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Wacköööööön!

Fallen auch 2021 die Festivals aus? Im Vorjahr wussten wir Fans uns zu helfen.

  • Frank Schäfer
  • Lesedauer: 6 Min.

Das erste Augustwochenende kam mit Rockdinosaurierschritten näher. Alle wurden plötzlich merkwürdig unruhig in der W:O:A-WhatsApp-Gruppe, wo ein paar befreundete Metalheads seit einigen Jahren ihre regelmäßigen Wackenlandfahrten koordinierten. Dabei hatten wir ja immer noch eine waschechte Pandemie am Hacken in diesem Scheißsommer 2020. Das Wacken Open Air fiel aus, wie alle anderen Festivals auch.

Dennoch, die Luft begann zu vibrieren in unserer virtuellen Kneipenrunde. Der Traffic nahm zu, das Bedauern über diese Lücke im Kalender gewann an Dringlichkeit. Es baute sich enormer emotionaler Druck auf. Der schließlich seine Entladung fand: »Ehrlich gesagt, hätte ich gute Lust, trotzdem hinzufahren«, schrieb Helge, der Rebell. »Dann spielen halt keine Bands, na und?! Holy Ground! Paar Zelte, genügend Bier, Mucke aus der Konserve … Wackööööön!«

Mein Apostatengeist war geweckt. »Ich will es mal so sagen: Bin dabei!«

Aber bevor wir das Logistische angehen konnten, machte Meike unsere fixe Idee noch fixer zunichte. »Sind schon andere draufgekommen«, schrieb sie. »Schaut mal auf die Seite, die Macher warnen dringend vor einer Anreise. Die schmeißen da alle wieder runter!« Auf eine Runde Haschmich mit der Bullerei oder am Ende sogar mit dem für seine übertriebene Härte gefürchteten Security-Chef des Festivals hatte keiner Lust. Soweit ging die Liebe nicht.

»Wir können uns ja wenigstens zu einem Wacken-Planungsabend treffen!«, schrieb Helge diplomatisch. Und dagegen konnte nun wirklich keiner was haben. Nicht mal die Bundeskanzlerin, die unterdessen Zusammenkünfte im niedrigen zweistelligen Bereich erlaubt hatte. Außerdem waren wir ja gewissermaßen Metal-Kernfamilie.

Es kreißte also unser Planungskomitee, bei Bier und Grillage und gebar eine Maus von einem Festival. »Wir stellen einfach Beamer und Leinwand bei uns im Garten auf«, rief Helge japsend vor Aufregung, »und spielen Wacken nach.«

»Mit allem Schnick und Schnack«, nickte Meike zustimmend. »Einem Pavillon, falls es gallert, Grill, Zelte, paar Kisten Bier …«

»Wer holt das Eis vom Großmarkt für die Kühlung?«, fragte Dirk.

»Brauchen wir nicht«, unterband Rüdiger ein für allemal den drohenden Aktionismus. »Wir stellen einen Eisschrank nach draußen.« - »Orrr, das wird guuut!«, rief Volker. »Ich will es mal so sagen: Bin dabei!«

Es spielte uns in die Karten, dass die Wacken-Initiatoren eine Online-Ausgabe des Festivals organisierten. Einen Stream mit klassischen Konzerten von Motörhead, Volbeat, Judas Priest, gemischt mit tatsächlichen Live-Konzerten von Rage, Blind Guardian, Heaven Shall Burn, Kreator etc., die man eigens dafür an einem geheimen Ort unter Corona-Bedingungen, also ohne Fußvolk aufspielen lassen wollte. »Naja, ich bringe vorsichtshalber mal meine Festplatte mit«, grummelte Volker skeptisch. Darauf hat er so ziemlich jedes relevante Metal-Musikvideo gespeichert. »Alles fairtrade aus der Ukraine importiert«, betont er.

Am letzten Freitag im Juli ging es los in Dalldorf. Ort des Geschehens: Helges Garten resp. Campground A. Marcus hängte zur Einstimmung jedem von uns einen handgefertigten Wacken-VIP-Pass um. Armed and Ready! Es wurde gegrillt, gezecht, über die Bands gelästert und noch mehr über das Moderatorenpaar: »Ausgerechnet Markus Kavka, was will der da? Weil er in seiner Jugend AC/DC gut fand und ein bisschen beim ›Metal Hammer‹ herumdilettiert hat? Der hat doch überhaupt keine Checkung mehr«, echauffierte sich Rüdiger.

»Na und, du doch auch nicht«, gab Dirk zurück.

»Auch wieder wahr!«

»Der peilt aber wirklich nichts«, pflichtete ihm Volker bei.

