- Politik
- Trinkwasserversorgung in Sachsen
Wenn die Trockenheit im Hausbrunnen ankommt
Sächsische »Brunnendörfer« sollen an das Trinkwassernetz angeschlossen werden - doch mancher kann sich das nicht leisten
Der Fototermin am Brunnen fällt im Wortsinne ins Wasser. Über Glaubnitz gießt es wie aus Kannen. »Ich könnte mich mit Schirm in die Wiese stellen und vor Freude strahlen«, schlägt Harald Werner vor. Grund zu gehobener Stimmung angesichts des Wetters hätte er. Schließlich landet ein Teil des Regens irgendwann in dem Brunnen, der am Rand einer Weide oberhalb des kleinen Ortes ins Erdreich ragt und im Dorf die Trinkwasserversorgung sichert. Jeder Schauer hilft, dass in Glaubnitz Wasser aus dem Hahn kommt.
Auch wenn der heftige Regenguss kurzzeitig davon ablenkt: Glaubnitz, das in Ostsachsen nicht weit von Bautzen entfernt liegt und zur Gemeinde Panschwitz-Kuckau gehört, hat ein Wasserproblem. Der Fischteich im Ort etwa ist leer. Einst war das Abfischen im Herbst ein Fest für die Bewohner. »Aber seit drei Jahren gibt es nicht mehr genug Wasser«, sagt Werner. Auch ein schmaler Graben, der sich durch die Felder oberhalb des Dorfes zieht, ist ausgetrocknet. Immerhin: Der mit Betonringen eingefasste und mit einer schweren Platte abgedeckte Brunnen, der seit dem Jahr 1911 die Wasserversorgung der elf Grundstücke im Ort sichert und einst auch ergiebig genug für einen Gasthof, einen Stall mit Kälbern und einen mit Schweinen war, ist noch nicht versiegt. Doch auch er gibt spürbar weniger Wasser. Seit 2018, sagt Werner, sei der Grundwasserspiegel rund um Glaubnitz deutlich gesunken.
Glaubnitz ist ein »Brunnendorf«, ein Dorf also, das nicht an die zentrale Trinkwasserversorgung angeschlossen ist. Solche Orte sind in Sachsen die Ausnahme. Lag der Anschlussanteil im Freistaat 1991 noch bei 80 Prozent, so beträgt er inzwischen 99,3 Prozent. Die übergroße Mehrheit der Sachsen wird also über Leitungen mit Trinkwasser versorgt, das die meist kommunalen Versorger aus Tiefbrunnen oder Talsperren beziehen. Etwa 12.000 Grundstücke, auf denen 27.000 Menschen leben, sind jedoch weiterhin auf Brunnen angewiesen. Viele davon liegen im Kreis Mittelsachsen, im östlichen Erzgebirge und in der Lausitz.
Die Brunnendörfer sind seit 2018 zum Problemfall geworden. Immer mehr Brunnen fallen trocken oder geben weniger Wasser. Grund sind fehlende Niederschläge. Von November 2017 bis Dezember 2019 fehlten im Freistaat nach Angaben des Landesumweltamtes 335 Liter Niederschlag pro Quadratmeter, ein halber Jahresniederschlag. Dadurch trocknen auch Wasserspeicher im Boden aus. Die Pegel liegen im Schnitt 60 Zentimeter unter langjährigen Werten; das Umweltamt spricht von »Grundwasserdürre«. Auch das Jahr 2020 hat daran wenig geändert. Bis kurz vor Weihnachten hatte es in vielen Regionen Sachsens vier Wochen lang keinen Niederschlag gegeben.
In den betroffenen Orten sorgt das fehlende Wasser in den Brunnen für erhebliche Probleme. Dörfer im Raum Freiberg mussten mit Wasserwagen versorgt werden; die Szenen erinnerten an Katastrophenregionen und sind ungewohnt in einem Land, in dem Zugang zu Trinkwasser eigentlich kein Problem ist. In Glaubnitz läuft nach wie vor Wasser aus dem Hahn; allerdings dauert es wesentlich länger, bis sich die Speicherbehälter im Keller - einige 200-Liter-Regentonnen - füllen, sagt Werner. Zudem sorgt die Verknappung für Misstrauen. »Wenn unsere Enkel zu Besuch sind, schauen die Nachbarn schon mal, ob wir nicht zu viel Wasser verbrauchen«, sagt er. Um einen Pool zu füllen, reicht das Angebot ohnehin nicht.
