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»Ich wollte nicht nur mitsingen«
Steffen Reiche über den Umbruch in der DDR, die deutsche Einheit und Herausforderungen 2021
Herr Reiche, Sie sind 2014 vom Evangelischen Nachrichtenportal »idea« zum »Politiker des Jahres« gewählt worden, obwohl Sie da schon seit einigen Jahren nicht mehr in der Politik waren. Wie war das möglich?
Ich war nicht mehr im Parlament, habe aber über »idea« und über verschiedene Zeitungen mich immer wieder in politische Debatten eingemischt und eingebracht. Ein Politiker ist ja nicht nur jemand, der in einer repräsentativen oder exekutiven Institution sitzt. Ein Politiker ist für mich jeder, der sich um Fragen der Polis kümmert, politisch denkt und handelt, Entscheidungen für das Gemeinwohl mit formt, prägt und gestaltet, Anstöße gibt und Verantwortung für öffentliche Belange übernimmt. Das habe ich auch nach meinem Ausscheiden aus der Brandenburger Landespolitik und dem Bundestag getan. Und das ist wohl dankbar vermerkt worden.
Politiker sind also alle Citoyens, nicht nur Abgeordnete, die - wie Sie schreiben - die Privilegien des größten Reisebüros der Bundesrepublik, den Bundestag, genießen?
So ist es: jeder Bürger, der sich in die Gesellschaft einbringt. Und politisches Engagement ist besonders notwendig in Zeiten, da der Extremismus am rechten Rand erstarkt und Unfrieden schafft, die Gesellschaft entzweit. Die hohen Zustimmungsraten für die AfD und die hohe Zahl der Corona-Toten stehen in einer gewissen Relation zueinander. Die AfD leugnet die Pandemie und öffnet damit Leichtsinn und Unvernunft Tor und Tür. Sachsen verzeichnet die höchsten Neuinfektionen, dort sind auch die Rechtspopulisten und Rechtsextremen besonders stark präsent. Dasselbe haben die USA in diesem Jahr unter der Präsidentschaft des widerwärtigen blondierten Schopfes im Weißen Haus erlebt und erlitten.
In Ihrem jüngst erschienenen Buch gehen Sie sehr kritisch mit der DDR um. Dieser Staat hat seine Bürger explizit zum Mitgestalten und Mitregieren aufgefordert – mit diversen Parolen, Kampagnen, Initiativen.
Ja, man dufte mitsingen. Wer systemkonform redete, war akzeptiert und gern gesehen. Wer sich jedoch seine eigenen Gedanken machte oder gar die Zustände kritisch hinterfragte, war nicht mehr wohl gelitten.
Können Sie im Rückblick der DDR überhaupt nichts Positives abgewinnen? Immerhin haben Sie einen nicht untypischen Lebenslauf in Ihrer Jugend vorzuweisen - von den Jungen Pionieren in die FDJ.
Ich bin aufgenommen worden. Man hat mich nicht gefragt, man trug mir den Pionierausweis nach. Den Mut, da zu widersprechen, hatte ich damals noch nicht. Mein Widerspruch bestand einige Jahre später darin, dass ich Gruppenratsvorsitzender bei den Thälmann-Pionieren wurde. In der 8. Klasse durfte ich aber, obwohl ich der zweitbeste Schüler der Klasse war, nicht an die EOS, die Erweiterte Oberschule, wechseln. Man war der Ansicht, ich würde mich zu wenig politisch engagieren. Da habe ich mir gedacht: Das können wir gerne ändern. Ich engagierte mich, wurde FDJ-Sekretär. Ich trug mein Bekenntnisabzeichen der Jungen Gemeinde und das Blauhemd. Das war unserer sehr ehrenwerten Direktorin, die unsere Schule gut in Schuss hielt, dann doch recht unangenehm. Mein neuer Klassenlehrer in der 9. Klasse, Herr Prenzlow, hat mich verteidigt - ein mutiger Mann, der 1990 auch Schulleiter wurde. Ich habe an der Jugendweihe teilgenommen, da ich sonst massive Nachteile hätte gewärtigen müssen. Ein Jahr später habe ich mich dann auch konfirmiert, befestigt im Glauben. Fälschlich sagt man immer: Ich ließ mich konfirmieren. Aber: Mann kann sich nur taufen lassen. Das ist kein Aktiv. Aber konfirmieren muss man sich schon selber. Ich habe versucht, mich in der DDR einzubringen, diesen Versuch aber dann mit meiner Schulzeit beendet, weil ich merkte: Es geht nur um das Absingen einer vorgegebenen Partitur. Davon halte ich viel, wenn es sich um eine Partitur von Bach handelt, aber nicht um eine von Honecker oder seiner SED.