»Und wer ist überhaupt Jenny Augusta?«, versuchte Rüdiger einen zweiten Anlauf. »Geschlechter-Parität, schön und gut, aber warum nimmt man nicht jemanden, der weiß, wovon er spricht? Conny Schiffbauer, Katrin Riedl, Angela Gossow oder Britta von Cripper ...«

»Britta spielt doch gar nicht mehr bei Cripper«, maulte Pavel. »Du hast wirklich keine Ahnung.«

Und so verging dieser Abend wie auf dem echten Festival, nämlich wie im Flug. Und bevor Helge, der Gastgeber, wieder mal als erster umfiel, bekamen wir noch einmal seine ganze Straßenweisheit zu schmecken: »Die ersten werden die Letzten sein. Und der Letzte macht das Licht aus!«

Am nächsten Morgen setzte sich die gesamte Horde ächzend in Marsch. Um möglichst authentische Festivalbedingungen herzustellen, hatten wir eine kleine Schwierigkeit eingebaut. Wir würden am zweiten Tag in Leiferde weiterfeiern, dem Nachbardorf, gute sechs Kilometer entfernt. Der Spaziergang dahin entspricht etwa der Strecke, die man auf so einem Festival abspult.

Nach 500 Metern kehrten wir erst mal ein. Das Fritzcafé hatte eigens seinen kleinen Biergarten für uns Wandervögel geräumt. Drei Stunden später ging es weiter durchs Harmbütteler Holz, in dem schon so mancher Sonntagsspaziergänger von einer Rotte Wildschweine in die Flucht geschlagen worden war. Wölfe hatte man bisher nicht gesichtet, ein paar Dörfer weiter nördlich hingegen schon. Also wer weiß?

Wir kamen ohne Verluste an und setzten uns ins gemachte Nest. Rüdigers Garten aka Campground B. Und jetzt ging alles seinen gewohnten Gang. Der Grill lief heiß, das Wolters wurde niemals alle. Kreator bekamen Applaus, über Sabaton und Hämatom wurde Häme ausgekübelt. Ein harmonischer Nachmittag. Ein sehr harmonischer Abend. Eine überaus harmonische Nacht - hätte es werden können, aber dann kamen die Bullen ...

Das waren aber zu unserem Erstaunen nicht mehr die knallharten Dorfschupos von früher, denen die sadistische Lust, anderen den Spaß zu verderben, in Fraktur auf der Stirn geschrieben stand. Die hier zeigten die Nachsicht von Servicekräften.

»Ah, ihr schaut Wacken«, sagte der eine Polyp und reckte beide Daumen.

»Nein«, sagte der Hausherr. »Wir SIND Wacken!«

»Ja, das sehe ich schon!« Verständnisvoll lächelnd klärte er uns auf. Einmal müsse er noch kommen, sofern es weitere Beschwerden gebe. Danach rufe er nur noch an. Wir lachten laut. Dann allerdings, tja, so seien nun mal die Gesetze, da hätten sie wenig Spielraum, werde ein kleines Ordnungsgeld fällig. Aber auch das wischte er einfach so beiseite. »Ihr könnt ja schon mal sammeln!«

»Maaaachen wir«, grölte es darauf im Chor. Und schon waren die beiden Wachtmeister verschwunden und Rüdiger konnte wieder aufdrehen.

Als wir längst schon selig, satt und schmöll in unseren Schlafsäcken lagen, wurde es noch lauter. Ein Gewitter kam auf. Ich hörte, wie einer im Zelt nebenan nach einem hellen Blitz zu zählen begann. »Eins, zwei, drei …« Dann folgte Götterdonner! Erneut ein Blitz. »Eins …« GÖTTERDONNER!!!

Man hörte den Reißverschluss seines Zeltes ratschen. Ich spähte hinaus. Eine Gestalt robbte auf dem Rasen in Richtung Haus. Die letzten paar Meter rannte er. Rüdiger schlief lieber drinnen. »Hasenfuß«, rief ihm Dirk hinterher. »Metal ist was anderes«, grummelte Volker.

Die Götter Asgards aber schauten wohlgefällig auf uns herab. Es passierte keinem etwas. Bis auf den Gargantua-Schädel am Tag danach vom vielen Gegorenen gab es keine besonderen Ausfälle. Und der Kater war schließlich eingepreist.

An die Erlebnisse des Sommers erinnerte ich mich wieder, als wir nun in den zweiten Lockdown geschickt wurden und die Prognosen für die Sommer-Festivals 2021 ziemlich defätistisch ausfielen. Es vergingen nur ein paar Tage, da lief die WhatsApp-Gruppe heiß. »Wir brauchen Wacken doch gar nicht«, schrieb Helge. »Wir wissen jetzt, wie es gehen kann ...«

Die drei Punkte wurden auch bald ausgepinselt. »Ich kann eine kleine Bühne besorgen«, meinte Meike. »Und ich schreib mal Till von Headshot an, wie der Freundschaftspreis bei denen aussieht«, rief ich via Sprachnachricht. Ich war viel zu nervös zum Tippen. Das Planungskomitee tagt jetzt wöchentlich via Zoom. Nur die Metal-Kernfamilie, versteht sich.

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