Propagandaschlacht um 2000-Dollar-Zahlungen

Donald Trump hat den Demokraten mit seiner Forderung nach einer Erhöhung der Coronakrisen-Direktgeldzahlungen von 600 auf 2000 Dollar ein Wahlkampfgeschenk gemacht

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Der bittere Sarkasmus in der Stimme von Debbie Dingell war nicht zu überhören. »Das Repräsentantenhaus trifft sich erneut am 28. Dezember, Frohe Weihnachten«. Die US-Demokratin war eine der wenigen US-Parlamentarier, die an Weihnachten noch einmal in die untere Parlamentskammer zurückgekehrt war, um vielleicht doch noch ein Weihnachtsgeschenk für Millionen von US-Amerikanern zu erreichen: die Aufstockung der Coronavirus-Hilfsgeld-Direktzahlungen an alle US-Amerikaner von 600 auf 2000 Dollar.

Möglich wäre dies mittels »Parlamentskonsens« gewesen. Mit der Abstimmungsregel können Beschlüsse auch mit der Anwesenheit nur weniger Parlamentarier getroffen werden, doch dafür darf kein einziger Parlamentarier widersprechen. Ein Republikaner-Abgeordneter tat dies, wie zuvor von seiner Fraktion angekündigt worden war. Damit ist die Last-Minute-Auseinandersetzung über eine Hilfsgelderhöhung auf den Montag verschoben, dann wollen die Demokraten über ein Gesetz abstimmen, das nur aus einem Satz besteht.

Mit dem wird die Summe der Direktgeldzahlungen im am Montag mit parteiübergreifender Mehrheit verabschiedeten Gesetzespaket, das sowohl den Regierungshaushalt für die nächsten Monate als auch die Pandemie-Hilfen umfasst, auf 2000 Dollar erhöht. Die parlamentarische Extra-Runde war zur Freude der Demokraten nötig geworden, nachdem US-Präsident Donald Trump am Mittwoch in einem Video die Summe von 600 Dollar als »lächerlich niedrig« bezeichnet und eine Erhöhung auf 2000 gefordert hatte.

In dem Video hatte Trump außerdem angedeutet, ein Veto gegen das Haushaltsgesetz mit den zahlreichen Coronakrisen-Konjunkturmaßnahmen in Höhe von 900 Milliarden US-Dollar einzulegen. Das fast 6000 Seiten lange Gesetz wurde am Freitag nach Florida zum Wohnsitz Trumps geflogen und liegt ihm dort zur Unterschrift vor. Wenn er das Gesetzespaket nicht bis Samstag unterzeichnet, verlieren rund 14 Millionen Pandemie-Arbeitslose zumindest vorübergehend ihr Arbeitslosengeld. Ab Montag droht wie bereits Anfang 2019 ein Regierungsshutdown - also eine Stilllegung von Bundesbehörden.

Egal ob Trump das Gesetz einfach nicht unterschreibt oder formal ein Veto einlegt: Mit seiner politischen Intervention in letzter Minute hat er den Diskurs quasi über Nacht nach links verschoben und vor allem die Republikaner im Parlament in eine unangenehme Situation gebracht.

Mit der Forderung zeigt der US-Präsident, dass seine sozialpopulistischen Instinkte funktionieren, schließlich sind höhere Direktgeldzahlungen laut Umfragen populär, sie würden anders als Arbeitslosengeldprogramme oder andere Sozialstaatsleistungen die gesamte Bevölkerung erreichen. Es gibt linke Politanalysten, die der Meinung sind, Trump hätte seine Wiederwahl gewonnen, wenn er mit höheren Direktgeldzahlungen Wahlkampf gemacht hatte. Schon 2016 hatte er über den Rassismus-Wahlkampf hinaus erfolgreich allerlei sozialpolitische Versprechungen gemacht.

Bereits in den letzten Wochen hatten ihn offenbar laut »New York Times« nur seine Berater von der Forderung abgehalten, mit der er einen monatelang austarierten Kompromiss zwischen Republikanern und Demokraten nun aufgekündigt hat. Zwar ist schon vorher klar gewesen, dass die Republikaner gegen höhere finanzielle Hilfen für die Bevölkerung waren, doch nun wird dies noch einmal direkt an Weihnachten auf großer Bühne vorgeführt.