Ihre Eltern haben bei der DEFA in Babelsberg gearbeitet. Wie kam es, dass Sie sich der Theologie zuwandten - und dies wohl schon mit 13 Jahren?
Mit 13 hatte ich eine Art Bekehrungs- oder Erweckungsereignis. Ich wollte eine Klärung meines Denken. Die Ostersonntagspredigt des damaligen Landesjugendpfarrers Günther an der Beelitzer Kirche hat mir bewusst gemacht, dass für mich die Osterbotschaft fortan leitend sein wird. Sie berührte mein Herz und meinen Verstand. Gab mir Hoffnung.
Die Entscheidung zum Theologiestudium erfolgte erst später. Ich wollte zunächst eigentlich in die Fußstapfen meiner Eltern treten und Filmregie studieren. Ich hatte schon alle Bewerbungen komplett zusammengestellt, kam jedoch dann zu dem Schluss, dass ich wohl keine Chance haben würde, ein glücklicher und erfolgreicher Regisseur in der DDR zu werden.
Wieso nicht?
Weil ich mich nicht verbiegen wollte, und ich hätte mich verbiegen müssen. In der Schule hatten wir für einen Schülerwettstreit das Stück von Ulrich Plenzdorf »Die neuen Leiden des jungen W.« inszenieren wollen. Ich besuchte den Schriftsteller, um mir Tipps einzuholen. Die Einübung des Stücks nach Goethes »Werther«, das in der DDR-Realität spielt, hatte Kultstatus damals unter Jugendlichen und hat auch uns stark beeindruck und beeinflusst. Der Hauptheld kommt mit der Gesellschaft nicht klar, die Konformität verlangt, distanziert sich und begeht schließlich Selbstmord – nicht nur aus Liebeskummer.
Ich hatte zwischenzeitlich auch überlegt, Lehrer zu werden. Aber da hätte ich Schülern Dinge beibringen müssen, hinter denen ich selbst nicht stand. Also fiel dann meine Entscheidung konsequent für die Theologie. Ich konnte so das, was mich prägte, auch anderen prägend vermitteln. Und das ist eine Entscheidung, die ich bis heute nicht bereue. Ich glaube, ich habe in diesen über 40 Jahren nicht wenige Menschen darin bestärken können, ihren Glauben zu leben und auch Ausdruck zu verleihen.
Das Theologiestudium haben Sie aber nach zwei Jahren erst mal abgebrochen und eine Lehre zum Tischler aufgenommen. Kamen Ihnen da doch Zweifel an Ihrem Glauben, an Ihrer Entscheidung?
Nein, das waren nicht Zweifel, und das war auch keine Sinnkrise. Es war eine Orientierungsphase. Ich habe bis dahin immer nur gebüffelt, meine Nase in Bücher gesteckt. Das Leben besteht jedoch nicht nur aus Lernen. Ich wollte auch mal etwas mit den eigenen Händen schaffen. Ich hatte dann das große Glück, bei einem wunderbaren Tischlermeister in die Lehre zu gehen. Er war Werkstattmeister beim weltberühmten Walter Felsenstein an der Komischen Oper, bevor er sich nach dessen Ruhestand selbstständig machte. In der Tischlerei von Fritz Kai im zweiten Hinterhof in der Kastanienallee 75 im Prenzlauer Berg habe ich mehr gelernt, als man in einer staatlichen Ausbildung damals lernen konnte. Ich habe z.B. Mittelfußtische und Konsolen mit Chippendale-Füßen gefertigt, einige meiner Lehrstücke von damals habe ich heute noch.
