Poetische Fantasie
Dem Defa-Spielfilmregisseur Rainer Simon zum 80. Geburtstag
Rainer Simons Gesamtwerk strotzt vor Opulenz: rund 20 Spielfilme, Romane, Bilderbücher und Fotos. Jüngst hat er E-Mails für romanhafte Erzählungen benutzt. Alle seine Arbeiten sind voller eigenwillig-spröder, zugleich poetischer Fantasie: in Figuren noch bei kleinster Profilierung, in Episoden, in lebendig-plastischen Beobachtungen abseits alltäglicher Gewohnheitssichten. Gleichzeitig sucht er noch in der unscheinbarsten Anekdote nach den Widersprüchen des Lebens, auch des eigenen Künstlerlebens.
Sein Debüt bei der Defa sollte 1965 die Kino-Adaption des Romans »Die Moral der Banditen« von Horst Bastian werden, in dem die Verwirrungen ostdeutscher Jugendlicher in der unmittelbaren Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg behandelt wurden. Herumstreunende, haltlos gewordene Jungs rebellierten zwischen Bandenbildung und anarchischem Selbsthelfertum. Das Projekt wurde schon im Vorfeld des berüchtigten 11. Plenums des ZK der SED untersagt. Zu sehr hätte die Story die damalige Umbruch- und Aufbruchstimmung junger Leute in der DDR anstacheln können, indem sie zu mehr Selbstbewusstsein und rascher Identitätsfindung verleitet, wie die Zensoren argwöhnten. Dieses Trauma hat Simon nicht vergessen.
In den folgenden Jahren realisierte er zahlreiche Filme, deren Entstehung oft von zum Teil heftigen Auseinandersetzungen begleitet war: Simons zunehmend wachsende künstlerische Gestaltungskraft geriet immer wieder in Konflikt mit Defa-Einschränkungen und ideologisch-starren Vorbehalten der DDR-Oberen. Er hielt tapfer durch, wenngleich manche Bitterkeit bis heute geblieben ist. Doch sind aus diesem heiklen Spannungsfeld Filme hervorgegangen, die zum Goldenen Fond des ostdeutschen Parts der deutschen Nachkriegsfilmgeschichte gerechnet werden müssen.
Szenischen Reichtum und Lebendigkeit seiner Filme hat Simon auch der anschmiegsamen Kameraarbeit von Roland Dressel zu verdanken, mit dem er die meisten Filme gedreht hat. Und im Gedächtnis bleibt Simons Begabung, seine Filme mit exzellenten Schauspielern zu besetzen und diese dann zu darstellerischer Höchstform und zu überschäumender Spielfreude zu animieren: Eberhard Esche und Cox Habbema (»Wie heiratet man einen König«, 1968), Christian Grashof (»Sechse kommen durch die Welt«, 1972), Winfried Glatzeder (»Till Eulenspiegel«, 1975), Jörg Gudzuhn (»Das Luftschiff«, 1983), Käthe Reichel, Kurt Böwe, Jürgen Gosch und viele mehr.
Mit »Zünd an, es kommt die Feuerwehr« (1978) bot Simon Komisches der feinsten Art. Er zeigte im Skurrilen das Menschliche als verschmitztes Einverständnis mit dem Zuschauer: Die beschäftigungslose Feuerwehr in dem fiktiven sächsischen Kaff Siebenthal legt ihre Brände selbst, um ihre Daseinsberechtigung handgreiflich nachzuweisen. Die überschaubare Story bot reichen Anlass für ein Feuerwerk an schauspielerischen Glanznummern und enormes Vergnügen.
Sein Film »Jadup und Boel« wurde 1981 verboten und konnte erst 1988 uraufgeführt werden, als Simon den neu gestifteten Konrad-Wolf-Preis der Akademie der Künste erhielt. Weil: Die kraftvolle Nachkriegsutopie eines Kleinstadt-Bürgermeisters (Kurt Böwe) rieb sich heftig mit dem Sozialismus à la DDR, als die Vorboten des Verfalls schon allerorten erkennbar wurden. Für das Kammerspiel einer intimen Liebesgeschichte »Die Frau und der Fremde« (1984) erhielt er den Goldenen Bären der Berlinale.
Mit »Die Besteigung des Chimborazo« (1988/89, in dem der blutjunge Jan Josef Liefers als Weltreisender Humboldt sein Leinwanddebüt gab) schloss er Bekanntschaft mit den Ureinwohnern Ecuadors. Daraus entstand eine dauerhafte Liebe. Er reiste nach der Wende oft dahin, weil »dort das Lächeln noch eine menschliche Regung ist und keine Maske«, wie er einmal sagte. Er lebte dort und drehte Filme, behutsam und voller Respekt, so »Die Farben von Tigua« (1994). Hierzulande sind sie unbegreiflicherweise kaum bekannt.
Simon hat sich - auch international - gern und oft der Diskussion seiner Filme gestellt. Streitbar war er schon immer. So soll es bleiben. Rainer Simon wurde am Montag 80 Jahre alt. Alles Gute.
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