Die Demokraten-Führung ihrerseits reagierte opportunistisch, aber umgehend. Schon Minuten nach der Veröffentlichung des Trump-Videos befürwortete Demokraten-Mehrheitsführerin Nancy Pelosi den Vorschlag des US-Präsidenten. Die linken Demokraten-Abgeordneten Rashida Tlaib und Alexandria Ocasio-Cortez legten umgehend einen Gesetzestext vor. Senats-Minderheitenführer Chuck Schumer sprach diesem per Twitter-Nachricht seine Unterstützung aus.

Durch das Trump-Manöver steht das Demokraten-Establishment für aufmerksame Beobachter als zu nachgiebig da, weil es vorher nicht mit aller Macht auf höhere Zahlungen bestanden hatte, wie linke Kritiker bemängeln. Diese verweisen zudem darauf, dass einige zentristische Demokraten im Dienste der »parteiübergreifenden Zusammenarbeit« nur allzu gerne niedrigeren Zahlungen zugestimmt hätten und eigentlich ebenfalls Austeritätspolitiker seien.

Schlechter für die Republikaner ist aber: Plötzlich ist ein Wettlauf entstanden, wer generöser hilft - das ist so gar nicht im Sinne konservativer Think Tanks und von Vertretern des schlanken Staates, die besonders die republikanische Partei dominieren.

Die Abstimmung über eine Erhöhung der Direktgeldzahlungen per Parlamentskonsens an Heiligabend war nur ein Manöver, damit die Republikaner vor den Augen der amerikanischen Fernsehöffentlichkeit öffentlichkeitswirksam widersprechen müssen.

Das Gleiche gilt für kommenden Montag. Dann wird das US-Repräsentantenhaus mit den Stimmen der Demokraten-Mehrheit das Erhöhungsgesetz beschließen. Senats-Mehrheitsführer Mitch McConnell und seine Partei stehen dann als grausame Weihnachtsgrinches da, die unter der Coronakrise leidenden Amerikanern dringend benötigte Hilfsgelder verwehren. Die linke Demokratin Ayanna Pressley twitterte in Richtung Mitch McConnell: »Move Mitch, get out the way«.

Auch die Republikaner müssen an diesem Tag auf dem Capitol Hill in Washington DC erscheinen, weil sie zusammen mit den Demokraten das Veto des US-Präsidenten gegen den kürzlich verabschiedeten Verteidigungshaushalt überstimmen müssen, der unter anderem eine dreiprozentige Gehaltserhöhung für Angehörige der Streitkräfte beinhaltet. Doch damit würden sie den Präsidenten verärgern. Tun sie es nicht, verwehren sie Militärfamilien an Weihnachten Gehaltsschecks und die Aussicht auf höhere Bezüge – das würde überall im Land schlecht ankommen bei einer traditionellen Unterstützergruppe der Partei, die aber zuletzt teilweise von der Fahne gegangen war und in größerem Umfang als zuvor den demokratischen Präsidentschaftskandidat Joe Biden gewählt hatte. Im Bundesstaat Georgia könnte es wegen der dort am 3. Januar stattfindenden Stichwahl sogar direkte Konsequenzen haben.

McConnell hatte den »600-Dollar-Schecks« im Corona-Hilfspaket auch mit Blick auf die Senatsstichwahlen in Georgia zugestimmt, weil die beiden Republikaner-Kandidaten Kelly Loeffler und David Perdue dort wegen »der Sache hart angegriffen werden«, wie er selbst zugab. Sie dürfen die Trump-Basis nicht verärgern, ein Teil dieser kommt aus der weißen Arbeiterklasse, könnte die 2000 Dollar gut gebrauchen. Sie brauchen aber auch die Stimmen moderater Republikaner in der Mitte, die angesichts der zahlreichen Normbrüche von Trump – ein Veto gegen den seit Jahrzehnten in parteiübergreifender Einigkeit verabschiedeten Militärhaushalt gilt als Tabu – bereits im November teilweise von der Fahne gegangen waren.

Die Präsidentscgaftswahl in Georgia war schon im November knapp, auch zu dieser Senatswahl werden wieder wenige tausend Stimmen entscheiden. Es geht um die parlamentarische Kontrolle im US-Oberhaus. Die beiden Demokraten-Kandidaten im »Peach State«, Jon Ossoff und Raphael Warnock, haben bereits ihren Wahlkampf geändert, fordern jetzt 2000 Dollar. »Donald Trump hat den Demokraten ein Geschenk gemacht, und wenn sie das Spiel richtig spielen, wird der 'payoff' für das amerikanische Volks groß sein«, kommentierte der linke Journalist David Dayen vom »American Prospect Magazine«.

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