Die Lage wird sich absehbar nicht wieder bessern. Hausbrunnen ragen meist nicht tief in den Boden: Sie zapfen »geringmächtige oberflächennahe Grundwasserleiter« an, wie Thomas Grischek, Professor für Bauingenieurwesen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden, formuliert. Doch nach drei deutlich zu trockenen Sommern herrscht in großen Teilen des Freistaats in diesen Bodenschichten »außergewöhnliche Dürre«, konstatiert der »Dürremonitor« des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung Leipzig. Damit sich das ändern kann, bräuchte es viel Regen - und viel Zeit: Um einen Meter tief einzudringen, benötigt Wasser ein Jahr, sagt Grischek. Starkregen, wie sie an diesem Tag über Glaubnitz niedergehen, helfen ohnehin wenig: Sie dringen in ausgedörrte Böden kaum ein und laufen eher oberirdisch ab. Vielerorts wird es in Zukunft zudem eher noch weniger Niederschläge geben. Für das Jahr 2070 rechne man für Sachsen mit »Toskana-Klima«. Die Neubildung von Grundwasser wird deshalb »teils drastisch« zurückgehen - in vielen Regionen des Freistaats um 50 Prozent. Man müsse, sagt Grischek, befürchten, dass im Land »noch viel mehr Brunnen trocken fallen«.
Die Dürre in den Brunnen lässt Forderungen laut werden, die Brunnendörfer ans öffentliche Netz anzuschließen. Dass das bisher noch nicht geschah, hat unterschiedliche Gründe. Der eine: Die Leitungen sind teuer. Viele betroffene Grundstücke liegen quasi »am Ende der Welt«, sagt Matthias Schlicke aus Friedersdorf, einem Ortsteil von Klingenberg-Colmitz kurz vor dem Kamm des Erzgebirges. Ihre Erschließung galt bisher als unwirtschaftlich. Mit dieser Begründung durfte vom in Sachsen eigentlich laut Gesetz geltenden Anschlusszwang an die Trinkwasserversorgung abgewichen werden.
Der andere Grund: Viele Bewohner wollten gar nicht angeschlossen werden. Bis 2018 habe es bei vielen betroffenen Grundstückseigentümern trotz entsprechender Angebote »praktisch kein Interesse an einem Anschluss« gegeben, sagte Lutz Kunath, Geschäftsführer des Versorgungsverbandes Grimma-Geithain, in einer Anhörung im Landtag im Juli 2020. Das hat ökonomische Gründe. Obwohl auch der Anschluss an einen Brunnen Kosten für Technik und Installationen verursacht, ist er preiswerter als jener an das öffentliche Netz. Schätzungen zufolge konnten einzelne Nutzer über die Jahre fünfstellige Beträge sparen. Nun jedoch, sagt Kunath, forderten dieselben Eigentümer »teils unter Androhung juristischer Mittel«, angeschlossen zu werden.
Freilich: Die Interessenlagen sind durchaus unterschiedlich, mit teils grotesken Folgen. In einem Dorf bei Frankenberg wollten 13 der 19 Grundstücksbesitzer weiterhin nicht an das Trinkwassernetz angeschlossen werden. Sechs andere suchten indes mit Hilfe eines Anwalts durchzusetzen, dass eine 1,8 Kilometer lange Leitung gebaut und der Anschlusszwang gegenüber ihren Nachbarn durchgesetzt wird.
