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Die Kalaschnikow in meiner Badewanne
Das sogenannte Böllerverbot hat mir diesmal die Aussicht auf den sonst gefürchteten Jahreswechsel in Berlin angenehmer gestaltet. Normalerweise erinnert mich meine Kreuzberger Nachbarschaft Silvester immer ein bisschen an ein Kampfgebiet. Vor allem das eine Mal, vor ein paar Jahren, als meine Wohnung in der Nacht des 31. Dezembers von einem guten Dutzend mir unbekannter Menschen in Militäruniformen gestürmt wurde. Wir selbst saßen gerade in einer eher kleinen Dinnerparty-Runde zusammen, denn eigentlich hatten wir uns vorgenommen, »dieses Jahr mal ganz gemütlich zu feiern«.
Es handelte sich um das Projekt eines Langzeit-Filmregie-Studierenden, der sich entschieden hatte, nach einer mehrstelligen Anzahl Semestern nun endlich doch noch seinen Abschlussfilm zu realisieren. Die meisten der etwa 15 Darsteller*innen waren Laien, hauptsächlich exzentrische Typecasts - und eine davon die aktuelle Affäre meines Mitbewohners. Sie hatte, ohne uns zu fragen, unsere Wohnung zum Drehort erklärt - und Silvester zur Nacht der Aufnahme.
Die Filmleute waren alle schon mindestens in den Dreißigern (die meisten von ihnen wahrscheinlich ebenfalls Studierende in zweistelligen Semestern), verhielten sich aber ein bisschen wie gierige Teenager, indem sie all unseren Crémant austranken und unseren Bio-Lachs auffraßen. Sie okkupierten auch das Badezimmer eine gute Stunde lang, denn sie schminkten sich vor dem Spiegel die Gesichter: eine kulturell ambivalente »Kriegsbemalung«. Ihre Uniformen waren wahrscheinlich ein Konglomerat all dessen, was der spartanisch ausgestattete Universitätsfundus hergegeben hatte.
Die falschen Krieger*innen hatten auch Waffen mitgebracht - ebenfalls eine Sammlung all dessen, was zufällig im Bestand der Hochschule gelandet war. Es handelte sich hauptsächlich um Gewehre, aber auch Säbel, Pistolen und Schwerter waren dabei. Am nächsten Tag fand ich eine täuschend echt aussehende Kalaschnikow in meiner Badewanne - sie schien so identisch mit dem Originalmodell, dass sogar ich (absolut keine Waffenspezialistin) sie sofort zuordnen konnte. Im ersten Moment hatte ich richtig Angst, sie anzufassen, weil ich dachte, sie könnte direkt losgehen und entweder mich selbst oder meine Badewanne erschießen.
Um Punkt Mitternacht rannten also die 15 Menschen in Uniformen laut brüllend auf die Straße - mit der Intention, vor meinem Haus den »Dritten Weltkrieg« nachzuspielen: Eine Idee, die zugegebenermaßen gar nicht so besonders absurd war. Die Nachtleben-intensive Straße, in der mein Haus steht, erinnert (dieses Jahr leider sogar trotz Böllerverbot) schon Tage vor Silvester an das, was sich friedensgewöhnte deutsche Kids (wie ich) unter »Krieg« vorstellen.
Der Film wurde nie fertig - stattdessen flog der Regiestudent kurz darauf von der Schule, weil er versuchte, Studierende zu agitieren, den Rektor zu stürzen. Ich hatte von Anfang an einen kleinen Crush auf ihn gehabt und danach immer wieder gehofft, ihn zufällig wiederzusehen, aber natürlich fiel er nie wieder in meine Wohnung ein, weder mit noch ohne seine Armee. Einmal aber trafen wir uns doch noch, spätnachts vor einer Kneipe. Wir spazierten gemeinsam bis zu meiner Haustür, und ich versprach ihm, ihn zu kontaktieren, um einen Termin für die Waffenübergabe zu organisieren - was aber aus irgendeinem Grund nie passierte.
Die Kalaschnikow habe ich bis heute. Meine Mutter erschreckt sich jedes Mal zu Tode über das Spielzeug, fordert mich auf, es doch bitte endlich aus meiner Wohnung zu entfernen. »Wenn die Polizei das sieht, schießen die sofort«, sagt sie dann. Warum sie es für wahrscheinlich hält, dass die Polizei mich in meiner Wohnung besucht, weiß ich nicht.
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