Sie haben dem Handwerk aber den Rücken gekehrt und das Theologiestudium wieder aufgenommen.
Es war das freieste Studium in der DDR. Und Pfarrer waren die freiesten Bürger in der DDR. Sie hatten oft mit Menschen zu tun, die in kritischer Distanz zum Staat standen. Wer das Evangelium verkündet, darf nicht schweigen, wenn die Rechte und Freiheiten, die Christen in Europa erkämpften, vom Staat beschnitten werden. Wer sich auf Christus beruft, muss den Mut zum Widerspruch haben.
Wie standen Sie zu dem Bekenntnis »Kirche im Sozialismus«? In Ihrem Buch ist darüber kaum etwas zu erfahren.
»Kirche im Sozialismus« war für mich eine nachvollziehbare Ortsbeschreibung. »Kirche für den Sozialismus«, was manche auch propagierten und praktizierten, völlig unakzeptabel. Obwohl ich in meinem Herzen ein Linker war und bin. Bei vielen Themen sehe ich mich ganz links, bei manchen bin ich eher konservativ. Ich bin vermutlich der einzige sozialdemokratische Abgeordnete im Bundestag gewesen, der von allen drei parlamentarischen Gruppen der SPD-Fraktion als Mitglied geführt worden: bei der Partei-Linken, vom Seeheimer Kreis und bei den Netzwerkern.
Gelebter Pluralismus oder Beliebigkeit?
Pluralismus. Aber ich weiß sehr wohl: Wer für alles offen ist, der ist nicht ganz dicht. Ich will überzeugt werden und will überzeugen. Ich mache nicht bei einer Sache nur deshalb mit, weil es von meiner Partei oder politischen Gruppierung erwartet wird, sondern weil ich es verantworten will und verantworten kann – und weil ich erkannt habe, dass es nachhaltig ist. Das sind für mich die beiden Gradmesser. Ich will meine Position nicht schon morgen wieder revidieren müssen.
Ich bin während meines Studium stark von den Ideen von Eugen Rosenstock-Huessy beeinflusst worden, einem deutsch-amerikanischen Juristen und Soziologen jüdischer Herkunft. Der sich dann nach dem Desaster von 1918 evangelisch taufen ließ und der heute zu Recht als »Vater des Kreisauer Kreises« gilt, den Widerstandskämpfern um den Hitler-Attentäter Claus Graf von Stauffenberg: Widerstand ist legitim und im Glauben begründet. Insofern fühlte ich mich in der DDR mehr der »Kirche von unten« zugetan, die sich in den 80er Jahren bildete. Die Kirchentage in der DDR waren kritischer als andere Veranstaltungen, die »Kirche von unten« benannte aber noch deutlicher kritikwürdige Zustände, stellte noch energischer Forderungen nach mehr Freiheitsrechten und Demokratie.
Andererseits verstand ich auch die Positionen vieler Funktionäre in der Kirchenleitung. Sie wollten den Schutz- und Freiraum erhalten, ganz profan auch für die originäre kirchliche Arbeit, vor allem für die Verkündigung des Evangeliums. Zu vehementer politischer Protest hätte diesen gefährdet. Es war ein schmaler Grat, auf dem die Kirchenobrigkeit in der DDR balancierte.
Sie gehörten nicht nur zu den Mitbegründern der SDP in Schwante am 7. Oktober 1989, sondern waren frühzeitig von der Idee beseelt, die Sozialdemokratie in der DDR wieder zum Leben zu erwecken. Was war dafür der Anstoß für Sie?
Es waren ganz viele und verschiedene Impulse. Einer war mein Großvater mütterlicherseits in Dresden, der als Sozialdemokrat in die SED gekommen ist und 1946 in die SED mitvereinigt worden ist.
Gegen seinen Willen?
Das weiß ich nicht. Er starb zu früh, ich konnte mit ihm darüber nicht mehr reden. Mein Großvater väterlicherseits war weniger politisch, aber ein sehr frommer Mensch. Er lebte im Sauerland in Meinerzhagen im Haus seiner Gemeinde. Zu meiner Überraschung durfte ich ihn und meine Großmutter dann ab Mitte der 80er Jahre mehrfach besuchen. Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass ich erst ab 2025, als Rentner, in den Westen fahren könne.
