Absichtliches Versagen?

Das US-Verteidigungsministerium steht nach dem Sturm auf das Washingtoner Kapitol in der Kritik

  • Joseph Keady, Washington
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach der Erstürmung des Kapitols in Washington gibt es weitere Belege für das Versagen der zuständigen Sicherheitskräfte. So wurde nun bekannt, dass der Chef der Polizei des Kapitols, Steven Sund, bereits am 4. Januar bei den Sicherheitsverantwortlichen von Repräsentantenhaus und Senat um Erlaubnis gebeten hatte, die Nationalgarde in Bereitschaft versetzen zu lassen - zwei Tage vor dem Sturm des US-Parlamentsgebäudes. Allerdings sei dem Sicherheitsverantwortlichen des Repräsentantenhauses, Paul Irving, nicht wohl bei dem Gedanken gewesen, schon vor der Demonstration formell einen Notfall zu erklären und die Nationalgarde anzufordern - er sei besorgt über die Bilder gewesen, die ein solcher Einsatz erzeugen würde. Der Sicherheitsverantwortliche des Senats, Michael Stenger, hingegen habe Sund dazu geraten, die Nationalgarde lediglich informell zu kontaktieren. Letztlich waren am 6. Januar nur 1400 Kapitol-Polizisten im Dienst, die von 3000 bis 20 000 Aufständischen leicht überrannt werden konnten. Sund, Irving sowie Stenger sind mittlerweile zurückgetreten.

Während der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar selbst wurden Hunderte sich in der Nähe befindende Truppen der Nationalgarde nur mit Verzögerung eingesetzt. Die Nationalgarde darf im US-Parlamentsgebäude nur auf Anforderung der Kapitol-Polizei operieren. Eine solche Anforderung kam aber erst nach der Erstürmung des Gebäudes und musste noch von verschiedenen Beamten bestätigt werden - unter anderem aus dem Verteidigungsministerium. Drei Stunden habe es laut Verteidigungsministerium seit dem ersten Unterstützungsgesuch gedauert, bis die Nationalgarde am Kapitol eingetroffen sei - womit einigen Randalierenden genug Zeit blieb, um bis in die Büros einzelner Senatoren vorzudringen. Direkt neben dem Kapitol warteten auch etwa 50 bewaffnete Beamte des Heimatschutzes auf ihren Einsatz. Ein Befehl dazu kam allerdings nicht. Laut dem Nachrichtensender NBC News hat ein ungenannter Heimatschutzbeamter gesagt, sie hätten auf eine Anforderung der Kapitol-Polizei gewartet.

Teller und Rand - der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Bekannt geworden ist auch ein Bericht des FBI des Bundesstaates Virginia vom Tag vor dem Aufstand. Laut diesem Bericht der zentralen Sicherheitsbehörde der USA hatten rechte Aufrührer nicht nur Gewalt, sondern »Krieg« in der Hauptstadt vorbereitet. So sollen sie einen Plan von der Tunnelanlage unter dem Kapitol verbreitet haben; in anonymen Nachrichtendiensten hatten Teilnehmer unter anderem geschrieben: »Seid bereit, zu kämpfen. Der Kongress muss das Zerbrechen von Glas, das Eintreten von Türen und das Blutvergießen ihrer Sklavensoldaten aus BLM und Pantifa hören.« BLM steht für »Black Lives Matter«; »Pantifa« ist eine geringschätzige Wortneubildung aus »Antifa« und »Panty,« was »Höschen« bedeutet. »Seid gewaltsam. Dies ist kein Marsch oder eine Kundgebung oder ein Protest. Seid dort für Krieg.« Trotz dieses Berichts hatte der stellvertretende Direktor des FBI Steven D’Antuono am 8. Januar erklärt, dass es keine Hinweise auf geplante Gewalt gegeben habe. Das FBI habe geglaubt, der Protest sei von der Verfassung geschützt.

Mehrere Kapitol-Polizisten sind bisher wegen ihrer Handlungen während des Aufstandes beurlaubt worden, gegen bis zu 15 weitere wird ermittelt. So hat einer der beurlaubten Beamten ein Selfie mit einem Randalierer gemacht, ein weiterer soll beim Gespräch mit Aufständischen eine MAGA-Mütze (Make America great again - der Wahlspruch von Donald Trump von 2016) getragen haben.

Polizeibehörden im ganzen Land haben Ermittlungen gegen Beamte eingeleitet, die möglicherweise an den Ausschreitungen teilgenommen haben. Ein Polizist aus Houston im Bundesstaat Texas sowie zwei aus dem Bundesstaat Virginia sollen sogar mit ins Kapitol gestürmt sein - ihnen droht eine Anklage auf Bundesebene. In der Stadt Troy im Bundesstaat New Hampshire haben Einwohner den Rücktritt von Polizeichef Dave Ellis gefordert, weil er als Demonstrant dem »New York«-Magazin ein Interview gegeben hat.

Doch es gibt auch Helden unter den Beamten, etwa Kapitol-Polizist Eugene Goodman. Der hatte sich alleine dem Mob im Senatsflügel des Kapitols entgegengestellt und die Randalierer vom Unterschlupf einiger Abgeordneten weggeführt. Für ihn eine äußerst gefährliche Situation, nicht zuletzt weil er als Schwarzer von einem weißen Mann mit einer Konföderiertenflagge verfolgt wurde. Diese Kriegsflagge aus dem Bürgerkrieg ist nach wie vor ein Symbol des Rassismus in den USA.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -