China und der Westen entkoppeln sich

Trotz Pekings Erfolgen in der Coronakrise verliert der weltweite Handel seit Jahren an Bedeutung

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gab es viele Anhänger der These von einer »Universalisierung der westlichen liberalen Demokratie als finaler Form menschlichen Regierens«. Die Entwicklungen der vergangenen Jahre deuten in eine andere Richtung: Zwar hat sich der Kapitalismus als globales Wirtschaftssystem bis auf Weiteres durchgesetzt, doch ein neuer Systemwettbewerb ist im Gange. Westliche Staaten betten den Kapitalismus in ein System aus freien Wahlen und freier Presse, während sich eine chinesische Spielart entwickelt hat, in der kapitalistisches Wirtschaften in einem Ein-Parteien-System ohne diverse Freiheiten funktioniert.

Gleichzeitig befinden sich die größten Wirtschaftsräume in einem Entkopplungsprozess: Es hagelte Strafzölle der USA gegen China, dann Strafzölle Chinas gegen Australien und weitere Sanktionen zwischen Ost und West. Laut dem US-amerikanischen Peterson Institute hat der Anteil des internationalen Handels an der Weltwirtschaft seit 2008 erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg über einen längeren Zeitraum abgenommen. Die Gründe sind nicht zuletzt politischer Natur: Westliche Staaten fürchten die zunehmende Dominanz Chinas und umgekehrt.

Aktuelle Außenhandelszahlen aus China deuten indes auf eine Trendwende hin. So erzielte die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt 2020 einen Rekordhandelsüberschuss - insbesondere dank Ausfuhren von Medizin- und Elektronikgütern in die USA und die EU. Auch insgesamt ist Chinas Volkswirtschaft in der Coronakrise um 2,3 Prozent gewachsen, wie die nationale Statistikbehörde in Peking am Montag mitteilte. Dabei handelt es sich bei den zusätzlich exportierten Gütern maßgeblich um Produkte, deren Nachfrage gerade wegen der Probleme mit dem Virus zugenommen hat. Mit einem Ende der Pandemie könnte der Warenaustausch also auch wieder abnehmen.

Auch ein in der vergangenen Woche veröffentlichter Report des in Berlin ansässigen Mercator-Institutes for China Studies und der EU-Handelskammer in Peking zeichnet ein wenig optimistisches Bild, wie schon der Titel sagt: »Entkopplung - die Zukunft der Globalisierung am Rande eines Abgrunds«. So werde der durch Donald Trump ausgelöste Handelskrieg der USA gegen China auch mit der Amtsübernahme durch Joe Biden nicht völlig befriedet werden. Schließlich sei in den USA parteiübergreifend Konsens, dass China nicht nur ein Handelspartner, sondern auch ein Systemrivale ist.

Umgekehrt arbeitet Peking seit 15 Jahren daran, ökonomisch möglichst unabhängig vom Westen zu werden. So fördert der Staat die Inlandsproduktion in Schlüsseltechnologien wie Medizingüter, Mobiltelefonchips, Flugzeuge, Landwirtschaftsmaschinerie, Industrierobotik, Ausrüstung für erneuerbare Energien und nachhaltige Fahrzeuge. Seit Jahren profitieren chinesische Hersteller auch davon, dass ausländische Unternehmen Teile ihrer Technologie preisgeben müssen, wenn sie Zugang zum riesigen chinesischen Markt erhalten wollen. Mit dem Investitionsabkommen, auf das sich die EU und China kurz vor dem Jahreswechsel geeinigt haben, soll sich das zwar ändern. Mit Unterschriften unter das Abkommen wird aber erst in etwa einem Jahr gerechnet, zumal viele Details noch offen sind.

Große Herausforderungen bleiben ohnehin bestehen, etwa die Konflikte zwischen den führenden Wirtschaftsräumen bei Technologiestandards und Datenaustausch. Viele in China tätige Betriebe befürchten laut dem Mercator-Report, »dass eine Fortsetzung des gefährlichen Weges hin zu einem Bruch der wirtschaftlichen und technologischen Beziehungen zwischen den USA und China das Ende ihrer China-Geschäfte einläutet«. Entkopplung sei sowohl in Sachen Innovation zu beobachten - weil sich ausländische Betriebe in China häufig ausgeschlossen fühlen - als auch im Handel: Zahlreiche Großunternehmen haben China als Produktionsstandort verlassen, um eine »Überabhängigkeit« in ihren Wertschöpfungsketten zu beenden.

Solche Verschiebungen könnten, so die Autoren, zu steigenden Verbraucherpreisen führen. Sollten sich die Konflikte auch politisch weiter hochschaukeln und die USA für China den Zugang zum weiterhin typischen globalen Zahlungsmittel, dem US-Dollar, beschränken, sei sogar eine internationale Wirtschaftskrise zu befürchten.

Auch ohne diesen »Worst Case« zeichnet sich ab, was der in Hongkong lebende schwedische Journalist Johan Nylander in einem kürzlich erschienenen Buch als »The Epic Split« bezeichnet. Darin erinnert er an einen Werbefilm, in dem Actionstar Jean-Claude Van Damme seinen berühmten Spagat zwischen zwei fahrenden Lkw macht, die sich langsam auseinanderbewegen. »Stellen Sie sich vor, der eine Truck sind die USA und der andere ist China«, schreibt Nylander. Irgendwann werde die Lücke so groß sein, dass man sich für eine Seite entscheiden muss. Einen schwierigen Spagat leisteten bereits solche liberalen Volkswirtschaften, die besonders vom Handel mit China abhängig sind: Südkorea, Japan und Deutschland. In diesen Ländern wird bisher zwar viel davon gesprochen, dass die liberale Variante des Kapitalismus zu bevorzugen sei - aber handelspolitisch viel dafür getan, die »autoritäre Version« zu füttern.

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