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  • Dopingprozess »Aderlass«

Lange Haftstrafe für Mark Schmidt

Abschreckendes Urteil im Dopingprozess »Aderlass«. Einiges bleibt offen.

  • Tom Tom Mustroph , München
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein historischer Prozess hat sein Ende gefunden. Am Freitag verurteilte das Münchner Landgericht den Mediziner Mark Schmidt zu vier Jahren und zehn Monaten Freiheitsentzug wegen Dopings und gefährlicher Körperverletzung. Seine vier Mitangeklagten wurden teils zu Geldstrafen, teils zu Haftstrafen von bis zu zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Das Gericht orientierte sich dabei zum Teil am 2015 verabschiedeten Antidopinggesetz. Bei Straftaten aus den Jahren zuvor kam noch das Arzneimittelgesetz zur Anwendung. Richterin Marion Tischler bewegte sich damit zwischen den Forderungen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Die Ankläger hatten für Schmidt fünfeinhalb Jahre Haft gefordert, die Verteidigung plädierte auf maximal drei Jahre. Unbewegten Gesichts nahm der Angeklagte das Urteil entgegen.

Härter als die Haft selbst - knapp zwei Jahre hat Schmidt bereits in Untersuchungshaft abgesessen - dürfte ihn das dreijährige Berufsverbot treffen. Die Richterin begründete dies mit der »Gefahr, dass ähnliche Rechtsverletzungen passieren könnten«. Tischler betonte zwar einerseits, dass sie in Schmidt nicht den »großen Doper über die Jahrzehnte« sehe. Die Richterin störte sich indes an der Rücksichtslosigkeit, mit der Schmidt teilweise vorgegangen war. So wurde bei ihm eine Schweißmaschine für Blutbeutel beschlagnahmt, die aus einer Transfusionsklinik in Ljubljana stammt. Schmidt hatte das Gerät von einem Medizintechniker aus der slowenischen Hauptstadt im Austausch gegen ein eigenes, defektes Gerät bekommen: Damit habe Schmidt bewusst in Kauf genommen, dass Patienten, die in dem Krankenhaus in Ljubljana auf Blutkonserven angewiesen waren, einen Nachteil hatten, so die Richterin.

Das gegen Mark Schmidt verhängte Berufsverbot ist das wohl deutlichste Signal dieses Urteils. Alle Mediziner, die Sportler dopen, laufen nun Gefahr, ihren meist gut dotierten Hauptberuf zumindest zeitweise zu verlieren, wenn sie erwischt werden.

Ein weiteres deutliches Signal ist, dass Tischler das Antidopinggesetz als solches ausdrücklich als verfassungskonform bezeichnete. Die Verteidigung hatte argumentiert, dass es eine schützenswerte Integrität im Sport gar nicht gäbe. »Es dopt doch jeder«, betonte mehrfach Schmidts Anwalt Juri Goldstein. Die Richterin - geschult in Verfahren zu Drogendelikten - unterschied hier in Hell- und Dunkelfeld. Wer im Dunkelfeld agiert, sieht sich selbstverständlich von kriminellem Handeln umgeben. Er unterschlägt aber das Hellfeld, also all die Menschen, die nicht dealen, drücken und zur Geldbeschaffung stehlen. Aufs Doping im Sport abgeleitet, wird man in Zukunft die Athleten also fragen: Gehört ihr zum Hell- oder zum Dunkelfeld?

Juristisch bedeutsam war ebenfalls, dass Tischler trotz zahlreicher Tatorte im Ausland das deutsche Strafgesetz als maßgeblich für die Bestimmung des Strafrahmens ansah. Es gilt also nicht das Strafrecht am Tatort. Erst in einem zweiten Schritt, beim Bemessen der Höhe der Strafe, berücksichtige sie das jeweils am Tatort geltende Recht. Tatorte lagen unter anderem in Österreich und Italien, der Schweiz und Slowenien, in den USA und Südkorea. Teilweise gibt es dort gar kein Antidopinggesetz. Tischlers Ansatz, vom deutschen Strafgesetz auszugehen, führte im Vergleich zu den Forderungen der Verteidigung zu deutlich höheren Strafen.

Damit ist der deutsche Verhandlungsstrang des »Aderlass«-Verfahrens abgeschlossen. In der Schweiz wurden bisher der Radprofi Pirmin Lang zu einer Geldstrafe, seine Berufskollegen Georg Preidler und Stefan Denifl zu Haftstrafen von einem und zwei Jahren verurteilt. Auch der Skilangläufer Johannes Dürr wurden inzwischen verurteilt, zu 15 Monaten Haft auf Bewährung. Seine Aussagen in der ARD-Doku »Gier nach Gold« hatten das Verfahren überhaupt erst initiiert. Viele andere der insgesamt 23 Athletinnen und Athleten, die zum Dopingnetzwerk von Schmidt gezählt werden, müssen sich aber nicht vor Gericht verantworten. Bei einigen, wie etwa dem früheren Radprofi Danilo Hondo, sind die Taten verjährt. In Slowenien, Kroatien, Kasachstan oder Estland - alles Herkunftsländer der Kunden von Schmidt - existiert gar kein Straftatbestand Doping.

Staatsanwalt Kai Gräber begrüßte gegenüber »nd« das Urteil und bezeichnete es als »wichtigen Schritt im Antidopingkampf«. Schmidts Verteidiger verließen eilig das Gerichtsgebäude, ohne mit Journalisten zu reden. Eine Woche haben sie jetzt Zeit für einen Revisionsantrag. Schmidt selbst wurde wieder in die Haftanstalt gebracht. Der Kühlschrank, in dem er die Blutbeutel verwahrte, steht jetzt in Berlin und wird zur Lagerung von Corona-Impfstoffen genutzt. Ein netter Nebeneffekt dieses Prozesses.

Tischler, die sich als Doping-Laiin mit Verve in das neue Aufgabenfeld gestürzt hatte, wartete am Ende sogar noch mit Ratschlägen für die Dopingbekämpfung auf. Ausgehend von der Zeugenaussage einer Helferin Schmidts, die nach den Olympischen Winterspielen 2018 schockiert über die mit Einstichlöchern übersäten Armbeugen vieler Athleten war, meinte die Richterin: »Bei Junkies schaut man immer in der Armbeuge nach. Warum macht man das im Sport nicht?« Ja, warum wird auf so offensichtliche Zeichen von Spritzenkultur eigentlich nicht reagiert?

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