Wie kamen Sie zu dem »Privileg« der Westreisen?
Keine Ahnung. Aber die DDR brauchte Devisen. Und alles war zunehmend in Auflösung. Vor mir durfte mein Vater überraschend seinen Vater im Sauerland besuchen. Ich erhielt 1986 mein erstes Visum für eine Reise in die Bundesrepublik. Vielleicht wurde es mir gestattet, weil meine Frau und unsere Tochter zu Hause blieben, faktisch als Faustpfand, als Geisel. Im Westen zu bleiben, stand für mich aber nicht wirklich zur Debatte. Denn ich wollte ja etwas in der DDR verändern. Manche Entscheidungen von DDR-Behörden konnte man sich allerdings nur schwer erklären. So wurde ich beispielsweise drei Wochen vor dem Mauerfall wieder in die DDR hineingelassen. Ich hatte über den RIAS in Westberlin bekanntgegeben, dass wir in der DDR eine sozialdemokratische Partei gegründet haben. Nachdem ich mehrere Interviews gegeben hatte, in dem wir auch über unseren Antrag um Aufnahme in die Sozialistische Internationale informierten, wollte mich dann überraschend Manfred Rexin, der Leiter der Politischen Redaktion beim RIAS, sprechen. Es folgten dann in Bonn bei einem »Brennpunkt« der ARD zum Rücktritt von Honecker Gespräche mit Oskar Lafontaine, Helmut Schmidt und Willy Brandt. Früher hätte das wohl zur Ausbürgerung gereicht. Aber die DDR hatte scheinbar gelernt. Die DDR-Passkontrolle ließ mich unbeanstandet wieder zurück über die Grenze.
Sie schreiben, Sie waren »ganz aufgeregt und stolz« an jenem Tag, als Sie die SDP gründeten.
Das stimmt. Die Gründung einer Partei ist ja nichts Alltägliches. Ich wollte nicht nur die Hand meines Großvaters aus dem vermessenen Symbol der SED, dem Handschlag von Pieck und Grotewohl, von KPD und SPD zur SED zurückziehen. Ich war zudem überzeugt, dass wir für die DDR eine neue Partei bräuchten, um dort etwas zu ändern. Nur eine im Parlament vertretene Partei kann den Forderungen der Bürgerbewegung wie auch der Friedensbewegung Gehör schaffen und dann zum Durchbruch, zur politischen Entscheidung im Parlament verhelfen. Das war unser Ziel. Und wir wollten die Sozialdemokratie in der DDR explizit an deren 40. Gründungstag wiederbeleben. Um das Vorhaben nicht durch Verhaftung zu gefährden, schliefen wir alle am Vorabend nicht in unseren Wohnungen, also ich nicht in meinem Pfarramt in Christinendorf und ebenso nicht bei meinen Eltern oder Schwiegereltern.
Ihre Hoffnungen mit der SDP-Gründung sind nicht aufgegangen, die Ergebnisse zur Volkskammerwahl am 18. März waren niederschmetternd.
Ja, das war für uns sehr bitter. Auch die westdeutschen Sozialdemokraten waren enttäuscht. Die »Allianz für Deutschland« war im März 1990 der Absahner bei der Wahl. Die Verantwortung dafür aber trägt Lafontaine, der damalige sozialdemokratische Kanzlerkandidat. Er hatte sich gegen die dynamische Wiedervereinigung, die die 16 Millionen in der DDR damals wollten, ausgesprochen, weil er sich vom amtierenden Bundeskanzler Helmut Kohl absetzen wollte, der sie leidenschaftlich unterstützte.
Man muss heute aber auch deutlich und ehrlich sagen: Wir werden jetzt von der wichtigsten Sozialdemokratin des ausgehenden 20. und begonnenen 21. Jahrhunderts regiert - Angela Merkel. Auch die CDU ist sozialdemokratisiert worden. Letztlich also doch ein später Triumph dieser Ideen.
Wenn Sie eine Bilanz von 30 Jahren Einheit ziehen müssten, wie fiele diese aus?