Generell aber gibt es gute Gründe, die Brunnendörfer anzuschließen, weshalb der Freistaat Geld zur Verfügung stellt. Im April 2019 trat ein Sonderprogramm »Öffentliche Trinkwasserinfrastruktur« in Kraft, dem zufolge das Land 65 Prozent der Kosten übernimmt. Bis September 2019 wurden laut Umweltministerium 10,5 Millionen Euro an Fördermitteln ausgereicht; 1.300 Grundstücke können so angeschlossen werden. Insgesamt gehen Schätzungen von einem Mittelbedarf von 154 Millionen Euro für alle betroffenen Grundstücke aus. Um die restlichen 35 Prozent der Kosten zu decken, müssen Eigentümer Baukostenzuschüsse leisten.
Das freilich sind teils beachtliche Summen. In Friedersdorf etwa sollen Anwohner 8000 Euro für den Bau der Hauptleitung berappen, sagt Schlicke. Dazu kommen Kosten für Hausanschluss, Zähler und die aus Hygienegründen vorgeschriebene Spülung der Hausinstallation oder ihre Ersetzung. In Summe würden im Schnitt 13.000 Euro fällig. »Das halte ich für unzumutbar«, sagt Schlicke - zumal in den Dörfern »am Ende der Welt« der »wohlhabendere Teil der Bevölkerung eher schwach vertreten ist«.
Die Höhe des Fördersatzes ist denn auch umstritten. Mancher verweist auf andere Bundesländer, die zu 90 Prozent fördern. Die Linke im sächsischen Landtag fordert einen Satz von 80 Prozent. Vertreter von Zweckverbänden hielten in der Anhörung im Landtag die 65 Prozent indes für angemessen und verweisen auch auf Gerechtigkeitsaspekte: Bewohner von Dörfern, die in den 1990er Jahren angeschlossen wurden, mussten teils die vollen Kosten tragen, ebenso Menschen, die jetzt neu erschlossene Eigenheimgrundstücke kaufen. Es gehe daher um einen »Interessenausgleich«, sagt Lutz Kunath in der Landtagsanhörung. Das Umweltministerium hält 65 Prozent für angemessen und verweist auf das »hohe Eigeninteresse« der Grundstückseigentümer sowie deren »langfristigen persönlichen Vorteil«, wie Minister Wolfram Günther (Grüne) sagt. In einem anderen Punkt immerhin wurde die Förderrichtlinie zuletzt angepasst. Die maximal mögliche Fördersumme bei Härtefällen stieg von 20.000 auf 40.000 Euro.
Auch in Glaubnitz ist nach 109 Jahren absehbar, dass die Versorgung aus Brunnen endet. Im Gespräch ist die Errichtung eines Hochbehälters, von dem Wasserleitungen in drei Dörfer gezogen werden. Der regionale Wasserversorger »plant und vermisst schon«, sagt Harald Werner. Auch eine Bürgerversammlung hat es schon gegeben. Obwohl unklar ist, wie hoch genau die Kosten für die Grundstückseigentümer ausfallen, sei im Ort niemand mehr gegen den Anschluss an das zentrale Netz. Es entfielen Sorgen um die Qualität, um den Wasserdruck - und darum, ob überhaupt Wasser aus dem Hahn kommt. Bessern, fügt Werner hinzu, werde sich die Lage ohnehin nicht mehr. »Wir glauben an den Klimawandel«, sagt er. Dass Wasser knapp ist, »wird von Dauer sein«.
Davon geht Matthias Schlicke in Friedersdorf am Erzgebirgskamm nicht aus. Dass dort das Grundwasser dauerhaft abgesunken wäre, »kann ich nicht feststellen«, sagt der Ingenieur, der einst Anlagen zur Wasseraufbereitung betreute und mittlerweile als Autor und Lektor arbeitet. Seinen Verbrauch von 25 Kubikmetern im Jahr habe er stets decken können. »Ich bin auch nicht überzeugt, dass der Klimawandel uns austrocknen lässt«, fügt er an; Veränderungen beim Golfstrom ließen ihn vielmehr erwarten, »dass wir absaufen«. An die zentrale Trinkwasserversorgung würde er sein Haus dennoch anschließen lassen; aus Gründen der Hygiene und größerer Spielräume beim Wasserverbrauch. Voraussetzung sei aber eine bezahlbare Lösung. »Einige tausend Euro kann ich dafür nicht bezahlen«, sagt er, »weil ich sie nicht habe.«
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