»Es nützt jetzt nichts zu jammern«

Die Thüringer Grüne Astrid Rothe-Beinlich über die Situation der Schulen in Zeiten eines harten Lockdowns

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 5 Min.

Ist das, was die Kultusministerkonferenz am Montag beschlossen hat, eine bildungspolitische Kehrtwende weg von der Prämisse, Schulen und Kindergärten unbedingt offen zu halten?

Ich finde das etwas schwierig zu beurteilen. Denn ganz klar ist ja nicht, was nun die neue Linie der Kultusministerkonferenz ist, es gibt ja keine allgemeinverbindlichen Vorgaben, sondern die KMK sagt: Wie es an den Schulen weitergeht, wird jeweils in den Ländern je nach Infektionslage entschieden. Eine bundesweit einheitliche Hilfestellung ist das jetzt eher nicht. Ich würde aber schon sagen, dass die KMK sich jetzt den Realitäten gestellt hat. In Bundesländern mit einer so hohen Inzidenz wie Sachsen oder Thüringen kann man nicht so einfach die Schulen wieder öffnen.

Astrid Rothe-Beinlich

Die Bildungspolitikerin ist Vorsitzende der Thüringer Grünen-Fraktion. Die Grünen sind Teil der Erfurter Landesregierung.

Sebastian Haak sprach mit der 47-Jährigen über die Folgen der Beschlüsse der Kultusminister zum Umgang mit Corona an den Schulen für Kinder und Jugendliche.

Einzelne Länder haben schon angekündigt, von Öffnungsklauseln nun sehr rasch Gebrauch zu machen - Baden-Württemberg zum Beispiel. Halten Sie das für klug?

Klar ist, wir befinden uns in einem ganz großen Dilemma, das sich nicht einfach so auflösen lässt. Grundsätzlich halte ich es schon für richtig, dass man die Schulen und auch Kindergärten dort so schnell wie möglich wieder öffnet - und sei es auch nur teilweise -, wo die Infektionszahlen das zulassen. Denn ich kann doch den Schülern in Bundesländern mit niedrigen Infektionszahlen nicht sagen, sie müssen zu Hause bleiben, weil andernorts die Zahlen viel höher sind. Wichtiger scheint mir, dass man überall klug überlegt, wie man die Schulen und Kindergärten hybrid wieder öffnet. Dass man zum Beispiel den Fokus darauf legt, die Abschlussklassen wieder möglichst schnell in die Schulen zu bringen, ist richtig. Man darf dabei nur die Viertklässler überall dort nicht vergessen, wo es - wie in Thüringen - ein gegliedertes Schulsystem gibt. Ich bin außerdem der Überzeugung, dass wir zeitnah Modelle für Wechselunterricht brauchen. Gerade die Kleinsten sind darauf angewiesen, immer wieder in festen Gruppen unterrichtet und angeleitet zu werden.

Auch, weil sich bei der Digitalisierung der Schulen kaum etwas getan hat?

Klar. Aber es nützt uns doch jetzt nichts, darüber zu jammern, was den Sommer über alles verschlafen worden ist: Dass noch immer Geräte fehlen, dass das Wissen und die Technik bei vielen Lehrenden und Eltern noch immer nicht da ist… Wir müssen schauen, wie wir jetzt tatsächlich Unterricht organisieren.

Sie argumentieren, Schulen und Kindergärten seien vor allem Orte der Bildung. Dagegen klingen die Äußerungen etwa von Wirtschaftsvertretern, als gehe es in erster Linie darum, dass Eltern zur Arbeit gehen können. Da wäre es doch zweitrangig, dass auch Bildung funktioniert.

So pauschal würde ich das jetzt nicht sagen. Aber richtig ist, dass der Betreuungsaspekt, den es bei Schulen und Kindergarten auch immer gibt, bei manchen im Vordergrund steht. Und das ist problematisch, ja, aber es ist auch kein Vorwurf. Manche haben in der Krise schlichtweg Existenzängste. Wer nicht auf Arbeit gehen kann, weil er auf die Kinder aufpassen muss, der verliert vielleicht seinen Job. Ein Unternehmen, das Aufträge nicht abarbeiten kann, weil die Mitarbeiter fehlen, geht vielleicht pleite. Aber so etwas blendet leider teilweise aus, wie wichtig Bildung für junge Menschen ist.

Auch Thüringens Linke-Kultusminister Helmut Holter hat vorgeschlagen, dass Prüfungen leichter gemacht werden sollten. Was halten Sie davon?

Ja, wir müssen darüber reden, dass Prüfungen nur abfordern, was tatsächlich unterrichtet wurde. In Thüringen ließe sich beispielsweise die sogenannte Besondere Leistungsfeststellung aussetzen, die es bei uns an den Gymnasien für die Zehntklässler gibt. Aber wenn wir an die Prüfungen ran gehen, muss trotzdem sichergestellt werden, dass die entsprechenden Abschlüsse national und international anerkannt werden. Deshalb brauchen wir hier ganz klare bundeseinheitliche Regelungen.

Wie würde man Prüfungen denn leichter machen?

Dafür gibt es Prüfungskommissionen, die es in der Hand haben, die Aufgaben auf diese oder jene Weise zu gestalten. Aus meiner Sicht geht es dabei aber weniger darum, dass man bestimmte Einzelaufgaben leichter macht. Viel wichtiger scheint mir, dass man dafür Sorge trägt, dass wirklich nur der Stoff in den Prüfungen geprüft wird, der behandelt wurde. Es dürfen da keine Aufgaben zu Inhalten gestellt werden, die laut Lehrplan hätten behandelt werden müssen, aber nie oder nur ganz oberflächlich abgehandelt worden sind. Wichtig finde ich außerdem, freiwillige Klassenwiederholungen zu ermöglichen, die nicht auf die Schuljahre angerechnet werden.

Würde man dann diesem Abschlussjahrgang nicht ein Stigma anheften: Dein Abitur ist nichts wert, weil Du es im Corona-Jahr gemacht hast?

Ich glaube das nicht, auch aus einer persönlichen Erfahrung heraus. Ich habe 1992 Abitur gemacht und bin damit eine der letzten DDR-Abiturientinnen. Damals wurde noch nach dem DDR-Modell geprüft. Da gab es auch ewige Debatten darum, ob dieses Abitur jemals überall anerkannt sein würde. Es hat sich gezeigt, dass sich niemals jemand dafür interessiert hat, nach welchem Modell ich Abitur gemacht habe, wobei das DDR-Abitur noch breiter aufgestellt war als heutige Abiture. Abitur ist Abitur, mittlere Reife ist mittlere Reife. Ich denke, dabei wird es auch bleiben.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.