Die Zustimmung zu dem, was damals begonnen wurde, ist heute so hoch wie nie, liegt mittlerweile bei über 90 Prozent. Ich glaube, es gab keine wirkliche Alternative zur Vereinigung. Sicher, man hätte damals vieles geschickter und fairer gestalten können oder müssen. Für die Vereinigung der beiden deutschen Staaten gab es aber keine Blaupause. Keiner hatte einen Plan in der Schublade. Aber es ist mehr gelungen, als wir damals erhofft und erwartet haben. Dafür habe ich Respekt. Bitter war die Massenarbeitslosigkeit in Ostdeutschland. Die Leute, die es nicht eilig genug hatten, vereinigt zu werden, haben dies dann teuer bezahlt. Wir haben in Brandenburg vieles, aber nicht alles abfedern können. Insofern blicke ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurück. Aber wie gesagt, die übergroße Mehrheit der Ostdeutschen wollte und will die Einheit. Ein Zyniker konnte damals mit Bert Brecht sagen: »Die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber.« Unterm Strich hat sich jedoch für alle Ostdeutschen die Lebensqualität erhöht. Wer das Gegenteil behauptet, lügt, nimmt die Realität nicht wahr.
Können Sie sich eine Regierungskoalition mit der Linkspartie auf Bundesebene vorstellen? Oder sind Sie für eine Fortsetzung der GroKo?
Nein, nein, nein. Beides nicht. Ich halte sehr viel von einigen Politikern der Linkspartei, z.B. von Dietmar Bartsch. Aber es gibt in seiner Partei leider auch Leute, wo ich zweifle, ob man mit ihnen arbeiten könnte. Ansonsten prinzipiell: ja.
Was wünschen Sie sich für 2021 noch, außer der Abwahl der GroKo?
Ich wünsche mir, dass wir uns bald wieder auf die eigentlichen Tagesaufgaben, nämlich die Bekämpfung des Klimawandels als dem zentralen und größten Projekt unserer Zeit konzentrieren können. Wenn es uns nicht gelingt, die Erderwärmung zu stoppen, schlägt dies auf unsere Kinder und Enkel zurück, die uns dann anklagen werden, wegen »Corönchen« - einer Pandemie, der man Herr werden konnte - die eigentlichen Gefahren für die Welt missachtet oder vernachlässigt zu haben, um den Preis des Untergangs der eigenen Gattung bzw. unserer Welt, wie wir sie heute kennen. Wenn wir die 1,5 oder schlimmer noch die zwei Grad Erwärmung überschreiten, wird das Ökosystem einen Wandel erleben, gegen den wir hilflos sind. Wenn die Tipping Points überschritten sind, haben wir es nicht mehr in der Hand. Dann wandelt sich alles und wir können nur noch zuschauen. Dann werden etliche Gegenden auf diesem Planeten nicht mehr wie heute besiedelt werden können. Dann können wir nur umziehen. Ich verstehe und habe auch Respekt für diejenigen, die in den Länderregierungen und der Bundesregierung Entscheidungen treffen müssen, um die Pandemie, die uns alle in Atem hält, einzudämmen und zu überwinden. Die drohende Klimakatastrophe und unsere Umweltsünden dürfen darüber nicht vergessen werden.
Zweitens wünsche ich mir, dass wir Europa stärken, Uneinigkeit und Zwist überwinden, Rechtpopulisten und Rechtsextremisten in die Schranken weisen, ihnen den Kontinent nicht überlassen. Beide Projekte zu forcieren, fordert Fantasie und Engagement. Deshalb ist mir der Satz von Karl Förster, Schriftsteller und Garten-Philosoph, zum Lebensmotto geworden. Wenn Sie über die Potsdamer Freundschafsinsel laufen, finden Sie eine aus Edelstahl gefertigt Skulptur des Bildhauers und Schmieds Christian Roehl, die im Wind leicht wippt und schwingt. Sie ist 1974 zum 100. Geburtstag von »Stauden«-Förster aufgestellt worden. Da kann man dessen Aufforderung lesen: »Wer Träume verwirklichen will, muss tiefer träumen und wacher sein als andere.« Ich will tief träumen und hellwach sein.
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