigkeiten wurden dadurch sichtbarer - und sie wurden vergrößert. Frauen sind besonders von dieser Krise getroffen. Zum einen auf gesundheitlicher und ökonomischer Ebene: 70 Prozent des Pflegepersonals weltweit ist weiblich. In der Pandemie war der Zugang zu gynäkologischer Versorgung teils eingeschränkt, die UN schätzt, dass die Covid-19-Krise zu sieben Millionen ungewollten Schwangerschaften führen wird. Frauen leisten noch mehr unbezahlte Sorgearbeit. Gleichzeitig waren die Sektoren, in denen Frauen überwiegend beschäftigt sind - Gastronomie, Einzelhandel, Tourismus - besonders von Entlassungen betroffen. Arbeiterinnen im informellen Sektor haben allein in Europa im ersten Monat der Pandemie 70 Prozent ihres Einkommens verloren. Der Gender Poverty Gap wird sich infolge der Pandemie weiter vergrößern, prognostizieren die Vereinten Nationen.
Nicht zuletzt ist aber die Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit der Pandemie angestiegen. Die Menschen mussten im Lockdown in ihren Wohnungen bleiben, Betroffene häuslicher Gewalt hatten weniger Raum und Zeit, um auszuweichen, Beratungsangebote konnten zuweilen nicht mehr oder nur eingeschränkt in Anspruch genommen werden. Noch gibt es zu diesem Anstieg nur wenig belastbare Zahlen. Das Hilfetelefon »Gewalt gegen Frauen« verzeichnete seit dem Beginn der Pandemie etwa einen Anstieg der Beratungen um 20 Prozent. Eine Sprecherin bewertet dies gegenüber »nd« als unmittelbare Auswirkung der Ausnahmesituation, weist aber auch darauf hin, dass dies nicht unbedingt einen Anstieg der häuslichen Gewalt impliziere.
Es kann also auch bedeuten, dass sich mehr Menschen als zuvor Hilfe suchen. Das ist ein wichtiger Schritt. Die großen Demonstrationen von Frauen in Mexiko, Guatemala oder zuletzt in Polen machen Unterdrückung von und Gewalt an Frauen immer sichtbarer. Es gibt zahlreiche Initiativen wie die kurdische 100 reasons, die schweizerische stopfemizid oder die spanische Femicidio, die Frauenmorde dokumentieren. Nur so kann das Problem ins gesellschaftliche Bewusstsein gelangen, und letztlich die Politik bewegt werden, etwas gegen diese geschlechtsspezifische Gewalt zu unternehmen. Laut UN ist die Akzeptanz von Frauen gegenüber Gewalt durch ihre Partner zwischen 2012 und 2019 um 75 Prozent gesunken. Endlich mal eine gute Zahl.
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