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Regisseurin des Miteinanders

Die Lehrerin und Filmemacherin Zara Demet Altan wurde für ihre Arbeit geehrt.

  • Quynh Tran
  • Lesedauer: 5 Min.

Erleben ist das beste Lernen - das gilt für das Verständnis um die Lebenswelten anderer Menschen ebenso wie für klassischen Theaterstoff. Und genau so hält es die Lehrerin und Filmregisseurin Zara Demet Altan mit ihrer Arbeit, die sich irgendwo zwischen Bildungsauftrag, kultureller Vermittlung und Kunst bewegt, und für die sie gerade mit dem »Band für Mut und Verständigung« ausgezeichnet wurde. Schon zum 27. Mal wurde der Preis vom Berliner Bündnis für Mut und Verständigung an Menschen verliehen, die einen außergewöhnlichen Einsatz gegen rassistische Gewalt und für interkulturelle Verständigung leisten. Zara Demet Altan wurde, neben fünf anderen Preisträgern und Preisträgerinnen, für ihren »langjährigen, innovativen und humorvollen Einsatz für eine interkulturelle und interreligiöse Begegnung, ihr mutiges, vorbildhaftes Engagement auch in Konflikten Brücken zu bauen sowie für ihren leidenschaftlichen Einsatz gegen Zuschreibungen und Vorurteile« geehrt, so das Bündnis.

Geboren in eine kurdisch-alevitische Familie in Malatya im Osten der Türkei, kam Zara Demet Altan mit sechs Monaten nach Deutschland. Bereits als Kind interessierte sie sich für Literatur und spielte Theater. Auch während des Studiums in Berlin, erst in Literatur und Geschichte, später in Pädagogik, das sie mit dem zweiten Staatsexamen abschloss, hat das Schauspiel sie immer begleitet. Sie absolvierte ein Praktikum am Shakespeare's Globe in London, arbeitete an Theater- und Filmproduktionen mit, und gewann noch während der Ausbildung ihren ersten Preis für das Drehbuch »Schön«.

Kurz nach der Flüchtlingsbewegung 2015 trat Demet Altan ihre erste Stelle als Lehrerin an der Kurt-Schumacher-Grundschule in Berlin-Kreuzberg an. Im Unterricht traf sie auf ein Kind, das nicht schwimmen wollte. Auf ihre Frage, warum, erzählte es ihr, wie es im Mittelmeer aus dem Boot ins Wasser fiel und dann von einem älteren Mann vor dem Ertrinken gerettet wurde. Die Fluchtgeschichten, die gerade das ganze Land bewegten, sie waren plötzlich mitten in ihrem Klassenzimmer. Demet Altan, Pädagogin, aber eben auch ausgebildete Regisseurin, fragte den Schulleiter, ob sie einen Film machen könne. So ist 2017 der Kurzfilm »Frühlingskinder« mit Demet Altan als Produzentin und Regisseurin entstanden, der in gerade mal sechzehn Minuten nicht nur die Fluchtgeschichte, sondern auch das Ankommen in einer neuen, noch fremden Heimat aus der Perspektive von sechs syrischen Geschwistern erzählt. Eine Fiktion, die von wirklichen Erfahrungen lebt, gespielt und geschaffen von Schülerinnen und Schülern der vierten Klasse der Kreuzberger Grundschule, die bezeichnenderweise wiederum selbst etwas von einer Theaterkulisse im ewigen Umbruch hat, gilt sie doch als Dauerbaustelle, die schon mal der »BER« von Kreuzberg genannt wurde. Gerade mal drei Monate hat die Gruppe am Drehbuch gearbeitet und fünf Tage gedreht. Für die Schüler war es nicht nur Spiel, sondern eine Übung, sich in die mitunter traumatischen Gedanken und Erfahrungen anderer zu versetzen und miteinander ein Ganzes zu schaffen - und das in einer besonders identitätsstiftenden Lebensphase. Und auch das geflüchtete Kind hat in an dem Film mitgeschrieben und mitgespielt. Als Werk, das nicht nur Kindern bei der Aufarbeitung ihrer Fluchterfahrung helfen sollte, sondern auch das Bewusstsein für diese Erfahrung stärken sollte, endet es mit dem Frühling in einem neuen Leben in einer neuen Heimat und all den Möglichkeiten, die sich damit eröffnen.

