Staatsschutz gegen Graffiti-Maler

Bilder in Göttingen thematisieren Flucht und Seenotrettung

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.

Zwei Schiffe im tosenden Meer. Zwei Wesen - halb Mensch, halb Fisch, halb über, halb unter Wasser - kämpfen gegen das Ertrinken. Oben Schrift: Fascism. Sicherer Hafen. Seebrücke. Lager abschaffen. Auf einem Bild treibt ein Rettungsring im Ozean. Zwei Tiere sitzen darin. Ein Stück weiter: Ein Zaun aus scharfkantigem Stacheldraht, eine Zange, die den Draht durchtrennt, eine Ratte auf dem Sprung über den Zaun. Auf dem Bild daneben eine Frau und die Worte »My Body«.

Wohl nie zuvor sind in Göttingen so aufwendige, eindrucksvolle und künstlerisch ansprechende Graffiti aufgetaucht wie im Dezember: Auf eine Mauer und eine Wand am Rand der Innenstadt hinterließen unbekannte Sprayer und Maler mehr als ein Dutzend großformatige bunte Bilder. Mehrere Motive thematisieren die elende Situation von Flüchtlingen an den europäischen Außengrenzen und die Seenotrettung, andere die Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen.

Am 17. Dezember informierte die Polizei über den Vorgang. Sie gehe »aufgrund der Inhalte von einer politisch motivierten Protestaktion aus«: »Das Staatsschutzkommissariat hat Ermittlungen wegen Sachbeschädigung aufgenommen.« Die Polizei rief Zeugen auf, sich zu melden.

Das ganz dicke Staatsschutz-Geschütz gegen Wand- und Graffiti-Maler? In vielen Kommentaren unter dem Facebook-Post wird Unverständnis geäußert. »Das ist die schönste Sachbeschädigung, die ich jemals gesehen habe. Trotzdem bleibt es Sachbeschädigung. Leider.«, heißt es zum Beispiel. Oder: »Das ist eher künstlerisch wertvoll als dass es Sachbeschädigung ist.« Ein User schrieb: »Echt jetzt?? Sach­beschädigung? Die Bilder sind der absolute Hammer!!!«.

Auch das »Stellwerk«, ein Netz Göttinger Kreativwirtschaft mit 85 Mitgliedern, hinterfragt das Vorgehen der Polizei. Hier werde »mit Kanonen auf Spatzen geschossen«. Gleichzeitig wird die künstlerische Qualität der Graffiti betont: »Muss angesichts solcher Arbeiten heute noch ernsthaft darüber diskutiert werden, ob Graffiti Kunst sein können? Oder ob Kunst politisch sein darf?« Die Polizei habe keine andere Wahl gehabt, als den Staatsschutz einzuschalten, so Sprecherin Jasmin Kaatz auf »nd«-Anfrage. Wenn ein politischer Hintergrund einer Straftat angenommen werde, komme der Staatsschutz ins Spiel. Das gelte für Taten »von links, von rechts oder von wem auch immer«.

Unterdessen finden die Wandmalereien immer mehr Verbreitung. Die Fotografin, Web-Designerin und Bloggerin Katrin Raabe hat Bilder davon auf ihrer Homepage (www.katrin-raabe.de) veröffentlicht. Nicht nur bei Raabe weckt das Werk an den Göttinger Mauern Assoziationen an den britischen Street Art-Künstler Bansky. Der schrieb: »Graffiti ist nicht die niedrigste Form der Kunst. Obwohl man nachts herumschleichen und seine Mutter anlügen muss, ist es eigentlich die ehrlichste Kunstform, die es gibt. Es gibt keinen Elitismus oder Hype, es wird auf einigen der besten Wände ausgestellt, die eine Stadt zu bieten hat, und niemand wird durch den Eintrittspreis abgeschreckt. Eine Wand war schon immer der beste Ort, um seine Arbeit zu veröffentlichen.«

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -