Noch vor dem Fest gingen die Lichter aus

Abruptes Ende für das Krankenhaus im rheinland-pfälzischen Ingelheim - 190 Beschäftigte nun arbeitslos

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.

Auslöser für die Schließung des Krankenhauses war kein technischer Defekt oder Sabotageakt, sondern die Insolvenz der Trägergesellschaft Krankenhaus Ingelheim GmbH. Nach der Entlassung der letzten Patienten aus dem 130-Betten-Haus am 18. Dezember und dem schmerzhaften Abschied der Belegschaft mit einem symbolischen Sarg vor dem Rathaus der 34 000-Einwohner-Stadt versucht nun ein Insolvenzverwalter, mit einem »Abwicklungsteam« alles zu verramschen, was noch ein paar Euro einbringt.

Vom Chefarzt bis zur Reinigungskraft sind alle ab sofort unwiderruflich freigestellt und müssen ein geschrumpftes Einkommen verkraften. Während sich Mediziner und Pflegekräfte Hoffnung auf eine Anstellung anderswo machen, stehen die Chancen auf einen gleichwertigen neuen Job für ältere Verwaltungs-, Service- und Reinigungskräfte, Pförtner und Menschen mit Behinderung schlecht.

»Wir sind traurig, wütend und voller Ängste. Seit Jahren tun die Beschäftigten alles dafür, um das Krankenhaus und die Versorgung in Ingelheim zu erhalten«, bringt die Betriebsratsvorsitzende Stefanie Klemann die Stimmung in der Belegschaft auf den Punkt. »Und jetzt, tatsächlich aus dem Nichts, kurz vor Weihnachten, diese Nachricht«, sagt Klemann. Man habe »bis zum bitteren Ende mit Leib und Seele für eine Fortführung gekämpft und alles Erdenkliche dafür getan«. Durch das »politische Versagen« stünden nun alle auf der Straße. Dabei stehe die Politik in der Verantwortung, gerade kleine Häuser zu unterstützen und eine solche Situation zu verhindern, findet sie.

Betriebsrat und Belegschaft haben ein jahrelanges Wechselbad der Gefühle mit Hoffen und Bangen hinter sich. Seit Menschengedenken wurde das Krankenhaus von der Stadt betrieben, bis 1989 der Hessische Diakonieverein einstieg. 2017 ging die Trägerschaft zu 90 Prozent an die Universitätsmedizin Mainz und zu zehn Prozent an die Stadt Ingelheim über. Zum 1. Mai 2019 wurde ein erstes Insolvenzverfahren eingeleitet. Über den privaten Klinikkonzern cCare, der in Corona-Zeiten völlig überfordert war, gelangte die Klinik dann im Juni 2020 wieder in die volle Trägerschaft der Stadt. Im Oktober 2020 wurde das Insolvenzverfahren eingeleitet.

Stefanie Klemann ist sauer auf die Stadt, die von einem direkt gewählten SPD-Oberbürgermeister und einer festen Kooperation aus CDU, Freien Wählern und Grünen regiert wird. Die Stadtspitze habe das traditionsreiche Krankenhaus wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen und nicht einmal dem Atos-Konzern eine Chance gegeben, der an einer Weiterführung des Betriebs als Haus der orthopädischen Unfallchirurgie interessiert war.

Ingelheim ist nur eines von bundesweit mehreren Dutzend kleineren Krankenhäusern, die 2020 aufgegeben wurden. Die Stadt ist Sitz des Weltkonzerns Boehringer und gilt als eine der reichsten Kommunen Deutschlands mit hohen Rücklagen.

Dass viele Einwohner Klemanns Kritik teilen, bestätigt gegenüber »nd« auch ein lokales SPD-Mitglied. »Die Leute sind sauer. Es ist verwunderlich, dass für Volksgesundheit keine Gelder da sein sollen, dafür aber jede Menge für Prestigeprojekte und Denkmäler, die sich Kommunalpolitiker wie die Pharaonen im alten Ägypten setzen«, so der gestandene Sozialdemokrat: »Möglichkeiten einer Weiterführung etwa mit Boehringer oder dem Land oder Landkreis wurden nicht hinreichend ausgelotet.« Vielleicht sei eine Fortführung gar nicht gewollt gewesen, argwöhnt er. Für Stefan Heyde, Pflegeexperte der Linken im Land, ist es »mehr als traurig, wenn ausgerechnet jetzt eine Klinik schließen muss, die auch noch als Corona-Krankenhaus in der ersten Welle Patienten versorgt hat«. Durch viele Trägerwechsel habe das Haus nie eine echte Chance gehabt. »Dass es so kommen musste, liegt am Gesundheitssystem. Solange solche Häuser Rendite abwerfen müssen, sind sie nur Profitcenter. Patienten und medizinische Versorgung sind zweitrangig«, so Heyde.

Die »Sachzwänge«, die zur chronischen Unterfinanzierung im Gesundheitswesen geführt haben, sind von Menschen gemacht. Der regionale Verdi-Pflegebeauftragte Michael Quetting sieht im seit 2004 gültigen System diagnosebezogener Fallpauschalen bei der Abrechnung mit den Krankenkassen, in zu geringen Landeszuschüssen für Investitionen und in der Konkurrenz zwischen den Häusern Gründe für die Misere. Verdi fordert einen landesweiten »Masterplan«, um etwa über Verbundkrankenhäuser in ländlichen Regionen eine flächendeckende Grund- und Regelversorgung zu gewährleisten.

Der Verdacht liegt nahe, dass die politischen Eliten in Rheinland-Pfalz drei Monate vor der Landtagswahl und neun Monate vor der Bundestagswahl die »lästige« und »teure« Ingelheimer Klinik noch im alten Jahr »abwickeln« wollten, um kurz vor dem Wahltag nicht mehr dazu befragt zu werden. Prominente Geburtshelferinnen des unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder eingeführten Systems der Fallpauschalen waren übrigens die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und die damalige Mainzer Gesundheitsministerin und heutige Ministerpräsidentin Malu Dreyer (beide SPD).

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