Superwahljahr mit Unwägbarkeiten

Im Schatten der Coronakrise wappnen sich die Parteien für die Abstimmungen im Herbst

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Eindämmung der Corona-Pandemie genießt derzeit in der Berliner Landespolitik absolute Priorität. »Ich werde nicht viel in der Gegend rumrennen, um Wahlkampf zu machen«, erklärte Klaus Lederer vor Kurzem bei seiner Vorstellung als designierter Spitzenkandidat der Berliner Linkspartei für die Abgeordnetenhauswahl in diesem Herbst. Wie alle Senatsmitglieder ist auch der Vizesenatschef derzeit voll in das Krisenmanagement eingebunden. Wobei das Image eines guten Krisenmanagers im kommenden Wahlkampf ganz bestimmt nicht schaden kann. Im Gegenteil. »Ich bin der einzige Bürgermeister, der sich die Spitzenkandidatur für 2021 zutraut«, betont Lederer, der mit seiner Regierungserfahrung punkten will.

Das Superwahljahr in Berlin wirft seine Schatten trotz Coronakrise voraus. Einen genauen Wahltermin für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen gibt es zwar noch nicht, aber es würde aus organisatorischer Sicht Sinn machen, dass in Berlin zeitgleich mit der Bundestagswahl abgestimmt wird. Die ist für den 26. September 2021 terminiert worden. Sollte das laufende Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co enteignen« bis dahin tatsächlich einen landesweiten Volksentscheid über die Vergesellschaftung von privaten Wohnungsunternehmen mit jeweils mehr als 3000 Wohnungen in der Stadt erzwingen, könnten theoretisch sogar drei Wahlen und ein Volksentscheid am selben Tag im Herbst stattfinden. Die Zuschreibung »Superwahltag« wäre dann gegebenenfalls sehr zutreffend. Doch soweit ist es noch nicht. Mit der Nominierung von Klaus Lederer zum designierten Spitzenkandidaten der Linken haben aber inzwischen die vier großen Parteien SPD, Grüne, Linke und CDU in der Hauptstadt ihre Kandidatinnen und Kandidaten aufs Schild gehoben, auch wenn etwa bei Lederer der formale Beschluss durch eine Parteimitgliederversammlung noch aussteht. Und so kommt zumindest auf den Homepages der Parteien bereits etwas Wahlkampfstimmung für das Jahr 2021 auf.

»Ich bin bereit, für diese Stadt und für die Sozialdemokratie in Berlin meine Kraft, mein Wissen, meine Kompetenz, meine Empathie und mein ganzes Herz einzusetzen«, grüßt Franziska Giffey von der Internetpräsenz der Berliner SPD. Jetzt könne es losgehen, heißt es. Tatsächlich ist die Bundesfamilienministerin bereits seit Anfang 2020 in Berlin unterwegs, um sich für die Wahl in Stellung zu bringen. Seinerzeit erklärte der damalige SPD-Landesvorsitzende und Regierende Bürgermeister Michael Müller seinen Verzicht auf den Vorsitz. Bei der kommenden Wahl würde Müller selbst gerne direkt oder über die Landesliste in den Bundestag gewählt werden. Es obliegt dann also Giffey, das Rote Rathaus für die Sozialdemokraten zu verteidigen. Entsprechend engagiert tingelt die SPD-Politikerin bereits seit Monaten durch die Stadt. Auch in der Silvesternacht besuchte Giffey gemeinsam mit dem SPD-Innensenator eine Polizeieinsatzhundertschaft am Großen Stern in Tiergarten, um sich bei den Polizisten »für die geleistete Arbeit zu bedanken«. Für die SPD, die bei der kommenden Wahl unter anderem mit dem Thema Innere Sicherheit punkten will, sind solche Präsenztermine wichtig. Die Partei bastelt nämlich an ihrer Erzählung als Garant der Inneren Sicherheit, mit diesem Thema will sie Wählerinnen und Wähler in der sogenannten Mitte von der CDU abwerben. Schließlich verfolgt die SPD das Ziel, mit Franziska Giffey endlich aus dem Umfragetief zu gelangen, in dem die Partei laut Meinungsforschungsinstituten steckt.

Klar ist: Neun Monate vor der Wahl ist der Ausgang der Abgeordnetenhauswahl völlig offen. Aktuellen Umfragen zufolge liegt mal die CDU mit Kai Wegner vorn, mal sind es die Grünen mit Bettina Jarasch. Je nach Umfrageinstitut folgen dann SPD oder Linke, die AfD wird weiter zweistellig gemessen und auch die bisher oppositionelle FDP hat erneut gute Chancen, ins Abgeordnetenhaus einzuziehen.

»Der richtige Wahlkampf wird wohl ab Ostern beginnen«, hatte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller noch Ende Oktober vergangenen Jahres im Interview mit »nd« geschätzt. Ob das wirklich so kommt, hängt vor allem von der weiteren Entwicklung der Corona-Pandemie ab. Die Parteien sind unterdessen dennoch stark bemüht, ihre Programme zu entwickeln. So will die Berliner Linkspartei am 16. und 17. Januar nicht nur ihren Landesvorstand auf einem Parteitag neu wählen, sondern natürlich auch inhaltliche Signale senden. Absehbar ist zudem, dass die Coronakrise und ihre sozialen Folgen starke Auswirkungen auf den Wahlkampf haben dürften. »Die Pandemie hat deutlich gemacht, wie notwendig ein leistungsfähiges Gesundheitssystem ist«, sagt die Landeschefin der Linken, Katina Schubert, zu »nd«. Den Kampf um das Öffentliche, das Gemeinwesen und die Kieze, das könnte eine Erzählung der Linkspartei im kommenden Wahlkampf werden.

Für die Linke, die nach eigenem Bekunden vor allem für sich selber kämpft, aber bei einem entsprechenden Ergebnis auch gerne die rot-rot-grüne Koalition fortsetzen würde, geht es bei der Abgeordnetenhauswahl um einiges. Anders als SPD und Grüne beispielsweise hat die Linke kaum Aussichten, andere Bündnisse mit Parteien aus dem bürgerlichen Lager zu schmieden, da diese wie etwa die CDU ein Zusammengehen mit den Sozialisten ausschließen. Auf der anderen Seite ist beispielsweise eine schwarz-grüne oder grün-schwarze Koalition, wie sie sich im Bund andeutet, auf Berliner Ebene ebenfalls schwer vorstellbar. Hinter vorgehaltener Hand wird ein solches Bündnis von Grünen vom linken Flügel für Berlin ausgeschlossen. Gut möglich also, dass sich nach großem Wahlkampfgetöse dieselben Partner wie bisher zu Koalitionsverhandlungen zusammenfinden werden.

Unwägbarkeiten zeichnen sich jedoch bereits ab: Bald will etwa die Freie Universität die Prüfung der Doktorarbeit von Franziska Giffey abschließen. Der Ausgang der sogenannten Plagiatsaffäre könnte der SPD die ganze Personalkür zerschlagen. Auch wenn Giffey bereits auf das Führen des Doktortitels verzichtete und für eine Spitzenkandidatur trotz einer möglichen Aberkennung des Titels vorgebaut hat. Politisch verspricht das Superwahljahr 2021 in der Hauptstadt in jedem Fall sehr spannend zu werden.

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