Das Schulprojekt, das Demet Altan weitgehend aus eigenen Mitteln finanziert hat, wurde mit dem Preis des »Bündnis für Demokratie und Toleranz« und auf dem Garden State Film Festival in New Jersey ausgezeichnet und lief auf Filmfestivals auf der ganzen Welt.

Und weil die Erfahrung mit »Frühlingskinder« für alle Beteiligten ein Überraschungserfolg wurde, ging und geht es an der Kurt-Schuhmacher-Grundschule und mit Zara Demet Altan weiter. Auch in ihrem zweiten Projekt geht es um Miteinander und gelebte Inklusion, diesmal in einer Umdeutung von William Shakespeares Sommernachtstraum. In »Sommernachtskinder« (2019) wird aus Hermia Ada, aus Lysander und Demetrius Ben und Ali, und Puck wird zu einem Dschinn. Die Handlung spielt natürlich in der Kreuzberger Grundschule; der klassische Stoff wird zu einer halbstündigen Coming-of-Age-Komödie mit interkulturellen Generationskonflikten. Auch dieser Film von Demet Altan und ihren Schülern und Schülerinnen wurde international gezeigt und mit Preisen ausgezeichnet, darunter von »Aktiv für Demokratie und Toleranz«, dem »180’ Filmfest Berlin« und den »Fusion International Film Festivals« in Brüssel.

»Sommernachtskinder« und »Frühlingskinder« sind keine Träume aus Zelluloid, nichts, was die Kinder nur spielen. Der Stoff dieser Filme entspringt dem Leben der Schülerinnen und Schüler. Es sind echte Konflikte aus dem Alltag, Auseinandersetzungen mit den Eltern, mit den Lehrern, mit einer Gesellschaft im Umbruch. Es ist ein Drama im Kleinen, das die großen Geschichten erzählt. Und dabei bilden die Kurzfilme die Geschichten nicht einfach nur ab; durch die aktive Auseinandersetzung der Kinder werden sie auch zu Projektions- und Reflexionsflächen für ihre Erfahrungen.

Genau das zeichnet vielleicht auch die Regisseurin Zara Demet Altan aus, die es versteht, die Erfahrungen ihrer Schülerinnen und Schüler in bewegende Bilder zu bringen und als Vermittlerin ihrer Gefühle zu agieren. »Mein Wunsch ist es, die Probleme der Kinder, die heute vor uns sitzen zu thematisieren. Und zwar aus ihrer Sicht. Dazu zählen neben all den alltäglichen Kämpfen auch Fluchterfahrungen und Diskriminierungserfahrungen von Schülern, die dem Rassismus der eigenen Lehrer ausgesetzt sein können. Das ist Teil unserer Welt von heute. Das sind keine abstrakten Vorstellungen, sondern echte Probleme aus dem Alltag, auf das man als Pädagogin im Studium oft unzureichend vorbereitet werden«, sagt Demet Altan. Sie hofft auch, dass die Erzählungen aus den Filmen vielleicht einen solchen Eindruck hinterlassen, dass sich Menschen mehr einsetzen. Für andere Menschen, die Flucht- und Diskriminierungserfahrungen gemacht haben und vielleicht nicht gesehen werden.

Sie selbst bleibt gerne im Hintergrund und beteuert immer wieder, dass es die Filme das gemeinsame Werk mit den Kindern ist. Die Bilder, die sie schafft, haben umso mehr Präsenz. Derzeit arbeitet sie gerade schon wieder am nächsten Projekt. Es soll »Republik der Kinder« heißen. Wenn die Botschaften aus ihren Filmen gehört werden, dann ist das schon ein Schritt in eine Zukunft, in der Menschen aufeinander zugehen. Und wer weiß, vielleicht zündet sie einen Funken für eine neue Generation Kreativschaffender, die ihre Erfahrungen ebenso humorvoll, einfühlsam und zugänglich verarbeite wie Zara Demet Altan mit ihren Schülern und ihren Schülerinnen in ihren Filmen.

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