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Das Spiel mit dem Glück
Spaniens Verbraucherschutzminister Alberto Garzón will mit Werbeverbot den Zockerbuden Einhalt gebieten
Bunte Lichter blinken im Zentrum des Roulettes. Die runde Kugel schießt heraus, wo wird sie liegen bleiben? Auf der 21? Der 4? Schwarz oder rot? Automaten überall, bjuuum der Ton, wenn sich wieder drei Bilder nebeneinanderreihen, Banane, Apfel, Trauben. Oder doch die Sportwetten? Im Central Park rennen die Hunde, hierher auf den Bildschirm in Madrid übertragen. Venus, der Windhund, belegt heute nur den dritten Platz.
Spielsalons sind in Spaniens Hauptstadt in den vergangenen Jahren wie Unkraut aus dem Boden geschossen. Laut spanischen Medienberichten hat sich ihre Zahl in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt. Ihre Standorte sind oft in den Arbeitervierteln.
In Puente de Vallecas im Süden Madrids befinden sich in einem Häuserblock elf solcher Lokale. Dieses Gebiet war im Herbst in den Schlagzeilen, weil es zu den Gegenden gehörte, die wegen der zweiten Corona-Welle als erstes abgeriegelt wurden. Hier sind Wohnungen und Einkommen klein. Mit der sich ankündigenden Wirtschaftskrise steigt die Sorge, dass sich immer mehr finanziell schwache Menschen dem Glücksspiel zuwenden.
»Die Leute suchen nach schnellen Lösungen für ihre Probleme«, sagt Juan Lamas von der spanischen Föderation rehabilitierter Glücksspieler, »deshalb siedeln sich die Salons dort an, wo es die meisten Probleme gibt.« Dort, wo die Lokalmieten geringer sind und die Zielgruppe viel Zeit draußen verbringt, wo sie an jeder Ecke auf einen Salon stoßen kann. Eine Nachbarschaftsvereinigung hat zudem ermittelt, dass sich in Madrid 61 Spielsalons weniger als 100 Meter von Schulen entfernt befinden. Und die Jugend scheint das Angebot zu nutzen.
Laut Remi Martín von der Nichtregierungsorganisation Proyecto Hombre, die sich um Menschen mit Abhängigkeiten kümmert, haben sich in den vergangenen fünf bis sechs Jahren vermehrt Jugendliche dem Glückspiel zugewandt. Waren es früher noch über 35-Jährige oder ältere Männer mit Casino-Abhängigkeit, spielen nun schon 16-Jährige, die mit 20, 22 Jahren die ersten Probleme haben. Und diese bedienen sich auch modernerer Technologien. Mit dem Laptop und dem Handy können sie zu jeder Zeit an jedem Ort wetten. Auf der Arbeit, beim Familienessen, während des Treffens mit Freunden - und während des Corona-Lockdowns. Um dieser Entwicklung zu begegnen, hat die Regierung auf Initiative des Verbraucherschutzministers Alberto Garzón nun die Werbung eingeschränkt.
Ein neues Gesetz verbietet den Aufdruck von Marken der Glücksspielindustrie auf den Trikots der Sportvereine und limitiert die Werbung in audiovisuellen Medien (inklusive Youtube) auf den Zeitraum von ein Uhr bis fünf Uhr. Willkommensgutscheine für neue Spieler gibt es nun nicht mehr. Die Umsetzung all dieser Werbeänderungen soll bis Sommer 2021 abgeschlossen sein. Schon jetzt dürfen Sportvereine aber keine Verträge mehr mit neuen Sponsoren aus der Glücksspielbranche abschließen.
Dass all das hilft, bezweifelt Remi Martín. Er vergleicht das Glücksspiel mit Alkohol und Tabak. Auch dafür ist die Werbung verboten, aber verringert das den Konsum? Er plädiert dafür, an der kaum vorhandenen Prävention zu arbeiten. Juan Lamas von der Föderation rehabilitierter Spieler sagt dagegen, dass die Werbung nicht so ein Millionengeschäft wäre, wenn sie nicht wirken würde. Für seine Föderation ist das neue Gesetz deshalb auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung.
Der Umgang mit dem Glücksspiel ist etwas, über das man streiten kann. In Gibraltar, wo mehr als 30 Glückspielunternehmen ihren Sitz haben, welche ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts des britischen Überseegebiets ausmachen, sagt der Anwalt Peter Howitt: »Menschen lieben das Risiko, weil es Spaß macht.« Er vergleicht Glücksspiel mit Extremsportarten und ergänzt: »Man muss nur das richtige Maß im Umgang damit finden.« Individuelle Verantwortung gilt als Existenzberechtigung. Nur, was mit den Spielern passiert, ist schlussendlich ein Problem des persönlichen Umfelds und des Gesundheits- und Sozialsystems der Staaten.
In Spanien, das von der Corona-Pandemie hart getroffen wurde, ist dieses Auffangnetz stark strapaziert. Die Arbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen liegt aktuell bei über 40 Prozent. Und über 70 Prozent der 20- bis 30-Jährigen schaffen es finanziell nicht, aus dem Elternhaus auszuziehen. Nach der Krise von 2008 ist die Entwicklung einer weiteren Generation gefährdet. Eine, die seit Jahren mit dem Glücksspiel flirtet. Juan Lamas und Remi sagen: »Die Zahl der Glückspieler hat sich in den vergangenen Monaten vermehrt.«
In den Spielsalons bleibt die Zeit stehen. Kein Licht dringt von draußen herein, es gibt keine Uhren. Kaffee und Wasser sind gratis. Hier kann man vergessen. Die Enge der Wohnung, in der man das halbe Jahr eingesperrt war, die Ansprüche der Verwandten, die auf einem lasten und das fehlende Geld, das sich durch Arbeit nicht verdienen lässt. Wenn doch nur die Kugel am richtigen Ort liegen bliebe.
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